Katia Iacono

Dolmetschen im Medizintourismus


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zu widersprechen scheint, dass Medizintourismus überwiegend in Richtung günstigerer Destinationen verlaufen würde.

      1.5 Das medizintouristische Angebot

      Die Analyse des medizintouristischen Angebots unterscheidet sich je nach Definition des Begriffs Medizintourismus und Ausgangsdisziplin der Forschenden. Berg (2008) und Illing (2009) konzentrieren sich zum Beispiel auf den Gesundheitstourismus in puncto Wellness und beschreiben das umfassende Angebot, das von der Vermittlung der Reise über die Dienstleistungen von Kurorten und Bädern bis zu Beherbergungsmöglichkeiten reicht. Quast (2009) legt ihren Fokus auf den Medizintourismus von Deutschland aus in Richtung anderer Zielländer und analysiert unter anderem dessen Produkt,1 Infrastruktur und Distributions- und Kommunikationskanäle. Quast (2009: 28ff.) unterteilt das medizintouristische Angebot in primäre, sekundäre und tertiäre Angebote. Das primäre Angebot stellt das eigentliche Produkt dar: die medizinische Leistung. Im sekundären Angebot sind Zusatzprodukte enthalten, die zwar keinen rein medizinischen Zweck erfüllen, aber die Voraussetzung für den Erfolg der medizinischen Reise bilden. Beispiele der Produkte innerhalb dieser Kategorie sind die Klinik mit ihrer Einrichtung und Ausstattung, die Verpflegung, die kürzeren Wartezeiten im Vergleich zu den regulären Behandlungen, die Dolmetschleistungen, die Möglichkeit der Religionsausübung und die Berücksichtigung religiöser und kultureller Traditionen. Das tertiäre Angebot beinhaltet schließlich ergänzende Produkte wie die Erledigung der Reiseformalitäten für die Betroffenen und deren Begleitpersonen, die Betreuung vor Ort, die Organisation von Taxi- oder Bustransfers sowie Freizeitaktivitäten und Vor- und Nachsorge.

      1.5.1 Art der medizinischen Behandlung

      Die Identifikation der im Medizintourismus angebotenen Behandlungsarten ist nicht nur aufgrund der in zahlreichen Fällen fehlenden statistischen Zentralerfassung medizintouristischer Daten, sondern auch durch unterschiedliche Auslegungen des Begriffs Medizintourismus relativ schwierig. So ist eine strukturierte Präsentation der Behandlungsarten für das medizintouristische Zielland Österreich aufgrund fehlender Studien kaum möglich. Im Rahmen der Interviews mit vier medizintouristischen Fachexperten, die für die Untersuchung des Medizintourismus in Österreich von Klobassa (2016: 41ff.) geführt wurden, wurden folgende medizinische Bereiche erwähnt, die von ausländischen PatientInnen häufig angefragt werden: Chirurgie sowie Schönheitschirurgie, Herz- und Lungenchirurgie, viszerale Chirurgie und Onkologie. Darüber hinaus reisen zahlreiche PatientInnen für eine Vorsorgeuntersuchung oder Diagnoseüberprüfung nach Österreich (vgl. Kobassa 2016: 22). In seiner Unterscheidung zwischen dem qualitäts- und dem kostenorientierten Medizintourismus analysiert Berg (2008: 171ff.) die verschiedenen Behandlungsarten. Im qualitätsorientierten Medizintourismus, der Länder wie Deutschland, die Schweiz, Österreich, die skandinavischen Länder oder die USA als Behandlungsorte umfasst, gibt es insbesondere eine Nachfrage für komplizierte Eingriffe, die im Herkunftsland der PatientInnen aufgrund mangelhafter Versorgung oder veralteter Behandlungsmethoden nicht durchgeführt werden können. Die größte Nachfrage gibt es bei schweren Frakturen, Erkrankungen der inneren Organe, Herz-, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie kosmetischen Operationen (vgl. Berg 2008: 171ff.). Im kostenorientierten Medizintourismus, der durch eine Bewegung aus den oben genannten reicheren Ländern in Richtung günstigerer medizintouristischer Zielländer gekennzeichnet ist, unterziehen sich hingegen PatientInnen aus Gründen der Kostenersparnis einer Behandlung in Drittländern: Im Herkunftsland sind die Kosten der gewünschten Behandlungen zu hoch, weshalb sie sich für eine Behandlung im Ausland entscheiden. In manchen Fällen werden die Kosten sogar von der Krankenversicherung des Herkunftslandes erstattet. Bei dieser Art des Medizintourismus gibt es unter anderem eine Nachfrage für Zahnersatz, Kuren, Augenbehandlungen und Schönheitsoperationen (vgl. Berg 2008: 171ff.). Die vom österreichischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft beauftragte Studie „Gesundheitstourismus in Österreich 2014“ konzentriert sich in erster Linie auf touristische Angebote mit explizitem Gesundheitsbezug in Thermen und Kuranstalten (vgl. BMWFW 2014). Reine medizintouristische Angebote werden von der Studie außer Acht gelassen. Laut einer Umfrage des Eurobarometers 2015 (vgl. Europäische Kommission 2015a, Kirsch 2017: 20) wurden im Jahr 2014 innerhalb der Europäischen Union folgende Behandlungsarten im Rahmen des Medizintourismus häufig in Anspruch genommen: Onkologie (53% der Befragten), Herzchirurgie (38%), Zahnmedizin (28%), diagnostische Behandlungen (26%), Endoprothetik (Hüftgelenke und Knieprothesen) (19%), Behandlungen von grauem Star (17%).

      1.5.2 Dienstleistungskette im Medizintourismus

      Laut Quast (2009: 31ff.) ist zwischen drei Arten medizinischer Reisen zu differenzieren: Individualreisen, Pauschalreisen und der Inanspruchnahme individueller Angebote. Bei der Individualreise übernehmen die PatientInnen meist selbst die Organisation der Gesamtreise und greifen nur in speziellen Fällen auf die Unterstützung Dritter zurück. Bei der Pauschalreise wird den PatientInnen ein Komplettpaket offeriert, das auch maßgeschneidert sein kann. Im dritten Fall erstellen Reiseagenturen oder andere Vermittlungsinstanzen individuelle Angebote basierend auf den Bedürfnissen der PatientInnen.

      Unabhängig von der Art der Reise nehmen PatientInnen im Medizintourismus unterschiedliche Dienstleistungen in Anspruch, damit sie sich der gewünschten medizinischen Behandlung unterziehen können. Die sich daraus ergebende organisatorische Servicekette (vgl. Quast 2009: 31) besteht aus mehreren Dienstleistungen, die vor, während oder nach der medizinischen Reise benötigt werden. Vor der Reise erfolgen z.B. die Übermittlung von Informationen, die Buchung der Reise sowie der behandlungsrelevanten Termine und die tatsächliche Anreise. Während der Reise werden Dienstleistungen in Anspruch genommen, die mit der Unterkunft und Verpflegung sowie mit der medizinischen Behandlung im Zusammenhang stehen; in manchen Fällen werden auch touristische Aktivitäten angefragt.1 Nach der Behandlung erfolgen die Rückreise ins Herkunftsland und eine Nachbetreuung durch die medizinische Einrichtung.

      Die Erwartungen seitens der PatientInnen an die angebotene medizintouristische Leistung können je nach Art des betriebenen Medizintourismus stark variieren. Insbesondere bei Menschen mit einem höheren sozialen Status werden häufig Wünsche beobachtet, deren Erfüllung eine umfangreiche Planung und Koordination der medizinischen Reise erfordern. In seiner Untersuchung russischer PatientInnen in Deutschland stellt Juszczak (2017: 56) fest, dass von diesen neben den Behandlungsterminen und Check-ups bei verschiedenen SpezialistInnen auch Transfer- und Übernachtungsmöglichkeiten angefragt werden. Darüber hinaus wünschen sich viele PatientInnen eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch eine Pflegekraft sowie ein Unterhaltungsprogramm für die Begleitpersonen. In Tab. 1 werden die Erwartungen russischer PatientInnen nach Juszczak (2017: 50f.) zusammengefasst.

Starfaktoren Kritische Faktoren Optionale Faktoren Strategische Faktoren
(Hohe Wichtigkeit/hohe Zufriedenheit) (Mittlere Wichtigkeit/hohe Zufriedenheit) (Mittlere bis geringe Wichtigkeit/hohe Zufriedenheit)
Vorbereitung der Unterlagen (u.a. Übersetzung der Dokumente) Kommunikation in russischer Sprache und Dolmetschdienstleistungen Zimmerausstattung 24-Stunden-Erreichbarkeit
Unterstützung bei der Abrechnung Detaillierte Rechnungsstellung Russischsprachiges Personal in der Klinik
Reiseorganisation und Transfers Betreuung durch die VermittlerInnen
Nachbetreuung Freizeitgestaltung