nach Gold suchen, und wenn du Glück hast, findest du was. Ich habe neulich fünf Stunden mit einem Detektor auf den Knien gelegen und am Ende tatsächlich ein paar Gramm in der Hand gehalten. Von dem Nugget habe ich einen Ring machen lassen. Den nehme ich mit heim, wenn meine Mutter ihren fünfzigsten Geburtstag feiert.
Die Aborigines – ja, das ist hier ein Riesenproblem und auch nicht zu übersehen, oder? Aber Wayne arbeitet mit einem zusammen, der ist ein richtig netter Kerl. Er wurde unter einem Baum geboren, und keiner weiß genau, wann das war. Er hat uns schon ein paarmal mit in den Busch genommen und vieles erklärt. Zum Beispiel, an welchen Bäumen du nach Wasser graben kannst, welche Beeren du essen darfst und welche auf gar keinen Fall. Wunderschöne Beeren, sehen toll aus, aber fass sie besser nicht an. Er kennt Gegenden, in denen wilde Melonen wachsen, es ist echt interessant mit ihm, du lernst eine Menge.
Etwa 180 Kilometer von hier, Richtung Springvale, ist ein wunderschöner Platz mit Wasserlöchern. Ideal zum Campen und Fischen. Als wir dort zum ersten Mal ein Wochenende verbracht haben, wollte ich natürlich gleich ins Wasser springen, es war furchtbar heiß. Aber Wayne meinte: Tu das lieber nicht, hier gibt’s Krokodile. Ich hab’ keins entdecken können und gesagt: Du spinnst. Nachts hat Wayne dann mit seiner Taschenlampe das Wasser ausgeleuchtet, und ich sah überall diese roten Augen – unheimlich. Unser Freund hat uns erklärt, wie die Aborigines das machen. Sie werfen zunächst einen Hund ins Wasser, und wenn der nach zehn Minuten noch munter planscht, schicken sie die Kinder zum Schwimmen hinterher.
Konsumansprüche darfst du hier nicht haben. In Halls Creek gibt es wirklich nur das Allernötigste, und auch das nicht immer. Bei uns ist mal ein Japaner gelandet, der mit dem Fahrrad unterwegs war in den Kimberleys. Sein Schlauch war kaputt, und es hat vierzehn Tage gedauert, bis die Werkstatt einen neuen besorgt hatte. Der Junge hat in der Zwischenzeit bei mir in der Küche gearbeitet. Er war der beste Spüler, den ich je hatte.
Die meiste Angst habe ich davor, mal ernsthaft krank zu werden. Dann kannst du nur darauf hoffen, dass dich die Flying Doctors rechtzeitig rausholen. Schwangere werden grundsätzlich vierzehn Tage vor dem Geburtstermin nach Perth geflogen. Wir haben hier auch eine kleine Krankenstation, aber das ist nichts Verlässliches. Als ich mir die Rippen angebrochen hatte, haben sie mich dort geröntgt. Aber der Apparat war so uralt, dass man kaum was sehen konnte auf den Bildern. Ich kann nur hoffen, dass uns hier nie etwas Schlimmeres passiert. Was soll man machen, mit dieser Angst muss man leben.
Zurzeit sind die Temperaturen noch einigermaßen erträglich, es ist ja erst September. Aber schon innerhalb der nächsten Wochen wird es richtig heiß, und zu Weihnachten werden wir furchtbar schwitzen. Ich weiß noch, dass wir im vergangenen Jahr unter unserem mickrigen Eukalyptusbäumchen saßen, wir hatten den mit Kugeln behängt, als meine Mutter anrief. Sie hat erzählt, dass es zu Hause zehn Grad hat, minus. Ich konnte nur stöhnen: Bei uns sind es 42 Grad plus.
6 »Im Goldrausch hat Claudia die Zeit vergessen«
Ein neues Leben am Indischen Ozean
In Broome kann man mondsüchtig werden. Das liegt an einem seltenen Schauspiel, das die Natur an einem der vielen Strände dieses Städtchens am nördlichen Ende der australischen Westküste inszeniert. Wenn Ebbe herrscht am Indischen Ozean und sich der Mond in seiner ganzen Fülle in den zurückgebliebenen Wasserlachen spiegelt, dann hat man für ein paar Minuten den Eindruck, als führe eine Leiter aus Licht zu der goldgelben Scheibe hinauf. In diesem magischen Moment geht ein Raunen durch die Reihen der Zuschauer. Dass man ihn lediglich dreimal im Monat und dies auch nur zwischen März und Oktober erleben kann, erhöht seinen Reiz.
Die Magie des schönen Scheins – nichts könnte die Antriebskraft Broomes besser symbolisieren als der abendliche Zauber am Meer. Schon ein kurzer Spaziergang durch die Fußgängerzone genügt, um zu begreifen, dass Perlen das Elixier dieses Ortes sind. Fast jedes zweite Geschäft bietet Originale oder Imitate an. Ein 1999 enthülltes Denkmal erinnert an »all jene, die bei der Suche nach Muscheln ihr Leben ließen und ihren Beitrag zu Broomes Blüte leisteten«. Zwischen Bars und Boutiquen angebrachte Schautafeln dokumentieren, was Menschen alles auf sich nahmen, um an die erbsengroßen, in aller Welt begehrten Kugeln zu kommen, und welche Dramen ihre oft tödlichen Anstrengungen begleiteten.
1890, kurz nach dem ersten Perlenrausch, wirft eine wirtschaftliche Depression den Ort in die Armut zurück. Elf Jahre später, nach einer Phase der Erholung, wetteifern – wie der Chronist mit buchhalterischer Akribie festhält – 699 Malaien, 307 Filipinos, 280 Japaner und 132 Europäer um die vor der Küste eingekapselten Schätze. 1914 ersticken 33 Taucher, die sich zu weit in die Tiefe gewagt haben, unter ihren Hauben. Broome hat sich kaum von den Folgen der Weltwirtschaftskrise erholt, als es 1935 von dem schlimmsten Taifun seiner Geschichte heimgesucht wird. 142 Menschen kommen ums Leben. Zwanzig Schiffe werden zerstört.
Viele der Opfer sind Japaner, die mittlerweile das Perlengewerbe dominieren und für die man einen eigenen Friedhof einrichtet. Den Grabsteinen ist zu entnehmen, dass so manchem der wagemutigen Taucher die Konfrontation mit einem Hai zum Verhängnis wurde.
Der Rezession, die der Zweite Weltkrieg mit sich bringt, folgt der Siegeszug der billigeren Plastikperlen. Broome, das auf die Zucht in künstlich angelegten Kolonien umstellt, schafft sich ein zweites ökonomisches Standbein: den Tourismus. Der 23 Kilometer lange Cable Beach gehört mit seinem fast schneeweißen Sand und seinen bizarren Felsformationen zu den schönsten Stränden der Welt. Am Abend, wenn die glutrote Sonne mit dem Grau des Ozeans verschmilzt, ziehen Kamelkarawanen mit verzückten Urlaubern am Saum der See entlang.
In einem Städtchen, in dem knapp 7000 Menschen leben und das so viel zu bieten hat, residieren, da sind wir uns sicher, auch Deutsche. Aber wie und wo findet man sie? Der Wirt in unserem Motel kennt keinen, die Frau hinterm Tresen der Tankstelle auch nicht. Dutzende von Familiennamen und Orten hat man uns in Darwin, wo wir vor gut einer Woche unsere Recherchen begannen, genannt. Aber Broome war nicht dabei. 2500 Kilometer sind wir bis hierher gefahren. Ohne einen deutschen Auswanderer zu interviewen, das schwören wir uns, werden wir diesen Ort nicht verlassen.
Auf dem Nachttisch in unserem Zimmer liegt, in leuchtendem Weiß, das Branchenadressbuch für diese Region. Noch nie haben wir uns mit so viel Verve auf einen dermaßen faden Text gestürzt. »Möchten Sie, dass Ihre Buchhaltung in Ordnung kommt? Dann rufen Sie Connie Grohmann an!« – Zu langweilig, finden wir. »Für Entertainment aller Art sorgt Oliver Vogelgsang.« – Zu exotisch, lautet unser Urteil. »Ihre Hochzeit arrangiert Elisabeth Lucke.« – Das könnte eine Option sein. »Kompletter Service, auch in abgelegenen Gegenden, Lothar Oppermann, Malermeister.« – Deutsche Handwerker sind begehrt in Australien. Das würde thematische Relevanz garantieren. Also: anrufen!
0428 452006 – eine Handynummer. In das Brummen des Motors, das schneidende Geräusch des Fahrtwindes und die Musikfetzen aus dem Autoradio mischt sich die freundliche, aber kaum vernehmbare Stimme des Malers Lothar Oppermann. Er sei, so viel kann man heraushören, gerade im Outback unterwegs. Wir sollten es in zwei Stunden nochmal versuchen. Dann sei er zu Hause zu erreichen.
91 92 1814 – der Festnetzanschluss. Er gehöre, sagt der Handwerker, der »zweiten Generation« an, die bereits in Australien geboren wurde. Aber sein in Perth lebender Vater, der sei in den fünfziger Jahren von Deutschland ausgewandert und habe bei mehreren australischen Großprojekten Pionierarbeit geleistet. Wir notieren uns seine Telefonnummer und haben einen weiteren, hochinteressanten Kandidaten – in der 2400 Kilometer entfernten Hauptstadt des Bundesstaates Western Australia, aber noch immer nicht in Broome. Der Telefonhörer fällt schon fast auf die Gabel, als vom anderen Ende doch noch der rettende Tipp kommt. »Ach, mir fällt gerade ein, dass meine Nachbarn Deutsche sind: Andreas und Claudia Billiau. Nette Leute sind das.«
Das sind sie. Claudia Billiau, Jahrgang 1961, berichtet am Telefon, obwohl in wenigen Stunden ihr Flug nach Perth geht, mit Engelsgeduld von der Perlenkollektion, die sie entworfen habe und über deren Vermarktung sie in Perth mit einem Agenten verhandeln werde. Eine Kombination aus echten Perlen, edlem böhmischen Glas und Goldverzierungen sei das – »wirklich wunderschön«.
Ihr Mann Andreas, Jahrgang 1956, empfängt uns, während seine Frau mit dem Musterkoffer in Richtung Süden unterwegs ist, auf der Terrasse eines Grundstücks,