Nataly von Eschstruth

Von Gottes Gnaden - Band II


Скачать книгу

      „Jetzt schon? — ich bitte dich! Nun habe ich ja erst den einzig ruhigen Moment, um einen Blick in neue Bücher zu werfen!“ — —

      Sie entzündete sich eine Cigarette und las.

      Wigand begriff nicht, wie Frauennerven ein solches Leben auf die Dauer aushalten konnten.

      Der nächste Morgen gab ihm die Aufklärung.

      Mit wahrhaftem Entsetzen stand er um acht Uhr in dem Korridor. Die Dienerschaft begann soeben, die Salons zu reinigen. Zugluft durch offene Thüren und Fenster, hochgeschlagene Portieren und zusammengerollte Teppiche. — Kein warmes, gemütliches Plätzchen.

      „Wann pflegt meine Tante zu frühstücken?“ —

      Das Stubenmädchen lächelte: „Gnädige Frau schellen gewöhnlich gegen zwölf Uhr nach dem Kaffee und pflegen ihn im Bett zu trinken. Das zweite Frühstück nehmen die Herrschaften gemeinschaftlich um zwei Uhr. Dann fährt gnädige Frau aus, Visiten oder Einkäufe zu machen. Um sechs Uhr dinieren die Herrschaften hier im Hause, meist mit Gästen oder folgen anderen Einladungen.“

      „Hm ... kann ich nicht schon früher Kaffee trinken? Jetzt gleich? ... und wo?“ —

      „Gewiss, Herr Baron. Fräulein Koltitz hat auch schon auf ihrem Zimmer gefrühstückt. Heinrich kann ja sofort auch in dem Zimmer des gnädigen Herrn servieren!“

      „Und Herr Eikhoff?“ —

      „Hält die Mahlzeiten genau so inne, wie die gnädige Frau!“

      „Schläft also noch?“ —

      „Schläft noch, bis gegen zwölf!“ —

      „Danke schön. Und bitte recht bald Kaffee.“

      Das war ja furchtbar! — Wie hielten die Menschen ein so widernatürliches, ungesundes Leben aus!

      Wigand überlegt, wie man sich die Zeit hier am besten einteilt. Soll Erika dieses aufreibende Nachtleben mitmachen — was unvermeidlich ist, will sie an der Geselligkeit und an den Vergnügungen der Eikhoffs teilnehmen, so wird sie bald ebenso ermattet in den hellen, lichten Tag hinein schlafen, wie diese entnervten Residenzler.

      Aber er! auf Wochen hinaus kann er ein derartiges Dasein nicht fristen. Gott sei Dank, finden die akademischen Vorträge in den Morgenstunden statt. Wenn Joël und seine Mutter mit verschlafenen Augen zum zweiten Frühstück erscheinen, hat er den wichtigsten Teil seines Tagewerks schon hinter sich.

      Als die Salons, heute etwas beschleunigt, in Ordnung gebracht sind, tritt Wigand ein.

      Er trifft Erika bereits eifrig mit Staubwischen beschäftigt und in hohem Grade entzückt und interessiert, all die unzähligen kostbaren Nippes, Bronzen, Krystalle und Malereien zu besichtigen.

      Sie begrüsst den Vetter sehr heiter und guter Dinge, versichert ihm, vortrefflich geschlafen zu haben und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, dass man erst gegen zwei Uhr den Verwandten einen doch etwas sehr verspäteten „guten Morgen“ sagen kann.

      Andere Städte, andere Sitten. Man muss sich so gut wie möglich die Vormittagstunden zu vertreiben suchen. Eine Promenade vor den herrlichen Schaufenstern der Strasse ist eine stets neue Quelle des Amüsements und in mancher Weise ein Kunstgenuss.

      Erika jubelte wie ein Kind, als Landen vorschlägt, den schönen Sonnenschein sofort zu benutzen. Der vielen Droschken, Lastwagen und Pferdebahnen wegen bietet er dem jungen Mädchen den Arm, um den Strassendamm mit ihr zu passieren.

      Unwillkürlich schreiten sie auf dem Trottoir so weiter, denn es geht sich sicherer und angenehmer unter dem bahnbrechenden Schutz eines Herrn, wenn rücksichtslose Passanten vorüber drängen.

      So viel und ausschliesslich wie hier, haben die beiden jungen Leute in Ellerndörp nie verkehrt, sie sind auf einander angewiesen, sie suchen und finden sich, eins ergänzt das andere. Die Grossstadt und der Aufenthalt in Joëls Vaterhaus, von dem Wigand gefürchtet, dass er Erika und ihn für immer trennen werde, führt sie einander inniger und vertrauter zu, wie der jahrelange, gemeinsame Aufenthalt in Ellerndörp.

      Die kalte Winterluft hat Erikas Wangen gerötet, mit strahlenden Augen kehrt sie heim, kaum noch daran denkend, dass das Wiedersehen mit Joël näher und näher rückt.

      Wigand sucht sogleich sein Zimmer auf, Erika tritt zuvor in den Salon, ihre Briefmappe vom Schreibtisch abzuholen.

      Sie sieht allerliebst in dem weissen Pelzwerk aus, und der elegante Mantel, welchen Frau Koltitz nebst einer sehr reichen Auswahl von Toiletten aus einem der ersten Geschäfte bezogen, hebt ihre schlanke Figur in vorteilhaftester Weise.

      Sie ist eilig und bemerkt es nicht, dass im Nebenzimmer Joël Eikhoff an seinem Diplomatentisch arbeitet. Er erhebt sich hastig und schreitet auf dickem Smyrnateppich lautlos zur Portiere.

      Einen Augenblick wartet er vorsichtig, ob Wigand oder seine Mutter der Eingetretenen folgen werden, als er sich überzeugt, dass er mit dem jungen Mädchen allein ist, tritt er ihr jählings in den Weg.

      Seine Augen leuchten ihr in der ganzen verführerischen Schönheit entgegen, nicht ganz natürlich, aber sehr wirkungsvoll dramatisch streckte er ihr die Hände entgegen.

      „Erika!“

      Sie erschrickt so gewaltig, dass sie kaum einen leisen Aufschrei unterdrücken kann. Flammende Glut steigt in ihre Wangen, ein reizendes Gemisch von Freude und Verlegenheit verklärt ihr anmutiges Gesichtchen.

      „Joël ... welche Überraschung — Sie sind jetzt schon hier?“

      Er hält ihre Hände und neigt sich tief zu ihr nieder. „Ja, ich bin schon hier, kleine Heideblume! Ich opferte ohne Besinnen ein paar Stunden Schlaf, ich, der ihn jetzt wahrlich notwendig gebraucht, um Sie so bald wie möglich begrüssen zu können, — aber Sie grausame Turandot hatten gestern abend keine Zeit mehr für mich!“

      Wie vorwurfsvoll seine Stimme klang, wie er ihre Hände so leidenschaftlich in den seinen presste.

      Erika war wie betäubt, ihre Verlegenheit grösser noch wie zuvor. Sie versuchte die Hände zu befreien, vergeblich! — „Gestern abend? gestern nacht meinen Sie wohl, Joël, Sie, der es doch wissen sollte, dass die Heideblumen die Augen schliessen, wenn die Sonne sinkt!“ —

      „Auch dann, wenn ein kühner Gesell die rosige Erika gepflückt und in den prächtigen, bunten Garten der grossen Welt verpflanzt hat?“

      „Dann braucht sie immer noch Zeit, um sich an diesen übermächtigen Wechsel und Wandel zu gewöhnen!“

      „Gut, mag dies der Balsam des Trostes auf die Wunde sein, welche mir die gestrige Enttäuschung geschlagen. Jetzt will ich Sie willkommen heissen, tausendmal willkommen in meinem Hause, welches Ihnen hoffentlich lieb und behaglich werden wird, wie ein eigenes!“ — Er zog ihre Hände abwechselnd an die Lippen und legte einen Ausdruck in seine Stimme, der ihr Herz erbeben machte.

      Der alte Zauber, welcher allmählich seine Kraft verloren, umstrickte sie von neuem und die Verwirrung des Augenblicks war zu gross, um sie klar und scharf sehen zu lassen wie sonst.

      „Haben Sie mich auch nicht vergessen in der langen Zeit unserer Trennung, schön Bäschen?“

      Wie verklärt schaute sie auf, ihre ganze Seele lag voll süsser Innigkeit in diesem Blick. „Wie könnte das wohl möglich sein!“ schüttelte sie das Köpfchen.

      „Wenn Sie mir noch gut sind —“ er neigte sich flüsternd, mit fascinierendem Blick näher, „kann Ihr Aufenthalt hier ein entzückender und beglückender für uns beide werden! Sie ahnen noch nicht, wie man Sie um das Vorrecht beneiden wird, unter einem Dach mit mir zu wohnen! — — Ah ... Mama. Ich höre ihren Schritt.“ — Er trat jählings zurück, stützte sich voll grösster Harmlosigkeit auf einen Sessel und fuhr mit vollkommen veränderter Stimme heiter fort: „Also eine Morgenpromenade haben Sie schon gemacht? — Mille diables, welch eine barbarische Idee! Das werden Sie sich mit grösster Geschwindigkeit hier abgewöhnen. Ah, meine schöne Mutter! Küsse die Hand,