war, hatte sie mit einem englischen Handelsvertreter geflirtet, einem Mann von der australischen Obstausfuhr, der manchmal mit der Gunarlinie herübergekommen war. Der war ganz verrückt gewesen nach ihr. Alle ihre Freundinnen hatten sie beneidet. Käptn Bauz hatte zugeraten, und der Mann hatte ihr einen Verlobungsring schenken wollen, einen auf englische Art, mit kleinen Brillanten besetzt. Aber England? Und gar Australien? Ihre Eltern, zumal Vater Thormann, hatten sich nicht erweichen lassen. Nun war sie mündig. Nun hätte sie ihren eigenen Willen durchsehen können.
Doch der Engländer war nach jener Absage nie wieder auf die Hamburger Route gereist. Und nun war da ja auch Jonny Wack, und das war vielleicht besser, besonders für den häuslichen Frieden.
Der Ring aber, der kleine Ring auf englische Art, der stak ihr noch im Sinn. Verliebt gewesen? Damals? Ach, kaum. Nur beseligt, da es Aufsehen erregt hatte. Und jetzt? Sie mochte Jonny, den wakkeren Maaten, den Jollenführer, den prächtigen Turner und Schwimmer und guten Tänzer sehr gern. Es war ein so immer gleichmäßig fest und richtig liegender Landeponton für das unruhige Herz. Die Verlobungsringe nun sollten wenigstens mit »Ornament« sein, und sie hatten bei dem kleinen Juwelier auf dem Spielbudenplatz das »Nibelungenmuster« dafür ausgesucht. Die richtige Größe aber mußte erst angefertigt werden.
Kriemhilde! hatte der Goldschmied sie genannt.
2
Wie süß es herüberklang, was die Schrumm-Schrummbrüder da bei Eggers losließen. Oder war es schon in dem kleinen Lokal Zur Stadt Husum? O, sie spielten so flüssig, so tanztaktig, einen schmelzenden Glowfor, der das Lot Blei und den Knien aufzuheben geeignet schien, so zog er ins Gemüt. Ja, das war der Text, den hatte sie schon gehört:
»Der Tag war vorbei
Und der Abend schon da,
Und die Lampen brannten am Pier...«
Ein kleiner Text, eine kleine Tanzmusik nur, aber es rührte sie an, sie mußte es mitsingen:
»Und das Schiff lag am Kai,
Und da kamst du von Bord,
Und da kamst du herüber zu mir.
Den Hafen entlang
Matrosengesang,
Doch ich sah mich nicht danach um,
Denn ich sah nur dich,
Und du sahst nur mich,
Und vor Freude waren wir stumm.«
Und nun kam der Kehrreim. Mines Stimme erschrak und wurde wieder leise, sie hatte fast vergessen, auf der Straße zu sein.
»Denn du weißt, es gibt diesen und jenen,
Den man kennt, ja, den man so kennt.
Und den einen hat man ganz gern
Und den andern lieber von fern.
Doch nach dem Dritten muß man sich sehnen
mit Tränen,
wenn man seinen Namen nennt.«
Warum denn sengelte es plötzlich unter ihren Wimpern? Tränen? Ach, es war so süß und so traurig! Das Abscheidsweh und die Wiederkehr des Hafens lagen darin, das tägliche Brot der Wasserkante, die Wolken, die vom Meer mit dem Westwind heraufzogen, auch das Gelächter in den späten Bars und die sonderbaren Augen des Artisten der lächerlichen Melone.
Aber nun, da es sich so greifbar in Musik darzustellen schien, beruhigte sich das Ungewiß und Neugefühl, das über sie gestürzt war. Mine Thormann, so hieß sie, und sie fühlte das Sparkassenbuch in der Schürzentasche.
In Morgendiesigkeit über dem Abschluß der Erichstraße ragte der Turm der Michaeliskirche, der Große Michel. Schlank, dunkel, gerade, über schlichten Säulen ein Barockhelm, ein anerkannter Hafen- und Hoheitswächter der guten Hansestadt, stand er vor der Osthelle. Das Zifferblatt glusterte mattgolden, und die Zeiger waren wie ein strenger, gerader, nur an einer Seite ein wenig zum Lächeln neigender Mund.
Dröhnend schlug es ein Viertel nach neun.
Dort bin ich konfirmiert worden, und dort werde ich getraut, dachte Mine.
Und wenn es doch wirklich so war mit dem, was da Liebe genannt wird und was in den vielen Sprachen, die durch diese Straße an ihrem Ohre vorbeigeweht waren, anders hießt und doch dasselbe meint, so wußte sie für ihr Teil jetzt klar und deutlich, wohin damit.
Sie blieb vor den haushaltlichen Angeboten bei Krämer Baumgarten stehen. Sie lächelte ihrem säuberlichen Angesicht in der blanken Scheibe zu. Sie konnte es Jonny nicht verübeln, daß er sie gern habe. Obschon sie selber heimlich manches an sich auszusetzen fand. Gern hätte sie etwas längere Beine, weit kleinere Füße und Hände, die Finger weniger vom Grüngeschäft gezeichnet und auch weniger rosenfarben gehabt, welch Färbung ihr ebenfalls an den ein bißchen dicken Ohrläppchen nicht gefiel. Sie ließ darum die gelben Locken niemals zu kurz schneiden, sie kämpfte jedesmal einen erbitterten Kampf mit dem einen oder anderen Friseur der Gegend, denn ein wenig kürzer zu den Schläfen hin hätte ihr entschieden besser gestanden. Auch trug sie nicht gern Abendkleid wegen des tiefen Rükkenausschnitts. Ein kleiner Leberfleck zierte ihr linkes Schulterblatt. Sie fand es gräßlich und hatte schon Chlorkalk und Höllenstein zur Beseitigung versucht, konnte aber so schlecht dahingelangen. Ihrer Mutter aber mochte sie nichts davon erzählen. Ihre gute Mama? Die hatte einen an derselben Stelle und schätzte ihn als Erkennungsmal bei »Eisenbahnunglücken aber Gott soll uns bewahren bei sonstigen grausamen Anlässen, wo sozusagen nichts als das Rückenstück übrig bleibt von der ganzen menschlichen Erscheinung«. Außerdem trug Mutter Thormann nie Abendkleid so, wie Mine sich heimlich eins zugelegt hatte von ihrem Sparkassenbuch. Gestern hatte sie es zum ersten Mal angezogen. Es hatte einen kleinen Krach gegeben, obschon sie nun mündig war. Auch schien ihr, in Pünjers Scheibe gesehen, der Mund zu groß, die Augen zu schmal, die Stirn zu hoch, auch hätte sie auf einmal lieber schwarzes Haar gehabt, wie etwa Klesots neues Barmädchen Lulla, das manchmal auch bei ihnen kaufte. Es war schrecklich, das zu wünschen, was unmöglich war, und es sich dann vorzustellen, um auf einmal kleinlauten Herzens wieder zu sich selber zurückzukehren und eigentlich aufatmend zufrieden zu sein.
Und ebenso ging es mit den Eroberungen, mit den freundlichen Knaben und Männern, deren Aufmerksamkeit ihr zugewandt gewesen. Sie tat es ohne Bedauern, nur mit einem kleinen dankbaren und nur allgemein abschiedswehmütigen Niedersenken der Wimpern ab und legte gleich alle Bilder filmheldischer Gestalten dazu. Das Leben war sachlicher. Sollte Jonny Wack nun immer an ihrer Seite stehen? Gut! Sie wollte nicht klagen und nicht lobjauchzen. Es war ein in sich geborgenes Gefühl Blicke ins Dunkle und ins Helle würden es nur stören. Überschwang war Backfischtatü, und das gab es sogar auf St. Pauli, aber Mine Thormann fühle sich längst erhaben darüber.
Jonny Wack? Der war richtig, einer der besten Jollenführer des Hamburger Hafens. Jonny Wack, der sollte ihr Mann sein eines Tages. Das war besiegelt mit Kuß und Elternsegen. O ja, das war es.
Mines Herz schüttelte sich gleichsam vor Glück und Bangigkeit und löste sich unversehens leicht aus den Wolken, Nebeln und Anwandlungen.
Unbeschwert nahm sie die letzten Fliesensteine unter die neuen Sohlen und schwenkte ein in den väterlichen Laden, in das von guten Düften und allseitigen Ansehen umgebene Geschäft, darüber ein nüchtern aber frisch gestrichenes Schild anregte, hier den Bedarf an Obst, Gemüse und Konserven zu decken.
Heute würde es sicher merklich zu tun geben. Die Jantjes strichen hier vorüber auf dem Weg zur Reeperbahn, und mancher nahm ein paar frische Äpfel, Birnen, Bananen oder gar Tomaten mit zu raschem Frühstück, zumal, wenn die Ladentochter selber hinter der Tonbank stand, das wußte sie gut.
Balduinstraße, daß ist einer der wichtigen Zugänge zwischen Hafen und Stadt. Von Fähre VII kamen nachmittags auch die Werft-, Dock- und Kaiarbeiter, ein schweiß- und rußgedunkelter Strom, und ergoß sich in ungestümer, trampender Welle zur Reeperbahn und heimwärts. Und morgens, noch bevor Vater Thormann den Marktwagen aus dem Schuppen deichselte und das gutmütige Pferd Amanda davorschierte, hörte Mine den eilend