Katia Iacono

Dolmetschen im Medizintourismus


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(RL 2011/24/EU, Art. 8 Abs. 2 Buchstabe a) und für Behandlungen mit einem Risiko für die PatientInnen (vgl. RL 2011/24/EU, Art. 8, Abs. 2, Buchstabe b). 14 EU-Länder verlangen einen solchen Antrag vor der Behandlung für die im Artikel 8 Abs. 2 Buchstabe a beschriebenen Eventualitäten; allerdings hat kein einziges dieser 14 Länder die Kriterien für die Kostendeckeng im Rahmen einer Übernachtung in einem Krankenhaus definiert (vgl. Europäische Kommission 2015b: 4ff.). Darüber hinaus haben nur neun Länder spezifiziert, welche Kriterien für die Hochspezialisierung herangezogen werden, obwohl dies laut Richtlinie verlangt wird. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Antrags seitens der Krankenkasse kann je nach Herkunftsland 20 bis 150 Tage betragen (vgl. Europäische Kommission 2015b: 18). Diese Zeitspanne macht die langfristige Planbarkeit der Behandlung schwierig, da für eine Genehmigung in vielen Fällen die genaue Aufstellung der Kosten samt Datum der Behandlungen anzuführen sind. Einer der Gründe für eine positive Entscheidung seitens der Behörde im Herkunftsland sind die Kosten und die Verkürzung von Wartezeiten (vgl. Kirsch 2017: 31), während der Qualitätsfaktor nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Patientenmobilitätsrichtlinie sieht darüber hinaus vor, dass der Mitgliedsstaat, in dem die Behandlung erfolgt, PatientInnen aus anderen Mitgliedstaaten Informationen zur Verfügung zu stellen hat, anhand derer diese eine sachkundige Entscheidung treffen können (vgl. Spickhoff 2015: 17). GesundheitsdienstleisterInnen müssen detaillierte Informationen u.a. zu ihren Preisen und ihrem Zulassungs- oder Registrierungsstatus bereithalten. Dies bedeutet aber nicht, dass solche Informationen für PatientInnen mit einer anderen Sprache als jener des Ziellandes ausführlicher sein müssen (vgl. Spickhoff 2015: 17).

      Aufgrund der dargelegten Beschränkungen stellen die Beantragung und Organisation einer Auslandsbehandlung trotz des erleichterten Zugangs zur medizinischen Versorgung innerhalb der EU für PatientInnen nach wie vor eine große Herausforderung dar. In der von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie zur PatientInnenmobilität namens „Study on Public Service Translation in Cross-border Healthcare“ (vgl. Angelelli 2015) zeigte sich, dass PatientInnen, die der Sprache des Ziellandes nicht mächtig sind, trotz der erwähnten Richtlinie nicht den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben wie die im Zielland lebenden Menschen. Die gesetzlichen Bestimmungen der Europäischen Union enthalten keinen expliziten Hinweis auf die Zuständigkeit für die Zurverfügungstellung von Sprachdienstleistungen im Falle einer PatientInnenmobilität, was bedeutet, dass die PatientInnen selbst für die Beauftragung einer/eines DolmetscherIn oder einer/eines ÜbersetzerIn Sorge zu tragen haben (vgl. Angelelli 2015); darüber hinaus werden Übersetzungs- und Dolmetschkosten nicht zurückerstattet. Die fehlende gesetzliche Regulierung der Zuständigkeit sowie die nicht erfolgende Rückerstattung translatorischer Kosten können in manchen Fällen dazu führen, dass vonseiten der PatientInnen auf professionelle translatorische Leistungen verzichtet wird. Dies kann allerdings die Qualität und den Erfolg der medizinischen Behandlung negativ beeinflussen.

      1.4 Beweggründe für medizinische Reisen

      Die Beweggründe von PatientInnen im Medizintourismus unterscheiden sich hinsichtlich der Behandlung im Vergleich zu inländischen PatientInnen stark. Für Kirsch (2017: 13) bedarf es deswegen neben einer seriösen wissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens ebenso einer differenzierten Betrachtung dieser zwei PatientInnengruppen, die durch ihre „unterschiedlichen Motive bei der Auswahl einer Destination, differierenden Bewertungen und Bedürfnisse sowie die weitaus stärkere Heterogenität von Auslandspatienten“ (Kirsch 2017: 14) geprägt sind. In der medizintouristischen Fachliteratur ist bereits eine relativ genaue Beschreibung der Hintergründe medizinischer Reisen zu finden. Berg (2008) identifiziert folgende Beweggründe:

       medizinische Leistungen, die im Ausland kostengünstiger und oft sogar qualitativ hochwertiger in Anspruch genommen werden können

       PatientInnenmobilität innerhalb der Europäischen Union

       Aufstieg vieler Zielländer (wie Thailand) vom Billigtourismusland in Richtung hochwertigen Tourismus

       Bestrebung nach Rentabilität seitens der Krankenhäuser und Kliniken

       medizinische Unterversorgung in Entwicklungsländern

       lange Wartezeiten für chirurgische Eingriffe

      Illing (2009) und Quast (2009) fügen folgende Gründe für dieses Phänomen hinzu:

       aufgrund der Globalisierung der Sozial- und GesundheitsdienstleisterInnen möglich gewordene Behandlungen in einem anderen Staat, für die ein Antrag auf Rückerstattung der Kosten gestellt werden kann

       demografische Entwicklung und der damit verbundene Anstieg an Krankheits- und Pflegefällen

       restriktive Zuteilungspolitik des Staates und die konsequente Reduktion des Leistungsumfangs der kostenlosen medizinischen Behandlungen

       steigender Rationalisierungsdruck auf Krankenhäuser und die damit verbundenen Notwendigkeit, eine Behandlung an einem anderen Ort durchzuführen

       Investitionsbereitschaft der Menschen in die Gesundheit

       Ausbau von Flughäfen und die sich daraus ergebende vereinfachte Mobilität

      Reisewitz (2015: 14ff.) weist weiters darauf hin, dass medizintouristische Reisen nicht nur aufgrund der Reduzierung des Leistungsumfanges der gesetzlichen Krankenversicherung im Herkunftsland und aufgrund der neuen Möglichkeiten internationaler Mobilität, sondern auch zur Vermeidung langer Wartezeiten im Herkunftsland angetreten werden. Neben dem qualitativen Mehrwert der Auslandsbehandlungen werden „Komforterwägungen“ (Reisewitz 2015: 16) sowie das „Streben nach möglichst perfekter körperlicher Konstitution“ (Reisewitz 2015: 17) angeführt. Auch ExpertInnen im medizinischen Bereich befassen sich immer häufiger mit den Ursachen für Medizintourismus. So unterscheidet die „ÄrzteZeitung“ (vgl. Wallenfells 2015) hinsichtlich der Beweggründe für die PatientInnenmobilität drei Typen von medizintouristischen PatientInnen: PatientInnen, die auf eigene Kosten medizinische Behandlungen im Ausland mit höchsten Qualitätsansprüchen verlangen; PatientInnen, die im Ausland kostengünstige Behandlungen in Anspruch nehmen; PatientInnen, die aufgrund langer Wartelisten im Herkunftsland ins Ausland gehen und auf Kassenkosten (z.B. gemäß der Richtlinie 2011/21/EU) diese Eingriffe vornehmen lassen. Diese Differenzierung vernachlässigt aber jene Menschen, die eine Behandlungsreise aufgrund hoch spezialisierter Eingriffe unternehmen – z.B. jene Menschen, die wegen einer bionischen Handprothese nach Wien reisen, da diese Operation in ihrem Herkunftsland nicht durchgeführt wird – und sich dennoch der Patientenmobilitätsrichtlinie bedienen, um eine Teilerstattung der Behandlungskosten zu erhalten. Auch grenzüberschreitende Bewegungen von PatientInnen zwischen Nachbarländern lassen sich immer häufiger beobachten.1 Darüber hinaus weist Connell (2011 sowie 2015) darauf hin, dass neue Typen von medizinischen Reisenden beobachtet werden können: Menschen, die in Ländern wohnen, in denen gewisse Behandlungen unmöglich oder illegal sind (z.B. Abtreibungen, Fruchtbarkeitsbehandlungen u.a.) sowie Menschen, die zu einem früheren Zeitpunkt ausgewandert sind, aber später aus Kostengründen nur zum Zweck einer bestimmten medizinischen Behandlung (auch einer einfachen Gesundheitsvorsorge) in ihr Herkunftsland zurückreisen.

      Wie unter 1.3 bereits erwähnt, wurde das medizinische Reisen innerhalb der Europäischen Union mit der Patientenmobilitätsrichtlinie erleichtert. In diesem Zusammenhang fasst Kirsch (2017: 7ff.) die Ergebnisse der Umfrage „Eurobarometer 2015“ (Europäische Kommission 2015a) zusammen: 5% der Befragten aus allen EU-Ländern unterzogen sich einer spontanen oder geplanten Behandlung in einem anderen EU-Land, fast die Hälfte der Befragten konnte sich solch eine Behandlung innerhalb der EU vorstellen (vgl. Kirsch 2017: 18). 55% der Befragten, die sich keine Behandlung in einem anderen EU-Land vorstellen konnten, gaben als Grund Bequemlichkeit, Angst vor Verständigungsschwierigkeiten oder Unsicherheit betreffend die rechtliche Lage an (vgl. Kirsch 2017: 19). Darüber hinaus wurden die häufigsten Gründe für Behandlungen im Rahmen des Medizintourismus (vgl. Kirsch 2017: 19f.) erforscht: die Nichtverfügbarkeit der benötigten Behandlung im Herkunftsland (71%), die höhere Qualität der medizinischen Behandlung im Zielland (53%), der Wunsch nach namhaften SpezialistInnen, die die Behandlung durchführen (38%), sowie die Dringlichkeit der Behandlung (34%).