Hans Leip

Die unaufhörliche Gartenlust


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Volk und Gäste schon verstreut. Aus der demolierten Haustür aber drang auf hebräisch der Klageruf des Hausherrn durch den zertrampelten Vorgarten, wo neben den umgestürzten Springbrunnen zerschmettert die Statuen Venus und Merkur lagen in Pfützen Weines und Blutes, und das herabgefetzte Plakat christlicher Huldigung deckte nur unzureichend die heidnische Blöße.

      Mob,

      Pöbel!

      So lautet’s,

      wenn das Volk sich rührt.

      Doch wo was gärt, ist auch was faul.

      *

      Der Kaneelbaum

      Noch lange nach dem Dreißigjährigen Kriege war innerhalb der weiten Umwallung Hamburgs die Gegend zwischen Jungfernstieg, Dammtor, Fuhlentwiete und Kohlhöfen, die sogenannte Neustadt, nur wenig bebaut. Gänsemarkt, Großneumarkt, Schaarmarkt und Zeughausmarkt lagen mitten in Gärten, wo Kaufleute und Ratsherren ihre Sommerlust eingerichtet. Dort genossen ihre Familien – und sie selber die Abende und Feiertage – abseits der dumpfen Speicherwohnungen am Cremon, Hopfensack oder Wandrahm die gute Jahreszeit.

      1669 legte Caspar Anckelmann unter riesigen Kosten einen Garten bei der jetzigen Poolstraße an. Das Geld schoß ihm sein Schwiegervater, der Großgrundbesitzer Möhlmann, vor. Der Garten war in vier Lustquartiere geteilt mit muschel- und buchs-eingefaßten Schnörkelbeeten, deren Nachklänge gelegentlich noch heute in Bauerngärten anzutreffen sind. Er war besetzt mit ungewöhnlichen Pflanzen, beschafft aus allen erreichbaren Erdteilen, zumal in Töpfen und Kästen, die winters ins Haus geholt werden mußten. Es fehlte auch nicht an gestutzten Fruchtbäumen und Spalieren, und überall waren Obelisken, Pyramiden und Marmorgötter aufgestellt. In der Mitte befand sich ein prächtiges Lusthaus, wohlmöbliert und aufs üppigste mit Gemälden und Plastiken ausstaffiert.

      Die kostbarste unter den fünfhundert Besonderheiten des Gartens war ein „Caneelbaum“, über Holland aus Westindien bezogen. Der Große Kurfürst bot bei einem Besuche in Hamburg 1682 dem stolzen Besitzer glatte zweitausend Reichstaler dafür. Aber Anckelmann lehnte ab.

      Vierzehn Jahre später hätte er wahrscheinlich nicht abgelehnt. Seine Gartenleidenschaft hatte sein und seiner Verwandten Vermögen verschlungen. Er mußte sich November 1696 – er hatte den Garten noch abgeerntet – für zahlungsunfähig erklären. Damit verlor er auch einen sechs Jahre innegehabten Ratsherrenposten. Seine Gläubiger versammelten sich auf der Diele des schönen Lusthauses, ihr Recht zu fordern. Aber der Besitzer hatte das Weite gesucht und soll nach langer Irrfahrt in Brasilien als Plantagenaufseher gestorben sein.

      Englischer Einfluß in Hamburg

      Ähnlich wie deutsche Kaufleute im Stahlhof zu London eigene Niederlassungen besessen, gründeten Engländer zu Hamburg ihren Court der „Merchants adventurers“. Diesen Begriff mit dem Ausdruck kaufmännische Abenteurer zu übersetzen, dürfte kaum als ungemäß gelten, da bis heute kein bedeutendes kaufmännisches Unterfangen des Abenteuers entbehrt.

      Diese Unternehmer brachten aus England um 1650 die Neigung zu ausgedehnten Landsitzen mit. Auf der britischen Insel war dafür ein Gartenstil entwickelt worden, der die Landschaft möglichst unberührt ließ und die barocke Steifheit höchstens in der Nähe des Hauses, doch immer aufgelockerter, duldete.

      Bis dahin war zu Hamburg der holländische Geschmack maßgeblich gewesen, der wiederum von den Franzosen gelernt hatte, aber in flachem Gefilde und begrenzterem Raum die Pariser Gartengenialität in eine spielerische und pedantische Schnörkelhaftigkeit verengte. Von den Holländern, den emsigen Züchtern, übernahmen die deutschen Fürstenhöfe mehr als aus Paris und Versailles ihr Pflanzmaterial und die Anregungen für die Gartenarchitektur.

      Auch Hamburg bezog seine Blumenzwiebeln und ausländischen Bäume noch lange über die Niederlande, seine Gartenpläne aber, die der Bürger sonst so gern den Potentaten nachahmte, wurden nachhaltig vom Geiste des englischen Welthändlers beeinflußt.

      Welt,

      schöne

      reiche Welt,

      dein Abschaum heißt Gold,

      draus der Mensch dich mühsam nachäfft.

      *

      Der Demokrat und die Apfelsinen

      Die Bezeichnung „Apfel de Sina“ wurde in Hamburg erfunden und hat sich von dort über Deutschland verbreitet. Die anfangs sehr kostspielige Frucht galt, mehr noch als der Apfel, als Sinnbild des Glanzes und der Macht, und ein gewisses Publikum, das nicht zu den Ärmsten gehört haben kann, warf diese goldenen symbolischen Reichsäpfel dem ersten Demokraten zu Hamburg, dem Kaufmann Snitger in den Wagen, als er einem Überfall anders gesonnener und konservativer Stadtgenossen entronnen war.

      Er hatte mit seiner Frau seinen Garten zu Hamm aufgesucht, um die ersten Märzglöckchen zu pflücken, und auf der Rückfahrt war ihm von den politischen Gegnern aufgelauert worden. Eine Gartennachbarin, die den Lärm gehört, war mit ihrem Wagen zur Stadt gejagt und hatte veranlaßt, daß Kavallerie zu Hilfe kam. Die Wegelagerer wurden bei der Fähre zu Artlenburg, wo sie ungewollt Aufenthalt erlitten, eingeholt und überwältigt. Sie hatten Snitger, der als Vertreter der Bürgerschaft den sich auf Gott und Kaiser begründenden Rechten des Rates die zeitgemäßen Forderungen des Volkes entgegengesetzt, nach Wien zur Verantwortung entführen wollen. Nun wurden sie auf Betreiben des Geretteten hingerichtet, im ganzen neun Personen.

      Aber vergossenes Blut schreit nach Blut. Zu neun Kegeln fehlen zwei Kugeln, sagten seine Parteigegner und meinten Hieronymus Snitger und seinen Mitdemokraten, den ehemaligen Tuchfärber Jastram. Die beiden waren zu eilig vorangegangen auf dem noch unsicheren Gebiete sozialer Reformen, liehen auch, als sie ihre Macht bedroht fanden, dänischen Versprechungen ihr Ohr. Als Christian V. aber mit Kriegsvolk anrückte, fand sich die ganze Stadt plötzlich in wilder Einmütigkeit zur Abwehr bereit, und die beiden ersten Demokraten Hamburgs wurden „beim Kopfe genommen“. Es war im Herbst 1686. Snitgers Frau hatte die letzten Rosen aus dem Garten geholt, der mit dem Todesurteil dem Staate anheimfiel. Sie wachte die ganze Nacht bei ihrem Manne und legte ihm selber am Morgen den schwarzen Richtmantel um, sank aber nach dem Abschiedskuß ohnmächtig nieder.

      Snitgers Kopf hat auf einer eisernen Stange fast ein halbes Jahrhundert überm Steintore geprangt, bis er in einer stürmischen Novembernacht herunterfiel.

      Passionsblume

      Der Küster der St.-Georger Kirche, als sie damals noch St. Jürgen benannt und eine Kapelle war, hieß Elias Galli und scheint später das erste Kaffeehaus in Hamburg und damit in Deutschland eröffnet zu haben. Er war zudem ein bedeutender Maler und stand als aufgeklärter Mann den sozialen Plänen Snitgers nahe. Mit andern Gleichgesonnenen mußte er nach der Hinrichtung der demokratischen Führer Hamburg 1687 verlassen.

      In der Verbannung hat er einen der Emigranten gemalt, anscheinend als Vorlage für ein zu verbreitendes Pamphlet, die den Geächteten, den Licentiaten der Rechte Nicolaus Sillem, mit schwer gefesselten Füßen in einem Raume zeigt, der halb als Gefängnis, halb als Studierstube anmutet. Auf einem Tische zwischen Büchern und Schriften steht das prächtige Exemplar einer blühenden Passionsblume, die sich zu einem ovalen Gitterfenster aufwölbt. Die Linke des den Beschauer beredt und sympathisch anblickenden stattlichen Herrn faßt nach einer der Blüten. Diese Blüten, mit der seltsamen Fadenkorona, den drei nagelhaften Staubgefäßen und dem geißelartigen Stempel, erinnerten den Gläubigen jener Zeit an das Martyrium Christi.

      Nach zehnjähriger Ächtung kehrten die Sillems zu ihren amtlichen Ehren zurück und schenkten der Stadt durch viele Generationen hervorragende Köpfe der Verwaltung.

      Anfang des neunzehnten Jahrhunderts besaß Garlieb Sillem als Hamburger Bürgermeister Landhaus und Garten an der Elbe zu Nienstedten, dort, wo heute der Wesselhoeftsche Besitz sich erstreckt.

      Kampf,

      Zwiespalt

      aller Lust,

      immer ist das Leid

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