Spiegel sind alle gesichert. Die zwölf Häuser haben dafür gesorgt, dass es keine Kontaktpunkte mehr zwischen den Ländern gibt. Es ist, als herrsche Krieg.«
»Inés weiß, dass Angelo noch dort draußen ist«, sprach Nic leise. »Sie und Chavale glauben jedoch, dass du und ich tot sind. Das könnte ein Vorteil sein.«
»Eben. Deshalb wollte ich keine Aufmerksamkeit erregen. Wenn Angelo gefangen genommen wurde oder das sichere Haus infiltriert ist, würden Inés und Chavale es sofort erfahren.«
Was die Frage aufwarf, wie es weitergehen sollte.
Sie lagen schweigend nebeneinander, berührten sich, versanken im Blick des jeweils anderen. Es war ein Moment des absoluten Friedens. Mochte die Welt außerhalb des Raumes auch tausendmal untergehen, sie waren hier. Gemeinsam.
Selbst Nox schien die Erhabenheit des Augenblicks zu spüren und schwieg.
»Ich liebe dich«, flüsterte Nic.
»Und ich liebe dich.« Liz schenkte ihm ein wunderschönes Lächeln, das ihre Augen zum Leuchten brachte, jedoch nicht über die Müdigkeit hinwegtäuschen konnte.
Die Sonne versank und die Dämmerung tauchte das Hotelzimmer in ein Spiel aus Zwielicht und Schatten. Sie rückten näher zusammen, kuschelten sich aneinander.
Nics Lider wurden schwer und er ließ sich davontragen in einen wohligen Schlaf. Sein Körper verlangte ebenso nach Rast wie sein Geist. Tatsächlich blieb er von Albträumen verschont und schlief die gesamte Nacht hindurch. Als er am Morgen erwachte, kam Liz gerade zurück.
»Wo warst du?«, fragte er verschlafen.
»Ich gebe dir einen Tipp.« Sie beugte sich zu ihm und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. »Brötchen und Croissants für mich, eine riesige Tasse Kaffee für dich.«
»Das muss der Himmel sein.«
»Hoffentlich nicht.« Liz blickte sich skeptisch um. »Da würde ich zumindest Zimmerservice erwarten.«
»Snob«, sagte Nic mit einem Gähnen.
»Oh, das wird wohl doch nichts mit dem Kaffee.«
Ruckartig setzte er sich auf. »Darüber macht man keine Witze.«
Sie kicherte. »Aber es wirkt so gut.«
Liz schaltete die Kaffeemaschine ein, die in der Ecke stand, und legte die mitgebrachten Gebäckstücke auf einen Teller. In den letzten Tagen hatte sie eindeutig vorgesorgt, denn aus dem Kühlschrank der Minibar förderte sie Butter und Marmelade zutage.
»Ich vermisse mein Porridge«, seufzte sie. »Was tut man nicht alles, um länger am Leben zu bleiben.«
Liz wirkte frisch und ausgeruht, roch nach Duschgel und Bodylotion. Ihr schulterlanges blondes Haar glänzte. Ihre Jeans hatte ebenso wie der Pulli garantiert einen Reinigungszauber erlebt.
Nic nahm die gefüllte Kaffeetasse entgegen. Genüsslich sog er den Duft ein, trank einen riesigen Schluck. »Wo ist Nox?«
»Keine Ahnung. Er war fort, als ich aufgewacht bin.«
»Hast du keine Angst, dass er uns verrät?«
»Wenn er es bisher nicht getan hat, dann können wir nur hoffen, dass es so bleibt«, erwiderte Liz. »Immerhin hat der Dämon ihn behandelt wie Dreck. Hättest du Nox nicht freigelassen, wäre er auch nach deinem Tod an deinen Körper gebunden gewesen. Das kollabierende Gefängnis hätte ihn ausgelöscht. Er zeigt es vielleicht nicht, doch ich glaube, er ist dir dankbar.«
»Das Wort kennt er vermutlich nicht mal.« Nic schnaubte. »Dieser verlauste Wasserspeier kann zu seinen Leuten zurückkehren, damit die ihn erledigen.«
»Du magst ihn.«
»Kein Stück.«
Liz grinste. »Das ist so niedlich.«
»Lass das.«
»Schon gut, du musst es nicht zugeben.«
»Da gibt es nichts zuzugeben!« Kurzerhand verlegte sich Nic auf schweigsames Kaffeetrinken.
Liz gab ihm ein paar Minuten, um wach zu werden. Nachdem sie ein Brötchen vertilgt hatte, erwachte ihr Tatendrang – was er bereits befürchtet hatte. »Also, ich habe nachgedacht.«
»Und natürlich schon einen Plan ausgeheckt.« Nic behielt die Tasse sicherheitshalber in der Hand. So konnte er vorgeben zu trinken, um eine Antwort hinauszuzögern.
»Offensichtlich hat dein Dad diese Sache weit vorausgeplant.« Liz bestrich ein Brötchen mit Marmelade und schob es ihm zu.
»Das wird meine Laune jetzt nicht verbessern, hab ich recht?«
»Du hast Kaffee und Zucker, sei brav.« Sie grinste überaus frech. »Du sagst, dein Dad habe das Schicksal verändert und dich erschaffen. Er wusste anscheinend, dass das zu einem zweiten Regnum führt.«
»Er ist ein Irrer mit Allmachtsfantasien.«
»Nic, ehrlich.« Liz schenkte ihm einen mitleidigen Blick. »Versuch das große Ganze zu betrachten.«
Er trank aus seiner Tasse.
»Ja?«, hakte Liz nach.
»Ich trinke.«
»Die Tasse ist leer. Ich kenne deine Taktiken.«
Seufzend stellte er sie ab. »Er hatte trotzdem kein Recht dazu.«
»Du lebst dank dieser Tat. Und wenn es stimmt, dass es ohne dich auch zu einem zweiten Regnum gekommen wäre, einem, bei dem kein Schicksalswächter mehr übrig ist … Dann war dieser Weg der einzig mögliche.«
Dummerweise hatte Nic keine Gegenargumente. »Vermutlich hast du recht. Trotzdem hätte er mich einweihen können.«
»Das ist eben die Frage. Wie weit hat er all das vorausgesehen, vorausgeplant?« Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster. »Was ist damit gemeint, du sollst durch seine Augen sehen?«
»Vielleicht spielt das auf Janes Talent als Leibwandlerin an. Sie hat sich schon einmal an Inés gehängt, um in Akantor einzudringen.«
»Dazu müsste Jane ihren Geist durch die Schatten an ihn heften. Das ist unmöglich. Akantor ist gesichert. Wir haben es damals nur geschafft, weil Inés es wollte.«
»Dann habe ich keine Antwort.«
»Aber die müssen wir finden, und zwar schnell.« Liz wandte sich ihm wieder zu. »Mit jedem Tag festigt der Dämon seine Macht und Inés höhlt jede mögliche Gegenwehr aus.«
»Irgendwann werden die Schicksalswächter es begreifen.«
Liz lächelte traurig. »Nic, du glaubst doch nicht wirklich, dass Inés sie am Leben lässt?«
»Sie wurden offiziell gefangen genommen. Jeder weiß das.«
»Die Wächter haben längst weitreichende Vollmachten.«
»Sie unterstehen dem Rat.«
»Nur auf dem Papier. Ich glaube kaum, dass noch irgendein Schicksalswächter lebt. Sie wären für Inés und den Dämon zu gefährlich.«
Der Gedanke erschütterte Nic bis ins Mark. Besaß sie tatsächlich bereits so viel Macht? Hatte sie alle Überlebenden aus dem 13. Haus getötet? »Sie besitzen keine Fähigkeiten mehr.«
»Sie besitzen Wissen. Das ist gefährlich genug. Und es dürfte nicht schwer sein, sie ebenfalls des Verrats zu bezichtigen.« Traurig erwiderte Liz seinen Blick. »Die Zeit arbeitet gegen uns.«
Irgendwo saß der Dämon mit dem Äußeren von Egmont Chavale wie eine Spinne im Netz. Machtlos mussten sie mit ansehen, wie er an den Fäden zog und die magische Welt Stück für Stück untergehen ließ.