zu sein.“
„O schade, schade! Bitte, verzeiht ihm, liebe Kinder! Der arme Junge ist momentan gar nicht Herr seiner Zeit, es lastet gar zu viel auf ihm! — Denkert! Wo ist Denkert?!“
Der Portier trat geschäftig vor. „Zu Befehl, gnädige Frau!“
„Haben Sie das Blumenarrangement bestellt? — Wird es richtig an die Adresse geschickt werden?“
„Janz jewiss und wahrhaftig, gnädige Frau! Schmidt meinte, für det Fräulein habe er so zu sagen alle Tage wat uff Bestellung.“
„Gut.“ Frau Elly legte den Arm um Erika und führte sie die Treppe empor. „Es handelt sich nämlich um die Diwa, welche die ‚Dorflurle‘ singen wird, eine sehr verwöhnte Person, welche sich natürlich auch in Joël verliebt hat! Aus ‚Geschäftsinteresse‘ schickt er ihr täglich ein paar Blumen, um sie auf Feuer und ... bei Stimme zu erhalten. O Kind, du ahnst nicht, was alles bedacht sein will! — So, endlich sind wir am Ziel!“ — sie schob Erika und Wigand in einen Salon, dessen Pracht im ersten Augenblick schier erdrückend wirkte. — „Gott sei Dank! solch ein Reisetrubel ist fürchterlich. Doris, nehmen Sie dem gnädigen Fräulein Mantel und Hut ab, bitte Wigand, thue desgleichen! Und dann ruht euch erst mal ein paar Minuten aus und nehmt im Esszimmer einen kleinen Imbiss; unsere Theestunde liegt nämlich ungewohnt spät, nach Schluss der Oper!“
Dem jungen Mädchen wirbelte der Kopf. Es kam ihr vor, als sei sie aus ihrer tiefen Ruhe und Einsamkeit in einen sinnverwirrenden Strudel gestürzt, welcher ihr momentan den Atem benahm. Dazu wirkte die Enttäuschung, nicht einmal von Joël empfangen zu werden, sehr niederdrückend für sie. Was aber hatte sie auch anders erwartet? Die Liebe ist ja für ihn nur eine amüsante, kleine Abwechselung im täglichen Leben, und die Einladung seiner Mutter nichts anderes, als eine bezahlte Quittung für die Gastfreundschaft, welche ihr Sohn in Ellerndörp genossen.
Wigands Blick streifte verstohlen ihr Gesichtchen, welches nicht mehr so rosig aussah wie zuvor.
„Es wird gut sein, wenn Erika heute frühzeitig zur Ruhe geht, liebe Tante; die Reise hat sie doch ein wenig angestrengt, wie man für alles Ungewohnte zuerst Lehrgeld zahlen muss.“
Frau Elly blickte überrascht auf. „Willst du nicht auf Joël warten, mein Herzchen? Es kann höchstens zwölf Uhr werden, bis er heute zurückkehrt!“
Erika küsste die Hand der Sprecherin. „Mit deiner gütigen Erlaubnis ziehe ich mich heute lieber sogleich auf mein Zimmer zurück, liebes Tantchen. Joël weiss, dass für mich die Mitternachtsstunde eine fast nie geschaute Zeit ist und wird mich sicher entschuldigen.“
„Natürlich wird er das, petite. Sehr recht, dass du dich nicht inkommodierst, hier im Hause lebt man ganz ohne jede Rücksicht, lediglich nach eigener Façon! Also du willst dich bald zurückziehen! Schön, ich werde Doris sofort benachrichtigen!“
Wigands Augen leuchteten. Selten hatte eine solch glückselige Freude sein Herz erfüllt, als in diesem Augenblick, wo Erika auf die Gunst verzichtete, den „Gott“ Joël heute noch wieder sehen zu dürfen.
Als Erika ihm die Hand zur „guten Nacht“ bot, nickte sie ihm mit einem Blick zu, in welchem deutlich zu lesen war: „Wie gut, dass du hier bist!“
Aber Landen war viel zu ungeübt im Enträtseln dieser stummen Sprache, um ihren Sinn zu verstehen.
Joël war nicht wenig überrascht, Erika nicht im Salon seiner Mutter anzutreffen, als er eine Stunde nach Mitternacht dort eintrat. Er war überzeugt gewesen, dass die Kleine mit sehnsuchtskrankem Herzchen auf sein Kommen warten würde und sollte sich dasselbe auch bis zum grauenden Morgen verzögern.
War er es etwa anders gewohnt? Die Damen verwöhnten ihn ja so über die Massen, dass seine Ansprüche durch die schönen Verehrerinnen selbst bis zur Arroganz gesteigert wurden. Nun nahm er selbst den höchsten Tribut schwärmerischer Anbetung als sein gutes Recht in Anspruch. — Und das kleine Heidekind will opponieren? Je nun, man muss in diesem Fall mit der Anstrengung der Reise rechnen, welche selbst das liebeheisseste Herz tyrannisieren kann.
Es ist ja ihr eigenes Pech, wenn sie ein paar Stunden länger auf ein Wiedersehen warten muss.
Wigand begriff nicht, wie die Geheimrätin dieses Nachtleben auf die Dauer ertragen konnte. Als Erika sich zurückgezogen, hatte sie etwas unmutig beklagt, um der Kleinen willen eine Soupereinladung abgelehnt zu haben und überlegte, was sie nun mit dem endlosen Abend beginnen solle.
Just in diesem Moment überreichte der Diener ein stark duftendes Billet.
Hastig riss es Frau Elly aus seinem goldgepressten Umschlag.
„Von Mister Smith! scharmant!“ — stiess sie aufatmend hervor, — „mit zwei Billets für die neue Operette! Joël kann ja keinen Gebrauch davon machen, aber du schliesst dich wohl als dritter im Bunde an, lieber Wigand? Du kannst es ohne jeden Skrupel! Mister Smith ist ein steinreicher Mann, nicht ein amerikanischer, sondern englischer Nabob, nebenbei sehr vornehm und geistreich, aus allerbester Familie. Wir lernten ihn in Korfu kennen und attachierte sich der allerliebste Mensch so ausserordentlich an uns, dass er uns sogar hierher in die Residenz folgte. Also nimm sein Billet ruhig an, mein Junge, es wird ihn lebhaft interessieren, dich als Verwandten unseres Hauses schon heute kennen zu lernen, denn in Zukunft begegnest du ihm täglich in meinen Salons.“
„Du bist sehr gütig, liebe Tante, wirst es mir aber wohl nachfühlen können, dass ich von einem gänzlich Unbekannten unmöglich ein Geschenk annehmen kann! Dasselbe zu bezahlen, würde meinen Verhältnissen nicht entsprechen, denn was ich hier für Vergnügungen ausgeben kann, möchte ich doch gern so anwenden, dass es Erika in erster Linie zu statten kommt, zum Beispiel, wenn ihr verhindert seid, sie auszuführen und ich als Begleiter notwendig werde.“
„Du bist eine rührende Seele, Wigand, und drehst den Spiess in ganz aufopfernder Weise um! Eigentlich wäre es doch an den Damen Koltitz, dass sie dich in jeder Weise für deine unbegreiflich selbstlose Mission in der Streusandbüchse Ellerndörp entschädigten! Aber wie du denkst, mein Guter! Ich liebe es nicht, wenn mich jemand beeinflussen will und nötige darum meine Ansichten auch keinem andern auf. So lass dir, bitte, allein ein Souper servieren und entschuldige deine rücksichtslosen Wirte!“
Sie sah nach der Uhr und drückte auf den Knopf der elektrischen Klingel.
„Doris soll meine perlgraue Toilette so schnell wie möglich rüsten und der Wagen in einer Stunde bereit stehen.“
„Befehl, gnädige Frau.“
Noch einmal betrat die lebenslustige Witwe, strahlend in Juwelen und Seidenglanz, den Salon, um sich von Wigand zu verabschieden.
„Findest du eigentlich, Wigand, dass ich mich in der Zeit unserer Trennung sehr verändert habe? Die Leute behaupten, ich würde zu stark, das beeinträchtige meine Figur!“ fragte sie, den Kopf von dem Spiegel zurückwendend.
Landen wurde dunkelrot vor Verlegenheit. Er war so gar nicht gewohnt, Elogen zu sagen und Redensarten zu machen.
„Ich finde, dass du jünger und schöner wie je aussiehst, liebe Tante, und war ganz überrascht, als ich dich zuerst sah“, stotterte er aufrichtig.
Frau Elly lächelte sehr huldvoll und klopfte ihm mit dem Fächer die Wange. „Kleiner Schmeichler, du! Welch ein Glück, dass ich dir deine Elogen gleich zurück geben kann! Du hast es deiner Tante treulich nachgemacht und bist ebenfalls kaum wieder zu erkennen.“
Und dann überliess sie ihn seinem Schicksal.
Wigand beschloss, eine kurze Promenade durch die Strassen zu machen, um etliche Einkäufe zu erledigen. Um elf Uhr, nachdem er seiner Ansicht nach lange genug gehungert hatte, trank er einsam seinen Thee in dem Speisesaal, welcher seine Gaskrone wie zum Hohn über die leeren Plätze an dem Tisch in vollem Glanz erstrahlen liess.
Ein solcher Luxus hatte ehedem nicht in dem Hause des Geheimrats geherrscht. Die ganze Villa erleuchtet, ein Souper für vier Personen, welches von einer einzigen nur benutzt wurde.
Um zwölf Uhr kehrte Frau Elly heim. Sie hatte bereits