werden. Jede Krise beinhaltet das Potential, Fremdbestimmung aufzuzwingen. Diesem Impetus sollten ACT-orientierte Therapeutinnen und Therapeuten nicht blind folgen, sondern auch hier vorerst zurückmelden, dass diese Krisenhaftigkeit einen gewissen Druck überträgt, und dann z. B.zurückfragen, welche Handlungsoption für die Patientin oder den Patienten eine HIN-Option und welche eine WEG-Bewegung darstellt.
Wie kann das Team mit nachvollziehbaren Wünschen oder Vorwürfen der Patientinnen und Patienten umgehen?
Wir als Behandelnde möchten schlussendlich auch, dass es der Patientin oder dem Patienten besser geht. Umso schmerzlicher und kränkender kann einen eine Aussage wie »Aber ich komme doch in Behandlung, damit es mir besser geht…« treffen, was unreflektiert zu einem Gegenvorwurf (z. B. »Machen Sie nun doch endlich täglich ihre Achtsamkeitsübungen!«) führen kann. Damit ließe sich die Behandlerin oder der Behandler in der Regel aber selber auf eine WEG-Bewegung ein. Abhilfe schafft das achtsame Erkennen, dass auch wir immer wieder in derartige Fallen tappen können. Es ist schwierig, jeden Tag mit Leid konfrontiert zu sein. Wie gerne möchten Professionelle hilfreich sein und sehen, dass es der Patientin oder dem Patienten besser geht. Zudem werden die Behandlungsfortschritte mit Befindlichkeitsfragebögen geratet, d. h. schlussendlich kann der Druck bestehen, dass der Behandlungserfolg in der Statistik ersichtlich wird. Statt Selbstkritik empfiehlt sich für ACT-orientierte Behandlungsteams die eigene ACT-Praxis, d. h. etwa ein kurzer Bodyscan, um sich dem Moment gewahr zu werden, oder die Praxis von Selbstmitgefühl. Entlastend kann es zudem sein, der Patientin oder dem Patienten empathisch zu vermitteln, dass wir gerne seinen oder ihren Schmerz (oder Angst, Traurigkeit etc.) wegnehmen würden, dass dies aber leider aus der Erfahrung heraus nicht (vollständig bzw. langfristig) funktioniert und wir daher mit ihr oder ihm neue Wege des Umgangs erforschen wollen.
Was tun, wenn Behandelnde zu früh zu viel wollen?
Besonders am Anfang der Behandlung sieht die Patientin oder der Patient das Problem als erratischen Block und hat meist kaum Zugang dazu, dass die eigenen Konzepte über das Problem und die automatisierten Reaktionstendenzen etwas sind, was das Problem vergrößert. Gleichzeitig ist es nur menschlich, wenn Behandelnde auf raschen Fortschritt in der Behandlung hoffen, z. B. Akzeptanz der Patientinnen und Patienten für ihre Probleme »erwarten«, selbst wenn diese noch zu stark mit hinderlichen Gedanken fusioniert sind. Als eine Art »Fallstrick des Absolutismus« kann es daher therapeutisch hinderlich sein, in diesem fusionierten Zustand Akzeptanzbewegungen vorzuschlagen bzw. von der Patientin bzw. dem Patienten zu verlangen. Dies kann, selbst wenn konkrete Zielvorstellungen bei der Patientin bzw. bei dem Patienten vorhanden sind, diese unerreichbar erscheinen lassen. Patientinnen und Patienten könnten sich dann nicht ernst genommen, nicht verstanden oder gedrängt fühlen, was zu therapieschädigendem Verhalten, Therapieabbrüchen oder sogar zu suizidalen Handlungen führen könnte. Aus der Erfahrung ist es in einem frühen Stadium der Behandlung von Vorteil, wie beim Entwirren eines Wollknotens an mehreren Seiten anzusetzen und bereits alle drei Hauptprozesse (Präsent sein – Sich öffnen –Tun, was wichtig ist) einfließen zu lassen: Neben der »Kreativen Hoffnungslosigkeit« bereits Übungen zum Wahrnehmen im Hier und Jetzt anzubieten und dabei die momentane Erfahrung zunächst auf neutrale oder angenehme Körperempfindungen zu lenken. Hier können die im sogenannten Fokussing oft verwendeten Freiraumübungen (Päckchenpacken, guter Ort im Körper, Partialisieren; vgl. Kersig 2014) hilfreich sein. Es geht nicht von Anfang an um ein Wegschaffen der Probleme oder ein direktes Löschen der (teilweise langjährigen) Kontroll- oder Vermeidungsstrategien, sondern erstmal um ein Distanz- und Raumschaffen. Auch die Prozesse Werte und engagiertes Handeln können früh (und mit Fokus auf dem Hier und Jetzt) angewendet werden und den herausfordernden Prozess der Öffnung entlasten; eine von den Patientinnen und Patienten hierzu sehr geschätzte Übung ist beispielsweise die Bohnenübung (siehe Kasten). Von Beginn an alle Prozesse in den Therapieprozess einzubauen hilft somit, sich individueller den Möglichkeiten der Betroffenen anzupassen.
Suizidalität
Nach Chiles und Strosahl (2004) wird Suizidalität aus der ACT-Perspektive als Lösungsversuch für unerträgliches, unvermeidbares und unaufhörlich erlebtes Leid gesehen. Nur Menschen sind Kraft ihres Denkens in der Lage, Vorstellungen durch Bezugsrahmungen (Tod = kein Leiden) zu bilden. Die Herangehensweise ist hier, das momentane Leiden anzuerkennen, die Fluchtsuche des Kopfes mit Verständnis einzuordnen (z. B. »Das schlägt der Kopf vor«), aber empathisch auf die Konsequenzen mit Bezug zu den Werten der Patientin oder des Patienten hinzuweisen (z. B: »Dann verlieren Sie auch den Kontakt zu Ihren Kindern«) und vorzuschlagen, in der Therapie andere Umgangsmöglichkeiten mit dem Schmerzvollen zu erarbeiten. Äußern Patientinnen oder Patienten im stationären Rahmen drängende Suizidgedanken oder Suizidwünsche oder sind gar erste Planungsschritte eruierbar, so rückt für die Therapeutin oder den Therapeuten die ACT-Haltung mit sich selbst und der Umgang mit dem eigenen Erleben in den Fokus. Um sich selbst in solch akuten Situationen weiterhin offen, präsent und achtsam der Frage hingeben zu können, was nun das beste Vorgehen für die Patientin oder den Patienten und andere Betroffene darstellt – im Gegensatz zu eigenen Vermeidungsmotiven wie der Angst vor einer falschen Entscheidung oder der Fusionierung mit früheren Erinnerungen usw. – ist es für Fachpersonen wichtig, das ACT-Rational gleichermaßen auf sich selber anzuwenden.
Bohnenübung (Quelle unbekannt)
Die Geschichte handelt von einem Grafen, der ein Lebenskünstler par excellence war. Er trug stets Bohnen in der rechten Hosentasche. Passierten auch noch so kleine Dinge, die ihm wichtig und wertvoll waren, sein Herz berührten – sei es ein gutes Gespräch, die ersten Frühlingssonnenstrahlen oder eine gute Tasse Kaffee – so wanderte eine Bohne in die linke Hosentasche. Abends zählte er die Bohnen in der linken Tasche und durchlebte noch einmal den berührenden Moment. Und war auch nur eine Bohne gewandert, so hatte es sich gelohnt, den Tag zu erleben.
Über diese Übung lässt sich mit den Patientinnen und Patienten in ein Gespräch darüber kommen, was sie berührt und ihnen am Herzen liegt, sodass wir das Thema »Werte« einführen können. Gerne berichten die Patientinnen und Patienten dann immer wieder von ihren »Bohnenmomenten«.
5.5 Was ist das Wichtigste für den klinischen Alltag – Fazit und Ausblick
• Für den Einsatz der ACT im stationären psychotherapeutischen Setting spricht vor allem der flexible und störungsübergreifende Behandlungsansatz.
• Es gibt kein manualisiertes Vorgehen der ACT im stationären Setting und viele Implikationswege sind möglich, weshalb es als therapeutische Grundausrichtung in jeden Behandlungskontext integriert werden kann.
• Die therapeutische Grundhaltung (z. B. Krankheitsverständnis, therapeutische Sprache und Umgang mit psychischem Leiden) wird als Hauptmerkmal und Besonderheit der ACT hervorgehoben.
• Um diese Haltung möglichst in alle Bausteine der integrierten psychiatrischen Behandlung einzubinden, wird eine gemeinsame Schulung des gesamten interdisziplinären Behandlungspersonals empfohlen.
Literatur
Bach P, Hayes SC (2002) The use of acceptance and commitment therapy to prevent the rehospitalization of psychotic patients: a randomized controlled trial. J Consult Clin Psychol 70: 1129–1139.
Benoy C, Bader K, Schumann I (2015) Akzeptanz- und Commitment-Therapie: ein transdiagnostischer Ansatz. PSYCH Up2date 9: 237–255.
Benoy C, Meyer A, Knitter B, Pinhard K, Walter M, Gloster AT (2019) Akzeptanz- und Commiment-Therapie mit therapieresistenten Störungen im stationären Setting. Eine Beobachtungsstudie. Z Klin Psychol Psychother 48(2): 90–100.
Benoy C, Schumann I (2015) Behandlung von Zwangserkrankungen: Zur Indikation eines stationären Settings. Psychiatrie & Neurologie 4: 2–4.
Chiles JA, Strosahl K (2004) Clinical Manual for Assessment and Treatment of Suicidal Patients. Washington, D.C.: American Psychiatric Association Publishing.
Clarke