Nataly von Eschstruth

Von Gottes Gnaden - Band II


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ganz in Weiss gekleidet, eine schlichte, liebliche Erscheinung mit schüchtern gesenkten Augen und wechselnder Blässe und Röte auf den Wangen. Neben Frau Elly sieht sie aus wie ein Schneeglöckchen neben der Königin Rose.

      Im Hintergrund der Loge, kaum zu erkennen, lehnt ein blonder, breitschulteriger Civilist an dem Pfeiler, höflich zurücktretend, um der Familie des Intendanten den Weg zu den Sesseln neben der Geheimrätin frei zu geben.

      Und nun das erste Zeichen des Taktstockes.

      Totenstille.

      Da brausen und wirbeln die Klänge in rasendem Tempo einsetzend, wie ein jäh entfesselter Feuerstrom durch das grabesruhige Haus, eine feuerblütige, ganz eigenartige Melodie entwickelt sich, sie packt den Zuhörer und übt einen gewaltigen Reiz aus. Und immer genialer, oft etwas unvermittelt und sprunghaft, spinnt die Ouverture ihre goldenen Fäden, zeitweise einen hohen, wahrhaft dramatischen Aufschwung nehmend, meist aber eine Fülle von Melodien ausströmend, welche ihren Eindruck nicht verfehlen. Die Musik wirkt in hohem Grade originell und darum zündet sie.

      Als ein greller, überraschender Trommelwirbel, in welchen sich als Übergang hinter dem Vorhang ein rollender Donner mischt, und ein zischender Klang der Becken, welcher von flammenden Blitzen illustriert wird, die Ouverture abschliesst und der Vorhang empor rollt, um die entzückende Scenerie einer gewitterdurchstürmten nächtlichen Dorfstrasse zu zeigen, — da wagte sich ein erster, stürmischer Applaus hervor, erstirbt jedoch unter der Stimme der Sängerin, welche im höchsten Affekt der Leidenschaft als Hilfeschrei das Wetter durchgellt.

      Und Scene folgt auf Scene.

      Das Libretto ist packend und erschütternd, die Musik gleicht einem Zauberquell, welcher unerschöpflich neue Melodiengarben versprüht.

      Als der Vorhang nach dem ersten Akt fällt, schweigt das Publikum sekundenlang wie unter dem Bann eines Rausches, dann aber bricht der Sturm mit doppelter und dreifacher Gewalt hervor, ein jubelnder, unaufhaltsamer Beifall ruft den jungen Künstler vor die Lampen.

      Er erscheint, — die Vertreterin der Dorflurle voll bescheidener Eleganz dem Auditorium zuführend, als sei der Erfolg einzig ihrer meisterlichen Vertretung zu danken.

      Von neuem durchbraust der Beifall das Haus, zum zweiten und dritten Mal muss Joël sich den begeisterten Zuhörern zeigen. Er thut es in sehr anspruchsloser Weise, sein schönes Antlitz drückt die liebenswürdigste und gewinnendste Dankbarkeit aus.

      Die Geheimrätin sitzt hoch aufgerichtet, ihre Augen strahlen, die Erregung droht ihr die Brust zu zersprengen. Sie umkrampft Erikas Hand und stösst hochatmend durch die Zähne hervor: „Ein solcher Augenblick wiegt Kaiserkronen auf!! — Erika, Mädchen ... jener Mann dort, der grösste Künstler, der gottbegnadete Unsterbliche — er ist mein Sohn!“

      Das junge Mädchen nickt stumme Antwort. Sie will sprechen, aber sie kann es nicht. Tausend leidenschaftlich erregte Gefühle schwellen ihr Herz! Gehört dieser Erfolg nicht auch zur Hälfte ihr? Riefen nicht viele Stimmen im Publikum: „Librettist! — Dichter des Textes!“

      Das ist sie. — Gehört sie nicht an Joëls Seite? Gewiss; dieser Beifall, dieser Jubel ruft auch sie. Ach wie gut, dass sie sich hier im dunklen Winkelchen verstecken kann, sie würde sterben vor Verlegenheit, wären aller Augen auf sie gerichtet, wie soeben auf Joël! — Nein, sie verlangt nicht auf die Bühne, sie erntet hier noch viel besser, viel beglückender ihren Teil des Lorbeers.

      Sie hört, sie sieht, dass ihr Werk gefällt, mehr verlangt sie nicht. Das Bewusstsein, etwas Schönes und Herzbewegendes geschaffen zu haben, die eigene, tiefergreifende Freude bei dem Anblick ihres Stückes, die Gestalten ihrer Phantasie verkörpert vor Augen zu sehen, ist genug des Lohnes! —

      Was würde es ihr nützen, wenn Hunderte von neugierigen Augen sie anstarren in dem Gedanken: „Also dieses unbedeutende, kleine Mädchen hat die ‚Dorflurle‘ ersonnen!“ — es würde sie höchstens beschämen. Nein, sie wird ihr liebes Geheimnis keiner Menschenseele verraten, höchstens ... höchstens ihm! — Heute abend, ganz leise will sie es ihm gestehen!

      Ihre Seele schwankt zwischen dem brennenden Wunsch, in seinen Augen einen Triumph feiern, seinen Erfolg mit ihm teilen zu können, und dem spröden Stolz, welcher dieses Mittel verschmäht, sein Herz zu gewinnen.

      Die Gedanken, welche hinter ihrer Stirn wirbeln, haben sich noch nicht geklärt, als der Vorhang zum zweitenmal aufrollt.

      Wieder brilliert die Musik in den originellsten, reizvollsten Phantasien. Wort und Dekoration, sowie die meisterliche Wiedergabe der Künstler unterstützen sie und der Beifall wächst zu stürmischen Ovationen an. Nur Erika starrt regungslos, mit grossen, entsetzten Augen auf die Bühne, öffnet mit bebenden Fingern das Textbuch und liest die Worte nach.

      Sie glaubte nicht recht verstanden zu haben, aber nein ... hier ... hier steht es wahrlich schwarz auf weiss. Die gedruckten Buchstaben tanzen vor Erikas Augen, glühende Blutwellen schiessen in ihr Antlitz.

      Ihr Text ist abgeändert.

      Die keuschen, zarten Verse, welche die „Dorflurle“ klagend zu singen hat, dass sie ein verlassenes, verratenes Weib ist, dass ihr Gatte den heiligen Schwur vor Gottes Traualtar gebrochen, — die sind gestrichen und anstatt ihrer ist ein wilder Ausbruch der Leidenschaft gesetzt, der verrät, dass die Heldin eine gesunkene und verlorene Seele, dass sie nicht das Weib, sondern die Geliebte gewesen, dass ihr Sohn ein Kind der Schande ist!

      Wie ein Schwindel des Entsetzens erfasst es Erika. Welch ein anstössiges Stück, voll sinnlicher Begierde und Leidenschaft ist aus ihrem so rein empfundenen Werk geworden!

      Man hat eine weisse Rose genommen und sie in den Sumpf getaucht!

      Und neue, immer neue Abänderungen! — In den Augen des jungen Mädchens erscheinen sie schmachvoll. — Nicht der hohe Psalter der Liebe klingt aus ihren Worten wieder, sondern eine lasterhafte Liebesglut, vor der sich ihre unberührte Kinderseele entsetzt! — Und zu diesem Stück soll sie sich als Autorin bekennen?

      Sie würde vor Scham vergehen!

      Was die wenig skrupulösen Residenzler höchstens pikant und prickelnd anmutet, entsetzt das keusche Heidekind und lässt ihre Wangen erbleichen.

      Thränen der Empörung blitzen in ihren Augen, mit übermenschlicher Anstrengung kämpft sie dieselben nieder. Welch ein Glück, dass die Geheimrätin von glückwünschenden Schmeichlerscharen umdrängt wird, dass sie in ihrem betäubenden Glück ganz vergisst, die Nichte vorzustellen.

      Die übermächtige Erregung muss sich in ihren Zügen spiegeln, sie sieht wenigstens, wie Wigand neben sie tritt und ihr mit angstvoll forschendem Blick in die Augen schaut.

      Da presst sie die Zähne zusammen und beherrscht sich. Aber ihr Herz zittert vor Empörung und vor ihrem Munde liegen seit dieser Stunde sieben Siegel, welche auch vor Joël ihr Geheimnis hüten sollen. — Nun kann sie sich ja niemals zur Verfasserin eines Stückes bekennen, dessen Inhalt sie erröten lässt, — auch Joël gegenüber nicht, denn dann muss sie ihm Vorwürfe über die eigenmächtige Verunglimpfung ihres Werkes machen, und dieses Thema ausführlich mit ihm zu besprechen, vermag sie nicht. Wie geistesabwesend starrt sie auf die Bühne, woselbst sich der Vorhang zum dritten und letzten Male hebt.

      „Eine grossartige Steigerung des Textes!“ hörte sie einen Herrn mit goldener Brille, welcher, im Parkett stehend gegen ihre Logenbrüstung lehnt, einem andern Civilisten zuflüstern, den die Geheimrätin ihr zuvor als bedeutenden Kritiker und Recensent genannt hat, „und die Musik hält wahrlich bis zum Schluss mit geradezu verschwenderischem Melodienreichtum gleichen Schritt!“

      „Hm, recht viele originelle, sehr ansprechende Melodien, aber keine rechte Einheitlichkeit! Mir kommt die Oper vor wie ein Potpourri, das eine Anzahl schöner Weisen in oft nachlässig trivialer Art zusammenschmilzt. Die Instrumentierung lässt stellenweise viel zu wünschen übrig und die ‚Technik‘ ist gleich Null. Aber das verzeiht man dem Anfänger um seiner wahrhaft genialen Schöpfung willen! — Da sagt man nun, das Publikum der modernen Richtung habe dem melodiösen Tongemälde abgeschworen! Lächerlich! — Heute abend kann man sich überzeugen, welch unwiderstehlichen