Jahre alt, als er wusste, dass seine Mutter ihn nicht liebte. Nachdem er von dem Baum gefallen war, sprach er wochenlang nicht mit ihr – das schien ihnen beiden zu passen. Er vergaß nie ihren hohlen Blick, wie sie sein Schmerz nicht kümmerte. Haley wäre nicht so. Wie er, suchte sie nach Liebe.
Haley, ich bin genau hier und ich bin genau, was du willst.
Die zwei Mädchen plauderten und Haleys Stimme beruhigte ihn in einen Zustand der Zufriedenheit, denn er wusste, dass sie beide bald ein Date hätten.
Sein Verstand trieb zu einer Nacht im Februar, als er zwölf war, eine bittere Nacht, die sein Leben auf einigen Ebenen veränderte. Es war beinahe neun Uhr, als ein Klopfen an ihrer Tür erklang. Er sprang auf, begierig auf jedwede Ablenkung, um den trostlosen Abend allein mit seiner Mutter zu unterbrechen.
»Öffne nicht die Tür, Martin«, sagte sie. »Sieh zuerst nach. Wer ist es?«
Tief in dem Moment konnte er klar ihre Stimme hören, konnte in seinem Geist sehen, wie seine Hand langsam den Türgriff berührte. Er drückte sein Auge auf das Guckloch der Tür. Draußen und beinahe außer Sicht waren zwei dunkle Gestalten, ganz eingemummelt.
Ihre Gesichter waren versteckt. Ein instinktiver Teil von ihm wusste sofort, dass diese beiden nichts Gutes im Sinn hatten. Seine Hand zog sich vom Türgriff zurück.
Hinter ihm saugte seine Mutter an ihren Zähnen. »Also?«, fragte sie, ihre ständige Verachtung eine vernichtende Zurückweisung seiner bloßen Existenz. Er atmete aus und legte seine Stirn vorsichtig auf die Tür, während er darum kämpfte seinen Zorn zu kontrollieren.
Mein ganzes Leben und du konntest dich nicht dazu bewegen mich zu lieben.
Er verlor den Kampf, sein Zorn übernahm. Er drehte den Griff und öffnete die Tür, ließ sie hinein. Was er in dieser Nacht gelernt hatte, verließ ihn nie. Er lernte den Wert der Furcht und des Verlangens und er entdeckte, dass alle Barrieren durchdrungen werden konnten, auf die eine oder andere Weise.
Im Café stand Haley auf und ihr Stuhl knallte in seinen, rüttelte ihn aus seinen Erinnerungen. »’Tschuldigung«, sagte sie lächelnd. In seinem Geist blieb sie und sprach mit ihm. Während einem weiteren Latte wurden sie schnell zu Freunden und gingen Hand in Hand.
»Oh, kein Problem«, stieß er hervor, aber sie hatte sich bereits umgedreht, um hinauszugehen. Seine Worte verklangen zu einem Murmeln und er schaute nach unten, die Augen gegen den Schmerz der Zurückweisung fest zusammengedrückt.
Haley, bist du die Eine?
Am nächsten Morgen starrte Dreya auf die Mordtafel in ihrem Büro, suchte nach diesem einen Stück, das zu einem Hinweis werden würde. »Ich habe nichts.«
Simon stand neben ihr. »Abgesehen von den körperlichen Ähnlichkeiten waren diese Frauen Fremde. Eine Kellnerin, eine Verkäuferin, eine Sekretärin, eine Hochzeitsplanerin und eine Veterinärtechnikerin. Keine hatte ein Haustier, keine hat im Geschäft der Verkäuferin eingekauft, keine aß bei der Arbeit der Kellnerin, keine war mit irgendeiner der anderen befreundet, auch nicht auf irgendeine Weise verwandt, keine von der Planerin verheiratet.«
»Haben die irgendetwas auf den Computern oder Handys gefunden?«, fragte sie.
»Ich habe bei der Asservatenkammer angefordert, dass deren Handys geliefert werden. Die einzige Anmerkung ist –«
»Feste Freunde«, platzte Dreya heraus. »Keine dieser Frauen hatte einen festen Freund. Sind wir sicher, dass sie nicht nebenbei einem Geschäft nachgingen?«
»Genau«, erwiderte er. »Keine Freunde, aber nicht im Geschäft. Die letzten drei hatten Profile auf einer Online-Dating-Seite.«
»Welcher?«
»AlleyOop.«
Sie kniff sich in den Nasenrücken und schüttelte ihren Kopf. »Du machst Scherze, oder?«
»Ich scherze niemals über die Liebe, Prinzessin«, sagte er.
»Na ja, jetzt haben wir zumindest eine Verbindung zwischen den Opfern. Haben wir irgendwelche Interessenten, irgendwelche, wie nennen sie das, Verbindungen?«
Andy, ein Techniker der IT, klopfte an ihre offene Tür. Bald wurden sie von einer Anordnung von Tablets, Laptops und Handys umgeben.
»Okay, Andy, was können Sie uns zeigen?«, fragte sie.
»Die letzten drei, Madison, Jenny und Tanya, hatten alle Profile auf AlleyOop, aber keiner ihrer Kontakte ging über Nachrichten hinaus.« Er ging zu jedem Gerät und tippte. Bald reihte sich eine Auslage an Gesichtern und Nachrichten auf.
»Die Profile unserer Opfer sind noch oben. Wie Sie sehen können, gibt es nur das zwanglose Hallo und Lass uns treffen, aber nichts zu Ende geführt.«
»Irgendwelche gemeinsamen Namen zwischen den Opfern?«, fragte sie halbherzig. Sie hatte noch ein bisschen Hoffnung, denn dieser Killer war zu organisiert, um einen solch offensichtlichen Fehler zu erlauben.
»Nein. Entschuldigung. Wollen Sie eine Liste?«
»Müssen irgendwo anfangen«, sagte sie. »Schicken Sie mir alles über sie alle von Alley Oop.«
»Wir sind darin begrenzt, wie tief wir gehen können, aber wir haben Zugriff auf die Online-Interaktionen unserer Opfer. Ich kann Ihnen deren Benutzernamen, oder Alias, und deren echte Namen und Adresse geben.«
Der Drucker begann die Seiten auszuspucken, aber es war eine kurze Liste. Sie gab zwei Seiten an Simon und Quinn. »Geht und erschüttert deren Welt. Rhys und ich werden mit denen sprechen.«
Es war 17.30 Uhr, als sie und Rhys zu ihrem letzten Namen kamen. »Robert Harrison«, sagte Dreya.
Sie schaute auf den schlichten Wohnkomplex; kein innerer Alarm ging los. »Na ja, es ist ein Zahlenspiel. Früher oder später stoßen wir auf unseren Killer. Vielleicht ist er hier und wird diese Tür öffnen.« Rhys stand an ihrem Rücken; ihre Worte brachten eine Spitze der Anspannung von ihm. Sie klopfte. Die Tür öffnete sich. »Mr. Harrison?«
»Ja?«
Ein Blick auf ihn und ihre Hoffnungen fielen unverzüglich in sich zusammen, aber sie zeigte ihm ihre Gürtelmarke. »Mr. Harrison, ich bin FBI Special Agent Dreya Love, das ist Detective Morgan. Wir möchten gerne mit Ihnen sprechen.«
Er spähte genau auf ihre Marke und Morgans Ausweis, bevor er sie kurz musterte. »In Ordnung, kommen Sie herein. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Rhys seilte sich ab und durchkreuzte das Zimmer, überließ es ihr Mr. Harrison zu befragen. »Sir, Sie haben einen Online-Dating-Account auf AlleyOop?« Sie legte ein Foto auf den Tisch, welches sie von AlleyOop erhalten haben; ein junger, athletischer junger Mann lächelte. »Sind Sie das?«
»Natürlich bin ich das nicht«, entgegnete Harrison. »Können Sie das nicht sehen? Sind Sie blind? Aber hübsches Foto, oder? Ich habe nie so gut ausgesehen, auch nicht in dem Alter.« Er spähte sie über eine dicke Zweistärkenbrille an, wobei ein Grinsen sein Gesicht erleuchtete.
Rhys prustete von der Ecke aus, aber sie behielt ihren Fokus auf Mr. Harrison, kämpfte damit ihr eigenes Gelächter einzudämmen. »Sind Sie sich bewusst, dass es gegen das Gesetz ist online eine falsche Identität zu posten?«
Seine Stirn runzelte sich und sein Grinsen fiel in ein übertriebenes »O«. »Das FBI kommt, um ich zu befragen, weil ich ein falsches Foto gepostet habe?«
Ein weiteres Rumpeln kam von Rhys.
»Seit wann sind Sie im Rollstuhl, Mr. Harrison?«, fragte sie.
»Seit ’09, junge Dame. Hat Ihnen das FBI das nicht gesagt, bevor Sie hier rübergekommen sind?« Er rollte zurück, um sie wieder zu mustern. »Sie sind wegen etwas hier. Werden Sie mir erzählen, um was es geht?«
Dreya reichte