hoch sind den Bordkanten der Fährboote gemäß, so daß der Verkehr sich ungehindert abwickeln kann.
Der Zollbeamte, der vor dem Eingang des Zollschuppens aufpaßt auf alles, was von und an Land geht, grüßte lächelnd und sagte: »Tag, Fräulein Thormann!« Und der rundliche nette Hafenpolizeiwachtmeister sagte: »Ei, ei, das blonde Obst!«
Wie gut tat es, so überall von Lächeln umfangen zu sein. Mines Schuhe drückten nun nicht mehr.
»Hätte auch noch einen andern kriegen können als so’n mageren Jollenhupfer«, meinte der Zöllner und trommelte mit der linken sachte in der Luft umher, als spiele er Klavier.
»Na«, entgegnete der Polizeimann: »So mager ist Wack ja nicht.«
»Aber mächtig pünktlich«, lächelte der Zollbeamte:
»Dem ist die Liebe nicht im Wege.«
Jawohl, gerade fuhr die Jolle ab.
»Jonny!« rief Mine der tuckernden, grünen Barkasse nach.
Jonny Wack drehte sich ein wenig um. Behäbig und stramm ragte er auf seinem erhöhten Führerstand. Aber kein ablenkender Ruck ging durch seine Hände, die das Steuerrad hielten. Nur sein Gesicht geriet in Bewegung. Sein breiter Mund klappte zurück von den starken gelben Zähnen, seine grauen Augen schlossen sich fast vor Freude. Nein, die Abfahrtsminute mußte innegehalten werden, und wenn es Engel regnete. Und schon wandte er seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Fahrwasser zu.
»Komm bald wieder!« rief Mine durch die hohlen Hände. Sie wußte, der ganze Steg hörte zu. Sie wollte es Jonny gönnen. Jedermann sollte ahnen, wie gut es der habe, der nun mal das Rennen gewonnen.
»Zur Manhattan!« ertönte es über seine breite Schulter zurück. Seine Stimme war scharf und klar. Ja, ihr Jonny, der verstand seinen Beruf! Wie sicher und flitzig legte er die Barkasse über den Hafenschwell. Er hatte ein paar eilige Gäste an Bord, denen der Fährdampfer zu lange dauerte mit seinen verschiedenen Anlegestationen, und die sich das höhere Fahrgeld nicht reuen ließen.
Jetzt erst, da Jonnys Rückenfläche und seine blaue Mütze keine Neigung mehr zeigten zu beidrehender Veränderung, sah Mine auf seine Passagiere. Es waren ein paar Damen, ein paar Herren, ein Hafenoffizier. Sie tat es mit dem gleichen schätzenden Blick, wie etwa über den Marktwagen voll Gemüse, den sie dreimal die Woche in die Balduinstraße vor den elterlichen Laden lenkte.
»Dem einen sein Kohlkopp ist dem andern sein Fahrgast!« hatte Käptn Bauz im Vergleich der beiden Beschäftigungen gestern auf der Geburtstags-Verlobungsfeier gesagt.
Mine wollte sich gerade der Betrachtung des übrigen Fährsteges zuwenden, da bückte sich drüben in der Jollenführerbarkasse ein dicker Weißfuchskragen. Vielleicht war eine Handtasche entglitten oder ein Strumpf drohte eine Masche zu verlieren. Jedenfalls war da plötzlich eine Lücke und darin erschien die graue Melone von vordem. Ohne Zweifel war es der Artist, zu dem sie gehörte. Jetzt sah sie ihn deutlich. Er saß auf der Gegenbank, still in sich zusammengeduckt, und überdeutlich plötzlich fühlte sie wieder den dunklen saugenden Blick.
Sie blies es von sich ab, drehte sich auf den Hacken um. Das glaub ich, sagte sie sich wohlgefällig, da sind noch andere, die bedauern wohl auch, daß es nun zu spät ist.
Sie blickte vor den engen Drehkreuztüren der Landungszugänge nach den Gästen des Fährdampfers. Die Männer an den Schaltern bogen sich ein wenig heraus, um Mine Thormann anzusehen. Ja, wer kannte sie nicht, das blonde Hafenküken, das nun mündig und Braut geworden war? Ihr Geburtstagstisch war unter Blumen zu einer bunten Brandung emporgewachsen, die auf Kommode, Schrank und Fensterbänke bis in den Laden überschäumte. Und sie lächelte alle der Reihe nach an und sagte: »Herzlichen Dank!« Und in ihrer singigen silbrigen Stimme lag eingeschlossen der Dank an die ganze Schöpfung.
Auf dem langen Fährsteg längseits des hohen Zollgitters waren schon allerlei Leute versammelt, zumeist junge und ältere Mädchen, Hafenbräute der zu erwartenden Manhattan-Mannschaft, hoch aufgeputzt, reichfarbig, der neuesten Sommermode übermäßig gewiß, nicht ohne im Badarfsfalle die besten Stücke der Wintergarderobe hinzugezogen zu haben, aber auch Händler, Hotelburschen und Lokalbesitzer, Waschfrauen, Tallymänner, Geldwechsler und Kontorangestellte. Es war ein freudig-dumpfes, von beruflicher Eifersucht nicht ungetrübtes Gemengsel der Erwartung. Nicht gar so abseits hatten sich auch zwei Beamte des Fahnungsdienstes in Zivil aufgebaut.
Mine hielt sich vom Schwarm abseits. Die Jollenführer legten nicht so weit nach Altona hin an wie die eigentlichen Fährboote, sondern diesseits der Schalterbuden. Sie spähte über den Strom, wo sie noch die blauweiß karierte kleine steife Flagge am Bug von Jonnys Barkasse erkennen konnte, die Flagge N des Signalbuches, die Jollenführerflagge, die auch auf den im Strom liegenden Schiffen gesetzt wird, wenn von dort jemand an Land geholt zu werden wünscht.
»Hallo, Hein und Fietje,
wat stoht ji und teuwt?
Wi wüllt mol’n beeten reuwer
no Kohwarderheuft.«
sang Mine vor sich hin in der breiten Sprache dieser Gegend.
Nun kam der nächste Fährdampfer, gebaut wie ein chinesischer Pavillon und grün wie eine Gartenbank. Ehe sich die Schlucht zwischen seiner Wallschiene und dem Ponton schloß, sprangen schon mit waghalsigem Satze die eiligsten Fahrgäste an Land; ein paar landfeine Stewards, auch ein paar junge amerikanische Steuerleute in Uniform waren schon dabei, weiß der Teufel, wie sie es so schnell ermöglicht hatten. Einige Hafenbräute gurrten auf, der frohe Schrei des Wiedersehens flatterte hier und da in die dampfige Luft, der Knäuel löste sich und spulte sich durch die Ausgänge und an den Zöllnern vorbei, die ihres Amtes walteten, die Handtaschen öffnen ließen, in Koffer und Aktenmappen Einsicht nahmen und hin und wieder Verdächtiges in die langen Schuppen verwiesen, wo im bedrückungsstillen Innern hinter dem breiten, blechbeschlagenen Tresen dies und jenes zumeist geringfügige Stück »Andenken« mit sorgfältiger Wägung, Messung und Bescheinigung abgefertigt wurde.
Auch der Handlungsgehilfe Emil Weber war unter den Fahrgästen. Sein kontorfarbenes Gesicht war ernst und in sich gekehrt, und die Würde des Kaufmannsstandes fand ihren Ausdruck darin. Er grüße Mine, indem er den mausfarbenen geknifften Hut gemessen mit Daumen und Zeigefinger von oben herab anfaßte und ihn einen Atemzug lang handhoch über dem einwandfreien Scheitel lüftete, ganz ähnlich wie man es von seinem Chef gewohnt war. Emil Webers Haar war unbesonders, sein Kragen etwas zu hoch, seine Haltung tadellos. Oft kam er bei Thormanns vorbei und kaufte dann regelmäßig ein Pfund australischer Äpfel. Er war Clark bei Mollmöller & Co., Im- und Export, und hatte derzeit Außendienst. Er mußte frisch angekommene Fracht beaugenscheinigen.
Ein netter junger Mann, dachte Mine, indem sie sich einer gelegentlichen Äußerung ihrer Mutter anschloß.
Mine tänzelte wortend hin und her, klönte ein wenig mit den Schalterleuten und ließ sich eine Weile nicht lang werden. Es konnte im ganzen höchstens eine halbe Stunde dauern. Das Jollenführerboot muß die Hafenschläuche, die ihm zugeteilt sind, sorgfältig durchrutschen, so wie etwas ein Mop alle Zimmerecken, und spähen, ob jemand an Land will. Damit kann die Zeit hingehen.
Doch unerwartet früh schon hüpfte Jonny Wacks Barkasse wieder heran. Das konnte man wahrhaftig eine rasche Fahrt nennen. Wie fröhlich strahlte sein wetterverbranntes Gesicht!
Er brachte nur zwei Fahrgäste mit. Der eine war der Artist mit der grauen Melone, der andere ein großer, schlanker, älterer Herr, der sehr hell angezogen war und steif und zurückhaltend aussah.
Mine wollte nur ihren Jonny, sie hatte keine Lust, den ungeputzt saugenden Messingaugen des Melonenmenschen zu begegnen. Sie sprang, kaum, daß die Barkasse den Stegrand anglitt — so sachte verstand Jonny anzulegen — gewandt auf die Heckfläche und hinunter auf die Bank und ins Boot und lief am Motor vorbei auf den Führerstand zu, den Jonny verlassen hatte, um das Boot festzumachen.
Aus den Augenwinkeln nur sah sie, wie die beiden Herren an Land stiegen. Herr Paduzek schien in diesem Augenblick keine Neigung zu haben, sich um sie zu bekümmern, sondern nur darauf bedacht zu sein, einen weitgereist