Katia Iacono

Dolmetschen im Medizintourismus


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ist Feingefühl seitens aller Beteiligten notwendig (vgl. Kautsch 2012). Tabus werden häufig durch die Verwendung von Euphemismen zum Ausdruck gebracht (vgl. Trubel 2004: 58). Durch die Kulturkompetenz der DolmetscherInnen können kulturspezifische Tabuisierungen erkannt, behandelnde ÄrztInnen darauf hingewiesen und etwaige Schwierigkeiten im Rahmen der Artikulation der Problematik überwunden werden. Ebenso kulturgebunden kann das Überbringen schlechter Nachrichten sein: In manchen Kulturen wird alleine das Reden über schlechte Nachrichten als Gefahr eingestuft, denn das könnte das Schicksal negativ beeinflussen (vgl. Leet et al. 2002). PatientInnen, die nach einem Aufklärungsgespräch keine weiteren Fragen z.B. zu Risiken und Komplikation stellen, haben somit nicht unbedingt ein fehlendes Interesse an ihrer Gesundheit, sondern möchten vielmehr kein Pech anziehen.

      Bührig und Meyer (2015: 303ff.) relativieren den Fokus, den andere AutorInnen auf die ethnischen und kulturellen Besonderheiten der AkteurInnen legen. So sind sie der Auffassung, dass es keine direkte oder kausale Korrelation zwischen kultureller Zugehörigkeit und Umgang mit Krankheit geben kann, da Schmerzen wie auch ihre Beschreibung immer individuell sind. Selbst wenn eine gewisse Loslösung von kulturspezifischen Krankheitskonzepten sinnvoll erscheint und kulturelle Zugehörigkeit nicht die individuelle Dimension der Schmerzwahrnehmung und -kommunikation überlagern sollte, sollten im Sinne des biopsychosozialen Modells soziokulturelle Elemente nicht außer Acht gelassen werden. So kann in Bezug auf das oben erwähnte Beispiel des Mittelmeer-Syndroms die Berücksichtigung der soziokulturellen Dimension der Schmerzen dabei helfen, eine besonders emotionale Schmerzensschilderung seitens südländischer PatientInnen angemessen zu interpretieren und diese weder als theatralische Darstellung abzutun noch als akute lebensbedrohliche Situation einzustufen. Illkilic schlägt in diesem Zusammenhang vor, einen Kulturbegriff zu verwenden, „der die Kulturkreise als sich in einem stetigen Wandel befindliche heterogene Bevölkerungsgruppen versteht, die in einer stetigen Interaktion mit anderen Kulturkreisen stehen“ (Illkilic 2010: 35). Sprache, Religion, Traditionen usw. prägen die Wertvorstellungen und weisen oft einen normativen Charakter auf. Interkulturelle Kompetenz kann ÄrztInnen dabei helfen, ethische Konflikte betreffend „die Patientenautonomie, die Familienautonomie, das beste Interesse des Patienten, Leidenslinderung […]“ (Illkilic 2010: 33) zu analysieren und zu lösen.

      2.2 Sprachbarrieren im Gesundheitswesen

      Wenn das medizinische Personal und die PatientInnen unterschiedliche Sprachen sprechen, können Probleme in der Kommunikation entstehen, was wiederum einen gravierenden Einfluss auf den Erfolg der Behandlung haben kann. Die Überwindung von Sprachbarrieren im Gesundheitswesen ist aus zweierlei Gründen wichtig: Erstens stellt medizinische Kommunikation „Kommunikation und Medizin zugleich“ (Bechmann 2014: 5) dar, und zweitens können das Recht auf Unversehrtheit und Selbstbestimmung sowie das Aufklärungsrecht nur durch eine missverständnisfreie Kommunikation gewahrt bleiben (vgl. Reisewitz 2015: 23ff.).

      Zur Analyse der Sprachbarrieren im Gesundheitswesen sollte zuerst ermittelt werden, welche fremdsprachigen PatientInnen sich einer medizinischen Behandlung unterziehen müssen. Hoefert (2008: 107) unterscheidet innerhalb der fremdsprachigen PatientInnen zwischen zwei PatientInnengruppen. In der ersten Gruppe finden sich Menschen mit Migrationshintergrund, die Teil der Bevölkerung des Ziellandes geworden sind. Die zweite Gruppe umfasst hingegen Menschen, die zwecks einer medizinischen Behandlung im Rahmen des Medizintourismus in das Zielland einreisen. Eine Mehrheit der bisher veröffentlichten Untersuchungen zur medizinischen Kommunikation beschäftigt sich mit jener PatientInnengruppe, die einen Migrationshintergrund aufweist. Eine systematische Erfassung der Sprachbarrieren, mit denen diese Gruppe beim Zugang zur medizinischen Versorgung konfrontiert ist, findet sich im deutschsprachigen Raum allerdings nur in wenigen Studien. Eine dieser systematischen translationswissenschaftlichen Studien ist jene von Pöchhacker (2000a bzw. 2013: 109ff.) aus dem Jahr 1996, die die Kommunikation mit nicht deutschsprachigen PatientInnen in zehn Wiener Krankenhäusern untersucht.1 Im Rahmen dieser quantitativen Umfrage wurden ÄrztInnen, TherapeutInnen und Pflegepersonal aus 71 Abteilungen und Kliniken zum Thema Sprachbarrieren befragt. Aus den Antworten ergab sich, dass Kommunikation mit PatientInnen, die nicht Deutsch sprechen, zum Alltag des medizinischen Personals gehört und dass 27 Sprachen verwendet wurden. Während in den gynäkologischen Abteilungen das Ausmaß an Kommunikation mit nicht deutschsprachigen PatientInnen besonders hoch war, fiel der Kommunikationsanteil mit dieser Gruppe in den psychiatrischen Abteilungen deutlich geringer aus. Die Kommunikation mit nicht deutschsprachigen PatientInnen erfolgte bei 7% der Befragten ohne zusätzliche Hilfe, während 90% auf die Hilfe Dritter zurückgriffen. Bei den genannten Dritten handelte es sich meist um Begleitpersonen (häufig die Kinder der PatientInnen), gefolgt von fremdsprachigem Krankenhauspersonal – das häufig das Reinigungs- oder Pflegepersonal und nur selten ÄrztInnen umfasste. Der Einsatz von dolmetschenden Begleitpersonen wurde fast immer als problematisch eingestuft, da diese laut den Befragten keine medizinischen oder terminologischen Kenntnisse besaßen und aufgrund ihrer persönlichen Nähe zu den PatientInnen befangen waren. Hingegen wurde die Einbeziehung des Krankenhauspersonals als Dolmetschende von den Befragten als nicht so problematisch erachtet. Wie Pöchhacker ausführt, bergen diese drei Möglichkeiten zur Überbrückung der Sprachbarrieren einige Gefahren, für die in den Krankenhäusern häufig das Bewusstsein fehlt. Zu diesen Gefahren zählen laut Albrecht (2015: 4) Fehlinformationen bei PatientInnen, Fehldiagnosen aufseiten der ÄrztInnen, zusätzliche Untersuchungen und Wiederholungen der Therapie, längere Verweildauer und höhere Behandlungskosten.

      Sprachbarrieren gibt es nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in ärztlichen Praxen. So beschreibt Leitner (2013) anhand einer Fallstudie, die in einer ärztlichen Praxis in Wien durchgeführt wurde, die zur Überwindung von Sprachbarrieren angewendeten Strategien. Die Studie beleuchtet den Alltag in der Praxis von Dr. Daniela Kasparek in Wien, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, die einen hohen Anteil an PatientInnen mit Migrationshintergrund (60% der Eltern) aufweist (vgl. Leitner 2013: 144). In ihrer Praxis stellte die Fachärztin eine häufig fehlende adherence seitens der PatientInnen fest, die auf Sprachbarrieren zurückzuführen war. Darüber hinaus waren nicht selten organisatorische Probleme zu bewältigen: Zu viele PatientInnen suchten die Ärztin in den Abendstunden auf, da ihre dolmetschenden Begleitpersonen meist erst zu dieser Tageszeit zur Verfügung standen. Als Lösungsstrategie wurden Organisationsgehilfinnen mit Migrationshintergrund angestellt, die jene Fremdsprachen beherrschten, die von den PatientInnen der Praxis am häufigsten gesprochen wurden. Für die niedergelassene Ärztin erwies sich die Anstellung mehrsprachiger AssistentInnen ohne Dolmetschausbildung, die als Laiendolmetschende fungierten, als kostengünstiger als die Heranziehung ausgebildeter DolmetscherInnen. In ihren Schlussfolgerungen hält Leitner fest, dass diese Lösungsstrategie zwar zufriedenstellender sei als der Einsatz von dolmetschenden Angehörigen, sie könne aber nicht die Arbeit ausgebildeter DolmetscherInnen ersetzen. Parmakerli (2009) berichtet von einem ähnlichen Beispiel aus Mannheim. Der türkischstämmige Arzt konnte bereits in seiner Kindheit und dann in seiner Studienzeit Dolmetscherfahrung sammeln. Nach dem Abschluss des Medizinstudiums eröffnete er eine ärztliche Praxis in Mannheim, die er als „Migranten-Praxis“ (Parmakerli 2009: 160) bezeichnet, weil sie überwiegend von türkischsprachigen PatientInnen aufgesucht wird.2 Darüber hinaus ist das gesamte Team – bestehend aus einer Intensivkrankenschwester, einer Diätassistentin, einer Arzthelferin und einer Aushilfe – türkischer Herkunft. Dies ermöglicht eine kompetente Begleitung der ausländischen PatientInnen, für die auch „kultursensibel gedolmetscht“ (Parmakerli 2009: 162) wird. Wichtiger Entscheidungsfaktor für viele niedergelassene ÄrztInnen hinsichtlich der Konsultierung von ausgebildeten DolmetscherInnen bleiben aber nach wie vor deren hohe Kosten, die von den ÄrztInnen oder von den PatientInnen zu tragen wären (vgl. Leitner 2013: 154). Derzeit werden Dolmetschkosten in Deutschland und Österreich weder von gesetzlichen noch von privaten Krankenversicherungen übernommen (vgl. Spickhoff 2015: 14).

      Zwei weitere Lösungsstrategien zur Überwindung von Sprachbarrieren in der medizinischen Kommunikation, die häufig umgesetzt werden, sind das Ferndolmetschen und die Verwendung des Englischen als Lingua Franca. In Tab. 5 werden diese Lösungsstrategien zusammengefasst.



Dolmetschende Begleitpersonen der PatientInnen Verwandte (auch Kinder), FreundInnen, Bekannte usw.