Katia Iacono

Dolmetschen im Medizintourismus


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ausreichend verständigen können, bevor sie mit ihnen den Behandlungsvertrag abschließen. Sprachbarrieren können ebenso die anschließende Behandlung beeinträchtigen, denn auch für diese benötigen ÄrztInnen bestimmte Informationen vonseiten der PatientInnen (vgl. Spickhoff 2010: 66). ÄrztInnen tragen immer die Beweislast, ob die PatientInnen die Erklärungen, die auf Deutsch vorgetragen wurden, verstanden haben, und ob sie die notwendigen Angaben machen konnten. Die sprachliche Situation wird allerdings nicht immer richtig eingeschätzt, denn in manchen Fällen schaffen es PatientInnen mit geringen Deutschkenntnissen, dem medizinischen Personal gegenüber den Eindruck zu vermitteln, dass ihre Sprachkenntnisse für eine erfolgreiche Kommunikation ausreichen (vgl. Bührig/Meyer 2015: 303). Ergeben sich Behandlungsfehler oder Schäden durch Sprachbarrieren, muss überprüft werden, ob diese hätten vermieden werden können (Kletečka-Pulker 2013: 54). Das Aufklären der PatientInnen kann auch anderen ÄrztInnen überlassen werden, doch tragen die delegierenden ÄrztInnen Anleitungs- und Aufsichtspflichten (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 65). Grundsätzlich ist dem nicht medizinischen Personal das eigenständige Aufklären nicht gestattet. Ein für medizintouristische Settings rechtlich relevanter Aspekt ist die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtes in den Fällen, in denen die Aufklärung einer/eines ihrer BürgerInnen in einem anderen Land nicht ausreichend war und aufgrund dessen eine Gesundheitsschädigung entstanden ist (vgl. Spickhoff 2010: 60). Der Zusammenhang zwischen Sprachbarrieren und der Wahrscheinlichkeit medizinischer Fehler wird auch von Wasserman et al. (2014: 2) thematisiert. Zu den möglichen Fehlerquellen zählen sie u.a. die Verwendung nicht qualifizierter Dolmetschender (Personen aus dem Familien- und Freundeskreis) und das Zurückgreifen auf medizinisches Personal, das nur über begrenzte Kenntnisse der Sprache der PatientInnen verfügt. Die AutorInnen der Studie weisen auf die Notwendigkeit hin, die Überwindung von Sprachbarrieren aus Sicht des Risikomanagements und weniger aus einem humanitären Blickwinkel zu betrachten.

      Das Gesetz schreibt in Österreich nicht vor, dass nur ausgebildete DolmetscherInnen beim Aufklärungsgespräch dolmetschen dürfen. Haftungsrechtlich gilt es allerdings zu klären, wer die dolmetschende Person beauftragt hat (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 66ff.). Ist das Krankenhaus der Auftraggeber, dann „ist ein etwaiges Fehlverhalten des Dolmetschers dem Träger der Krankenanstalt gem. § 1313a ABGB zurechenbar“ (Kletečka-Pulker 2013: 69). Um die Möglichkeit eines Regresses in Anspruch zu nehmen, muss bestimmt werden, ob die dolmetschende Person vom Krankenhaus beauftragt wurde, und ob das Fehlverhalten durch Fahrlässigkeit oder vorsätzlich erfolgte. Wenn externe DolmetscherInnen beauftragt werden, entscheidet die vertragliche Vereinbarung, ob ein Regress möglich ist. Dolmetschen MitarbeiterInnen des Krankenhauses, muss berücksichtigt werden, dass ihr Arbeitsauftrag arbeitsrechtlich nicht die Dolmetschleistung umfasst. Im Fall eines Schadens würde eine bestehende Versicherung diesen nicht decken, da die dolmetschende Person keine geeignete Ausbildung aufweist (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 65ff.). „Dies ändert an dem Umstand nichts, dass diese Personen auch als Erfüllungsgehilfen gem. §1313a ABGB dem Träger der Krankenanstalt zuzurechnen sind“ (Kletečka-Pulker 2013: 69). Werden dolmetschende Begleitpersonen eingesetzt, „darf der Arzt auf Richtigkeit und Vollständigkeit der Übersetzung vertrauen, soweit aufgrund der Reaktion des Patienten nicht das Gegenteil offenkundig wird“ (Kletečka-Pulker 2013: 63). Wenn ÄrztInnen bemerken, dass die dolmetschende Person selbstständig antwortet, ohne die Frage weiterzuleiten, oder dass die Dolmetschzeit viel kürzer als die Redezeit auffällt, sollte davon ausgegangen werden, dass die Dolmetschung nicht korrekt oder unvollständig ist.

      Abschließend kann festgehalten werden, dass die gängigsten Lösungsstrategien zur Überwindung von Sprachbarrieren wie der Einsatz einer Lingua Franca und das Dolmetschen durch Angehörige bzw. durch medizinisches und nicht medizinisches Personal nicht ausreichend sind, um PatientInnen- und ÄrztInnensicherheit zu gewährleisten. Die Förderung einer Translationskultur in den Krankenhäusern (vgl. Pöchhacker 2000a, Bührig/Meyer 2015: 303), durch die eine strategische und reflektierte Überwindung der Sprachbarrieren erfolgen kann, ist in allen medizinischen Settings notwendig.

      2.3 Rollen und Aufgaben der DolmetscherInnen in der Kommunikation

      Werden DolmetscherInnen zur Überbrückung von Sprachbarrieren eingesetzt, stellt sich die Frage, welche Rolle sie in der Kommunikation einnehmen und welche Aufgaben sie übernehmen (dürfen und sollen). Mit dem Rollenverständnis und der Rollenproblematik setzen sich neben der Translationswissenschaft (vgl. dazu Mason 1999, Angelelli 2004 sowie 2008, Allaoui 2005, Hsieh 2008, Hsieh/Kramer 2012, Mason/Ren 2012, Pöllabauer 2015) auch die Psychologie und die Soziologie auseinander. Das Rollenverständnis einer Person ist eng mit der Interpretation der eigenen Arbeit oder Tätigkeit verbunden und basiert häufig auf einer Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Eine Rolle besteht aus jenen Verhaltensweisen und Erwartungen, die in einem bestimmten sozialen Rahmen berücksichtigt werden sollten (vgl. Lee/Llewellyn-Jones 2014: 12). Bei der Rollendiskussion wird in der Dolmetschwissenschaft gelegentlich eine metaphorische Sprache verwendet, um zu beschreiben, was beim Dolmetschen gemacht wird (vgl. Roy 2002: 347); so werden DolmetscherInnen unter anderem als Sprachrohr bezeichnet. Solche metaphorischen Ausdrücke wurden laut Roy vor allem eingeführt, um den kognitiven Prozess – damals Hauptfokus der Dolmetschwissenschaft – zu beschreiben. In Bezug auf DolmetscherInnenrollen haben Metaphern laut Roy zwei Funktionen:

      On the one hand, these descriptions attempt to convey the difficulty of the simultaneous tasks in interpreting while reminding everyone that the interpreter is uninvolved on any other level; at the same time, the same descriptions encourage interpreters to be flexible, which usually means be involved. While descriptions and standards of ethical practice extensively, sometime exhaustively, list what interpreters should not do, they seldom, if ever, explain what interpreters can do, that is, explain what ‘flexible’ means. Consequently, no one really knows where to draw the line on the involvement of the interpreter. (Roy 2002: 347)

      Anfang des 21. Jahrhunderts beobachtete Roy, wie ethische Standards und Normen in erster Linie darauf eingingen, was DolmetscherInnen nicht tun dürfen. Das Gegenteilige – was getan werden darf – ließen sie stattdessen außer Acht. Nachstehend wird versucht, einige der bekanntesten Rollenverständnisse zusammenzufassen, auf die in der dolmetschwissenschaftlichen Rollendiskussion häufig Bezug genommen wird.

      Eines der ersten Rollenmodelle ist jenes von Jalbert (1998). Dieses beinhaltet folgende Rollenverständnisse: translator, cultural informant, culture broker or cultural mediator, advocate und bilingual professional. DolmetscherInnen mit einer Rolle als translator sorgen für einen rein sprachlichen Transfer. Im Fall des cultural informant helfen DolmetscherInnen dem medizinischen Personal, die PatientInnen besser zu verstehen, indem Erläuterungen kultureller Natur angeboten werden. Beim culture broker werden die Erläuterungen aus dem vorigen Rollenverständnis um die Kulturmittlung ergänzt. Hierbei sollen von den DolmetscherInnen für eine gegenseitige Verständigung aller Beteiligten auch soziokulturelle Hintergründe berücksichtigt werden. DolmetscherInnen, die im Sinne des advocate handeln, vertreten die Interessen der PatientInnen. Bilingual professionals sind durch tiefgreifende institutionelle und medizinische Kenntnisse in der Lage, das Gespräch mit den PatientInnen zu führen und die daraus gewonnenen Informationen anschließend an das medizinische Personal zu übermitteln.

      Eine ähnliche Unterteilung findet sich im Rollenmodell von Weiss und Stuker (1999: 258), bei dem vier idealtypische Rollen beschrieben werden: die wortwörtliche Übersetzung, die kulturelle Vermittlung, die PatientInnen-Fürsprache und die Co-Therapie. Bei der wortwörtlichen Übersetzung orientieren sich die DolmetscherInnen am Ausgangstext. Dabei geht es um eine rein sprachliche Übertragung des Gesagten, ohne die kulturelle Dimension zu beachten. Dies impliziert, dass kulturbezogene Begriffe oder Elemente, die nur durch Kulturkenntnisse vollständig zu begreifen sind, von den DolmetscherInnen unberücksichtigt bleiben. Die kulturelle Vermittlung ist hingegen auf das Vermitteln sowie Erklären jener sozialen und kulturellen Aspekte, die die Kommunikation beeinflussen können, ausgerichtet. DolmetscherInnen orientieren sich weniger am Ausgangstext und können durch die eigene Kulturkompetenz problematische Elemente erklären. Die PatientInnen-Fürsprache ist jenes Rollenkonstrukt, bei dem die DolmetscherInnen die Interessen der PatientInnen vertreten. Dabei wird von ihnen mittels einer