Jürgen Bertram

Sehnsucht Australien


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ist ein interessanter Typ. Der hat einen Lastwagen konstruiert, dessen Ladefläche sich beim Kippen zur Seite dreht. Millionär ist der mit dem Patent geworden.«

      »In Bathurst, da gibt’s eine Tankstelle, die einem Deutschen gehört. Kein Wort Englisch konnte der, als er nach Australien kam. Läuft prima, der Laden.«

      »Den Werner in Katharine, den müsst ihr auch unbedingt besuchen. Der betreibt dort ein Reisebüro. ›The king of Katherine‹, nennen sie den.«

      Katherine? In diese Richtung fahren wir morgen.

      4 »Und plötzlich war ich Metzger«

      Der König von Katherine

      Ameisen kennen keine Mittagspause. Auch wenn es »High Noon« ist in Katharine, herrscht Hochbetrieb auf ihren Straßen. Als seien sie zu ewigem Gerenne verdammt, streben sie, im Zickzack zumeist, irgendwelchen Zielen zu. Manche transportieren Material für den Ausbau ihrer Nester. Andere wieseln um ihre Königin, ein Prachtexemplar mit silbernen Flügeln. Ein kurzes Stampfen mit dem Fuß genügt, und schon sprudeln Hunderte neuer Leiber aus den Löchern der rostroten Erde. Keine Minute dauert es, bis sich alles wieder in 40 die hergebrachte Ordnung fügt.

      Wendet man seinen an mitteleuropäische Hektik gewohnten und auf ständige Abwechslung gepolten Blick zurück auf die Nationalstraße Nummer eins, die das 315 Kilometer südlich von Darwin gelegene Städtchen durchschneidet, glaubt man für einen Moment, die Hitze habe das Leben erstarren lassen. Ein Zischen beim Öffnen einer Bierdose, ein Gurren aus dem Grün hinter dem Fluss, der auch Katherine heißt, sind zu dieser Stunde seine einzigen Signale.

      Am Nachmittag haben wir einen Termin mit dem Reiseunternehmer, den uns die Skatspieler in Darwin als den »König von Katharine« avisierten. Bei unserem ersten Rundgang durch sein Reich, mit dem wir, keinerlei Systematik folgend, die Zeit überbrücken, bleibt uns auch das Elend der Aborigines, der Nachfahren der australischen Ureinwohner, nicht verborgen. Eine Großfamilie döst, von Schnapsflaschen eingekreist, im Schatten eines riesigen Eukalyptusbaumes. Eine Gruppe von Frauen, in deren Gesichtern sich die Härte des Alltags abbildet, wartet vor einer Sozialstation ungeduldig auf Einlass. Das therapeutische Angebot, das man in fetten Buchstaben auf deren Frontscheibe gepinselt hat, beschreibt zugleich einen gesellschaftlichen Teufelskreis: »Arbeitslosigkeit«, »Häusliche Gewalt«, »Kindesmissbrauch«.

      Neben dem Eingang zum Freizeitzentrum für Jugendliche hängt ein Hinweis, der mit dem Begriff »Regeln« überschrieben ist und den Duktus der desperaten Klientel zu treffen versucht: »Hey, ihr Typen! Seid ihr wieder besoffen? Wenn ihr hierherkommt, habt ihr euch dem Boss unterzuordnen. Wenn ihr euch prügelt und dabei Sachen zu Bruch gehen, dann ruft der Boss die Polizei, und ihr landet im Knast. Für alles, was ihr demoliert, müsst ihr selbst blechen. Ist das klar?«

      Die hautnahe Konfrontation mit der Realität ruft jene beklemmenden Fakten ins Bewusstsein, die man aus den Medien kennt: Die Lebenserwartung ist bei den Aborigines um zwanzig Jahre niedriger als bei der übrigen Bevölkerung, das Risiko, ermordet zu werden, achtmal höher. In vielen ihrer Siedlungen gelten Mädchen, die mit zehn Jahren noch Jungfrau sind, als die absolute Ausnahme.

      Das australische Northern Territory, in dessen Herzen wir uns befinden, gehört zu den Zentren der etwa 350 000 in Australien lebenden Aborigines. Auch wenn man ein Buch über deutsche Auswanderer schreibt, also einen ganz anderen Schwerpunkt setzt, kann man diese Randgruppe, das wird uns in Katherine schnell klar, thematisch nicht ausgrenzen. Und so dreht sich auch in unserem Gespräch mit dem Inhaber der Firma »Travel North« zunächst alles um dieses größte soziale Problem der australischen Gesellschaft.

      Werner Sarny, geboren am 7. Juli 1938 in Bad Godesberg am Rhein, hat einige Jahrzehnte mit Aborigines zusammengearbeitet und ihren Niedergang aus nächster Nähe verfolgt. Immer wieder breitet er, in einer Mischung aus persönlicher Betroffenheit und politischer Resignation, achselzuckend die Arme aus, als wir in seinem Büro um Erklärungen für den selbstzerstörerischen Umgang dieser Minorität mit sich selbst ringen.

      Die Tragödie, so der Kern unserer Analyse, beginnt bereits ihren Lauf zu nehmen, als die ersten britischen Siedler vor gut zwei Jahrhunderten den Boden der Insel betreten, auf der seit etwa 40 000 Jahren die Ureinwohner als Jäger und Sammler leben. Zwei völlig konträre Welten prallen aufeinander: hier die spirituellen Nomaden, denen die lebensspendende Natur heilig ist, dort die extrem materialistisch eingestellten Eindringlinge, die Sesshaftigkeit anstreben, die Natur rücksichtslos ausbeuten und ihre Interessen mit Waffengewalt durchsetzen.

      Seine auch durch andere Brutalitäten angehäufte Schuld versucht der Staat später zu kompensieren, indem er die Aborigines großzügig mit Geld ausstattet, ohne eine angemessene Gegenleistung von ihnen zu verlangen. Er stellt sie also ruhig, statt sie zu aktivieren. Die Folge ist eine Phlegmatisierung, an der später die mannigfachen Integrationsversuche scheitern. Nicht alle, aber viel zu viele und immer mehr Aborigines entziehen sich der auf den Konsens bedachten Gesellschaft. Ihr wichtigster Fluchthelfer ist der Alkohol.

      Der Sog der Isolation hat, wie das Beispiel Katherine zeigt, längst die Kinder erfasst. »Nur dreißig Prozent von ihnen besuchen in dieser Region eine Schule, und das zumeist auch nur unregelmäßig«, weiß Werner Sarny. »Es macht mich traurig, wenn ich an ihre Zukunft denke.«

      »Gab es auch bessere Zeiten?«

      »Ja. Das war, als viele Aborigines als Viehtreiber auf den Farmen arbeiteten. Dieser Job, bei dem man sich Hunderte von Kilometern durch das Land bewegen musste, entsprach ihrem Naturell, und weil er existenziell wichtig war, genoss er auch hohes Ansehen. Bezahlt wurden die Viehtreiber teils mit Geld, teils mit Verpflegung und Unterkunft. Oft gehörten sie zur Familie. Aber dann gab der Staat den Gewerkschaften nach, die für die Aborigines mehr Rechte, vor allem aber weitaus höhere Löhne verlangten. Weil sich das viele Farmer vor allem in Krisenzeiten nicht leisten konnten, stellten sie auf technische Mittel um und entließen ihre Viehtreiber.«

      »Aber für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, ist die Aufgabe von Gewerkschaften ...«

      »Natürlich. Gegen eine bessere Bezahlung ist ja auch nichts einzuwenden. Aber in diesem Fall hätte der Staat vor allem den finanzschwachen Farmern einen Ausgleich für die höheren Löhne anbieten müssen. Das wäre die Lösung gewesen und hätte uns vieles von dem erspart, was wir heute beklagen. Als die Aborigines noch eine vernünftige Arbeit hatten, waren das vitale Menschen, die sich auch mit kulturellen Beiträgen an den Festen in dieser Gegend beteiligten. Heute leben sie in Ghettos.«

      Werner Sarny spricht voller Sympathie über die Aborigines, unter denen er, wie er betont, »viele Freunde« hatte. Dass dieser Minderheit durch einen staatlichen Akt ein Teil seines Grundbesitzes zugeschlagen wurde, stört ihn weniger – so lässt sich aus seinen behutsamen Formulierungen heraushören – als das Unvermögen der neuen Eigentümer, damit konstruktiv umzugehen. Aus den Telefonaten, die er während unseres Besuches führt, kann man schließen, dass er ihnen als jederzeit ansprechbarer Berater zur Verfügung steht.

      Mit seiner kurzen Leinenhose, den weißen Kniestrümpfen und seinem weder durch List noch Argwohn entstellten Blick sieht der Sohn einer Deutschen und eines Österreichers eher aus wie ein in die Jahre gekommener Führer einer Pfadfinderschar als der Eigentümer und Generaldirektor eines boomenden Unternehmens, das fast 200 Mitarbeiter beschäftigt. Wollte ein Bildhauer der Gutwilligkeit eine Gestalt geben – dieser Großvater mit den wasserblauen Augen und den noch immer jungenhaft blonden Haaren könnte ihm Modell sitzen.

      Zwar blitzt bei uns, den mit ewigem Misstrauen geschlagenen Journalisten, der Gedanke auf, der biedere Habitus könnte die Tarnung eines knallharten Geschäftssinnes sein. Doch dann wären die Wände in diesem bescheidenen Büro wohl mit Erfolgsstatistiken drapiert und nicht mit gerahmter Lebensphilosophie: »Respect yourself, respect your culture.« Das entspricht exakt dem Appell, den der noch nicht resignierte Teil der australischen Gesellschaft gegenwärtig an die Aborigines richtet – wohl wissend, dass ihnen genau dieser Respekt über Jahrhunderte versagt blieb, aber auch in der Überzeugung, dass die ständige Fixierung auf die Sünden der Vergangenheit die Perspektive endgültig verstellt.