Gefühlsausdruck lag, den nur Amalia Serran beherrschte und der Adams stets das Gefühl gab, zu Hause zu sein. »Schon klar. Und nach unserer Ankunft?« Sie hob fragend die Stimme.
Die beiden saßen in den recht bequemen Sesseln des Beiboots, das sie per Autopilot zum Mare Ingenii brachte. NATHAN sandte bereits einen Leitstrahl, der sie zum exakten Landepunkt führte.
Früher, dachte Adams ein wenig wehmütig, hätten sie mit einem einzigen Schritt zum Mond überwechseln können, aber Transmitter waren so gut wie nicht mehr im Gebrauch. Wegen der extrem hohen Hyperimpedanz verbrauchte diese Technologie nun große Mengen an Hyperkristallen, die ein seltenes Gut waren. Ganz davon abgesehen, dass jeder Durchgang ein Risiko barg, weil es in zwar geringem, trotzdem jedoch relevantem Maß zu Unfällen bei der Rematerialisierung kam. Damit zählte der Transmitter zu einer der vielen früher alltäglichen Technologien, die nur noch für Notfälle bereitgehalten wurden – wovon bei ihrer aktuellen Mission keine Rede sein konnte.
»NATHAN hat uns gebeten, die Patenschaft für sein Projekt zu übernehmen«, sagte Adams.
»Genauer gesagt hat er dich gefragt«, präzisierte Amalia.
»Und mir freie Hand gelassen, dich als Mit-Patin zu wählen.«
»Wie großzügig.«
Er lächelte. »Ich kenne NATHAN schon lange und ...«
»Ich habe es nie verstanden«, unterbrach sie.
»Was?«
»Wie man Gegenstände so personifizieren kann, dass man ihnen Eigennamen gibt. Raumschiffe. Schnittige Gleiter. Und Positroniken.«
»Es ist in der Handhabung viel einfacher«, sagte Adams.
»Und es treibt sogar erfahrene Leute wie dich dazu, so ein Ding zu vermenschlichen. Oder täusche ich mich da, Gershwin?«
»NATHAN auf einen bloßen Gegenstand zu reduzieren, geht an der Realität vorbei.«
»Aha.«
»Was willst du damit sagen?«
»Nichts«, meinte Amalia. »Nur: aha.«
Sie schwiegen, und er wusste nicht, ob er sich über ihre Ignoranz ärgern sollte oder darüber, dass er sich ertappt fühlte. Also entschied er, dieses Thema einfach beiseitezulegen. »Wie auch immer, wir beide sind Paten für NATHANS experimentelle Siedlung. Und für seine Kinder.«
»Roboter?«, vermutete Amalia.
»Vermutlich. Er hat nur eine Bezeichnung genannt – Ylanten. Nach seiner Tochter YLA.«
»Also dem Rechner, in dem NATHAN seine Tochter sah.«
»Einerseits ja – andererseits lässt sich auch YLA nicht darauf beschränken. Man nennt ... oder nannte sie das positronische Phantom. Eine zugegebenermaßen unwissenschaftliche Bezeichnung, die ich allerdings sehr treffend finde.«
»Da sollten wir auf die Ylanten wohl gespannt sein.«
Adams jedenfalls war es.
Das Beiboot landete wie angekündigt auf der Mondoberfläche, schleuste also nicht in einen der Bereiche unter Kuppeln und mit künstlicher Atmosphäre ein. Deshalb trugen die beiden Passagiere Raumanzüge.
Sie erhoben sich. »Schließ den Helm«, forderte er Amalia auf.
Für ihn gehörte es zu den gewohnten, völlig normalen Dingen des Lebens – was für sie absolut nicht galt. Sie war in Sachen Weltraumreisen unerfahren, hatte vor Kurzem, ebenfalls mit Adams, Terra zum ersten Mal mit einem Raumfahrzeug verlassen, um zum Mars zu reisen.
Wenige Augenblicke später sah sie ihn durch die Sichtscheibe des Helms an. »Ich fühle mich eingesperrt«, sagte sie.
»Man gewöhnt sich daran.«
»Das sehe ich nicht als erstrebenswert an.«
»Ach.« Er grinste. »Was tut man nicht alles, um seine Patenkinder zu besuchen?«
Sie verließen das Beiboot, mitten im Mare Ingenii auf Luna. Diese Gegend befand sich weitgehend noch immer im ursprünglichen Zustand. Normalerweise hätte im gesamten gewaltigen Krater – Adams wusste, dass er 282 Kilometer durchmaß – momentan Finsternis geherrscht. NATHAN sorgte jedoch für etwas Helligkeit. Aus dem Boden flutete im Umkreis um den Landeplatz an etlichen Stellen Licht, wie von Scheinwerfern. So konnten die beiden Gäste einige Hundert Meter weit sehen.
Sie standen inmitten von dunkel-kargem Basaltgestein, das eine schier unendliche Felswüste formte. Ein helles, wirbelförmiges Gebilde wirkte wie ein Fremdkörper – ein Swirl, vor Ewigkeiten auf natürlichem Weg entstanden und mit dem stärksten lokalen Magnetfeld des Mondes verknüpft, das eben hier im Mare Ingenii lag. Ob NATHAN deshalb ausgerechnet diesen Krater gewählt hatte?
Am Rand des beleuchteten Bereichs begann ein tieferer Einschlagkrater, dessen Ende sich jedoch in der Finsternis verlor. Unter Adams' Füßen sah es aus, als hätte das Gestein Blasen geschlagen und kleine, natürliche Röhren geformt, manche gerade einmal fingerdick.
Amalia sah sich um und ließ den Eindruck offenbar ebenso auf sich wirken wie er. Karg, still und tot ... aber in der lautlosen, erstarrten Weite trotzdem auf unbestimmbare Weise erhebend.
»Und jetzt?«, stellte sie nach einigen Minuten die durchaus berechtigte Frage über Helm-zu-Helm-Direktfunk; es gab keine Atmosphäre, die Schallwellen hätte übertragen können.
Die Antwort kam bronzefarben.
*
Die Gestalt war menschenähnlich, und sie erinnerte weniger an einen Roboter als vielmehr an eine elegante, sich eigenständig bewegende Gliederpuppe. Sie bewegte sich nach Menschenart; die Arme schlenkerten bei jedem Schritt an den Seiten des schmalen Körpers. Auf Geschlechtsmerkmale hatte der unbekannte Designer – wahrscheinlich NATHAN selbst – verzichtet.
Die gesamte Oberfläche schimmerte matt bronzefarben. Teile sahen verwittert aus, ähnelten eher altem, knorrigem Holz als Metall. Ein Gesicht gab es nicht; der Kopf glich einer an der Vorderseite etwas abgeschliffenen Kugel.
»Wir bekommen Besuch«, sagte Adams zu Amalia, und als er den Blick wieder zu dem Gliederpuppen-Roboter richtete, sah dieser ihn aus blaugrauen Augen an. Die Iriden waren ungewöhnlich groß, und es gab keine Brauen, aber der Anblick kam Adams sofort bekannt vor.
Im nächsten Augenblick formte sich eine Nase, ein Mund, und als die Puppe redete, blitzten weiße Zähne auf. Unheimliche Momente, in denen das Gesicht binnen weniger Sekunden entstand.
»Ich heiße euch willkommen«, sagte die Gestalt über Funk.
»Sprichst du für NATHAN?«, fragte Adams.
»Ich kann Vater nicht ersetzen und stehe nicht für seine volle Weisheit, aber er hat mich geschickt, ja.« Die Stimme klang sanft und zutiefst menschlich. Adams fühlte sich an einen jungen Mann erinnert – oder eine Frau, seltsam, er konnte es nicht bestimmen. Mehr noch, die Sprachmelodie ließ unwillkürlich einen Charakter entstehen; einen Menschen, der die Natur liebte und Einsamkeit, der um allgegenwärtige Probleme wusste, aber nicht daran verzagte. »Ich bin der erste Ylant.«
»Hast du einen Namen?«
Die Gliederpuppe kam einen Schritt näher, die Bewegung sah elegant und weich aus. »Mein Vater hat mir keinen verliehen. Ich bin ein Ylant, genügt das nicht?«
»Doch, es genügt«, versicherte Amalia. »Dein Gesicht erinnert mich an meinen Begleiter und an mich.«
»Das hast du gut beobachtet«, sagte die melodiöse Stimme. »Ich dachte, es könnte euch helfen, mich zu verstehen, wenn ich äußere Merkmale nutze, die ihr kennt. Die Vermischung und leichte Verfremdung sollte gleichzeitig verhindern, dass der Eindruck entsteht, ich würde eure Privatsphäre verletzen. Ich kann die holografischen Systeme der Projektion auch neu einstellen, falls ihr das wünscht.«
Amalia schüttelte den Kopf. »Du bist sehr gut, wie du bist.«
Der Ylant