wohl, Komtesse, so werde ich warten, bis ich mit Eurem Vater gesprochen habe.“
„Er ist frech,“ sagte Klotildis verdutzt, „komm, Wanda, wir wollen ihn stehen lassen und sehen, ob er dann nicht von selber fortläuft.“
Sie ging mit ihrer Freundin zurück zum Brunnen. Günther blieb ruhig auf seinem Platz. Da schallte das Geschrei des Polizisten durch den Wald:
„Er kommt! Der Oberst kommt! Haltet ihn! Haltet den Kerl! Der Oberst kommt!“
Der Soldat stürzte keuchend aus dem Walde, fand seine Lanze, stellte sich drohend vor Günther auf und sagte:
„Ich lass dich nicht entkommen, du Bursche!“
Günther nickte ihm lachend zu.
„Ja, wenn du willst, kannst du mich wohl an deine magnetische Lanze kleben!“
In diesem Augenblick trat eine hohe Gestalt aus dem Gebüsch. Ein Fünfziger mit energisch geformter Nase, starkem Kinn, dunklen, sehr ausdrucksvollen Augen und angegrautem Haar.
„Was geht hier vor? Wer seid Ihr? Was wollt Ihr auf dieser Insel?“
Er stellt die drei Fragen in schneller, herrischer Weise. Günther blieb ruhig. Er sagte:
„Ehe ich Euch Antwort gebe, möchte ich Euch fragen, ob Ihr der Besitzer dieses Geländes seid.“
„Nein!“
„Nun, so geht es Euch nichts an, warum und wieso ich hier bin, es sei denn, dass Ihr etwa als angestellter Nachtwächter ein Recht auf Eure Fragen hättet.“
Hei, flog der Degen des Schwarzen aus der Scheide.
„Wehre dich, du unverschämter Bursch!“
Darauf hatte Günther gewartet. Er hatte auf der Hochschule als einer der rauflustigsten Gesellen gegolten und lag im Nu im Anschlag.
Wieder schrillte ein Schrei über die Wiese, und Klotildis flog herbei und stellte sich mit blitzenden Augen dicht neben die Kämpfenden.
„Weiber weg!“ rief der Oberst und fuhr mit mächtigen Streichen seinen Gegner an. Der war ein Meister der Fechtkunst. Nach zwei Minuten schon klaffte dem Oberst eine tiefe Wunde über die Wange.
„Weiter!“
Abermals Minuten ergrimmten Kampfes. Dem Obersten rieselte das Blut vom Schädel.
„Weiter! Bursch, dich lohnt es abzustechen!“
Die Klingen klirrten, die Kämpfenden keuchten, das Mädchen stiess kurze, erregte Schreie aus, die Sängerin rang die Hände, der Polizist stand vorsichtig abseits, kein Erfolg hüben noch drüben, aber immer wilder wurde die Kampflust, immer kühner wurden Angriff und Abwehr. Nach langen Minuten erwies es sich, dass der Oberst die stärkeren Nerven hatte; kurz nachher sass seine Klinge in Günthers rechter Lunge.
„So! — So ficht ein Nachtwächter!“ rief der Sieger mit grimmer Freude. Dann beugte er sich über den Bewusstlosen.
„Es ist ein guter Kerl!“ sagte er voll Anerkennung, selber völlig erschöpft; „ruft den Grafen!“
„Kerl,“ schrie er den fassungslos dastehenden Polizisten an, „hol den Grafen, lauf schnell, oder ich schlag’ dich krumm und lahm!“
Da schulterte der Polizist Lukas seine Lanze und raste davon.
„Ist er tot?“ fragte Klotildis und beugte sich mit weit geöffneten Augen über Günther.
„Nein!“ sagte der Oberst; „der Stich sitzt hoch, dicht unter der rechten Schulter.“ Er öffnete Günther das Wams und drückte ein weiches Tuch auf die Wunde. —
Da kam eine langsam über die Wiese — die Blinde. Als der Oberst sie gewahrte, richtete er sich auf und stand stumm und steif. Die Blinde kam heran, beugte sich tief über den Verwundeten, suchte mit dem letzten Licht, das ihre Augen noch hatten, nach der Wunde, richtete sich dann empor und fragte mit hasserfüllter Stimme:
„Habt Ihr wieder einen auf dem Gewissen?“
Der Oberst lachte spöttisch.
„Jawohl, Madame! Es hat mich wieder einmal nach Menschenblut gelüstet, und so habe ich diesen unschuldsvollen Jüngling, der mir mit freundlichen Worten entgegentrat, über den Haufen gestochen. Ich empfehle ihn Eurer Pflege.“
Damit wandte er sich um und ging davon. Die Blinde kniete bei dem Verwundeten. Auch Klotildis kniete sacht nieder. Es war aber von ihrem Gesicht viel mehr Neugierde als Mitleid zu lesen.
„Was wird mit ihm?“ fragte sie gespannt.
Die Blinde antwortete auf die Frage nicht.
„Holt eine Trage,“ sagte sie.
Die Sängerin und Klotildis brachten bald eine der Tragen, wie sie zum Fortschaffen des Heues verwandt werden und zahlreich auf der Insel umherstanden. Sie legten den Verwundeten darauf.
„Nach dem Schusterhaus,“ gebot die Blinde, „das ist am nächsten.“
Klotildis und die Sängerin mussten je einen Holmen vorn an der Trage fassen, die hinteren beiden Holmen nahm die Blinde. So ging der stille Transport über die Wiese.
Inzwischen kam der Polizist Lukas angetrabt. Schon von weitem schrie er:
„Der Graf lässt sagen — ins Schusterhaus! Er kommt gleich mit dem Verband!“
Klotildis rief zurück, Lukas solle nicht so brüllen, er sehe doch, dass sie einen Schwerkranken trügen, und es sei ganz selbstverständlich, dass es zum Schusterhaus gehe.
Da kam Lukas mit seinen Siebenmeilenbeinen vollends heran, schulterte die Lanze und gab den Frauen und ihrer Last das Ehrengeleite.
Der Schuster, ein dürres Männlein mit eisgrauem Ziegenbart und spiegelblankem Schädel, fuhr aus seinem kleinen Haus heraus, und als er sah, was für einen stillen Gast er bekam, füllten sich seine treuherzigen Äuglein mit Tränen.
Günther wurde vorsichtig auf das Bett gelegt. Bald darauf kam der Graf. Er war von hoher Erscheinung und trug einen langen schwarzen Rock.
Schweigend beugte er sich über den Verwundeten, untersuchte seinen Zustand nach Art der Ärzte, legte einen Verband an und setzte sich dann an das Bett.
„Bis morgen früh bleibe ich hier!“ sagte er. „Wer pflegt ihn dann?“
„Ich!“ sagte die Blinde, die ganz in den Schatten getreten war, als der Graf eintrat.
Er nickte schweigend.
Zu seiner Tochter Klotildis und der Sängerin, die Hand in Hand an der Wand lehnten, sagte er nach einer Weile:
„Gehet nach Haus!“
Sie gingen. Und so war der Graf mit der Blinden bei dem Kranken allein. Der Schuster sass im Nebenzimmer auf einem Schemelchen und harrte geduldig, ob ein Befehl an ihn ergehen werde. Draussen wurde es finster; der Mond verschwand hinter den Wolken, die Grillen und die Unken schwiegen. Ein müder Nachtwind sang ums kleine Haus, darin ein junges Leben mit dem Tode rang.
Tiefe Stille. Nur ein wenig abseits vom Schusterhaus hörte man einen leise zählen: 888, 889, 890!
Der Polizist Lukas hatte die Gelegenheit benutzt, dem Schuster den Magnetstab zu entwenden, und strich damit seine Lanze.
Tausendmal!
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