Vormittag bei seiner Fabrik vorbeikommen, dann lotse er uns mit seinem Geländewagen zu »Helmut«, den im ganzen Northern Territory bekannten Gärtner.
Wir fahren von der Firma »Action Sheetmetal« keine drei, vier Kilometer in Richtung Süden, als das unwirtliche Industriegebiet abrupt von einer Landschaft abgelöst wird, die uns eine Ahnung von der wilden Schönheit des Buschs vermittelt. Von Eukalyptusbäumen flattern, durch den Lärm unserer Motoren verscheucht, kreischende Kakadus auf. An den Gestaden einer mit weißer Blütenpracht besprenkelten Lagune putzen sich Pulks von Reihern und Wildgänsen.
Doch dann herrscht plötzlich Ordnung im Outback. Namensschilder markieren die tropischen Pflanzen. Auf keinem der wie mit dem Lineal gezogenen Beete wuchert unnützes Grün. Die Brunnen und die Miniaturmühlen, die chinesischen Terrakottafiguren und die modernen Skulpturen, die das nach Hibiskus, Bougainvilleen und Rosen duftende Areal dekorieren, verstärken den Eindruck von einer domestizierten Natur. Aber wo ist Helmut, der Gärtner? »On the radio«, sagt Hardy, sein Sohn.
»On the Radio?”
Sein Vater, klärt uns der Sohn auf, habe eine feste Ratgebersendung im Regionalprogramm. Wir sollten warten, er käme gleich zurück.
Und dann steht er plötzlich vor uns, der Experte für Blumenerde, Zimmerpalmen, Blattläuse, Kakteen. Er trägt, zum Schutz gegen die von Tag zu Tag stärker werdende Frühlingssonne, einen breitkrempigen Hut, die für australische Männer typische dreiviertellange Hose und jene ledernen Stiefel, die als Bollwerk gegen die auch in dieser Region weit verbreiteten Giftschlangen dienen. Die Souveränität, die ihm den Job beim Hörfunk einbrachte, steht ihm im kantigen Gesicht geschrieben. Im Gegensatz zu Harry Maschke, der seine Pointen mit temperamentvoller Gestik untermalt, bevorzugt er einen eher ruhigen, fast stoischen Erzählstil. Der Humor, mit dem er manche Sätze würzt und der in seinen Augen immer mal wieder den Schalk aufblitzen lässt, wirkt durch dieses Understatement umso intensiver.
Helmut Schimmel, 68
Wenn ich den Leuten hier in Australien von meiner Heimat erzähle, dann sage ich immer: Ich komme aus einem Dorf, das damals wohl das rückständigste in ganz Deutschland war. Tatsächlich gehörten wir zu den Letzten, die Elektrizität, fließendes Wasser und gepflasterte Straßen bekamen, und bei uns wurde auch einer der letzten Wilderer auf deutschem Boden erschossen. Das Dorf heißt Schnellbach, und es liegt mitten im Hunsrück. Zu meiner Zeit waren die Leute dort sehr arm. Es gab nur wenige Bauern, die mehr als zwei Kühe hatten und von der Landwirtschaft leben konnten. Die meisten verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie Musik machten. Sie zogen von einer Kirmes zur nächsten und machten Musik.
Meine Mutter war Kriegerwitwe, sie hatte es nicht leicht damals mit drei kleinen Kindern. Wir waren Flüchtlinge, ursprünglich stammt meine Familie aus Schlesien. Ich wurde 1939 in Hermannsdorf bei Breslau geboren. Meine Mutter hat uns durchgebracht, indem sie für die Bauern im Hunsrück arbeitete. Sie hat auf den Feldern gearbeitet oder die Wäsche gemacht, es war harte Arbeit, sehr hart. Aber das weiß man natürlich erst zu schätzen, wenn man älter ist.
1989 war ich zum letzten Mal in Deutschland und habe auch meine alte Heimat besucht. Schnellbach nennt sich jetzt Höhenluftkurort. Viele neue Häuser wurden gebaut, aber die meisten stehen leer, weil die Bewohner nur die Ferien dort verbringen. Alles hat sich total verändert, und wenn du aus Australien kommst, dann fällt dir besonders die Beengtheit auf. Ein Dorf am anderen, und so vieles ist verboten. Ich weiß noch, dass ich mit einem meiner alten Schulfreunde angeln gehen wollte. Ich hab’ zu ihm gesagt: Los, komm, lass uns fischen gehen. Forellen aus dem Bach, so wie früher. Der Mann hat fast einen Herzinfarkt bekommen und mir klargemacht, dass man dafür ins Gefängnis kommen kann.
Aus dem Hunsrück ins Northern Territory: Helmut Schimmel, Gärtnereibesitzer und Farmer
Nein, ich könnte heute nicht mehr in Deutschland leben, ich würde da nicht mehr hinpassen. Hier ist vieles viel einfacher, man findet leichter Zugang. Ich kann hier einen Minister anrufen, und ich weiß, dass ich einen Termin bekomme. Unseren Ministerpräsidenten habe ich mehrfach getroffen, so etwas ist kein Problem in Australien. In Deutschland würde man nicht mal auf die Idee kommen, oder?
Ob ich mich als richtiger Aussie fühle? Schwer zu sagen. Ich weiß nur: Ich träume in Englisch. Und ich denke, ich werde hier sterben. Australien war gut zu mir. Ich sage immer: Um das zu erreichen, was ich hier erreicht habe, hätte ich in Deutschland viel mehr investieren müssen, in jeder Beziehung.
Dabei wollte ich eigentlich gar nicht nach Australien, ich bin eher per Zufall hier gelandet. Nachdem ich in Bad Kreuznach am Max-Planck-Institut Gartenbau studiert hatte, wollte ich die Welt sehen. Und ich wollte dabei auch Japan besuchen. Ich dachte, in meinem Beruf könnte ich davon profitieren. Also habe ich mich auf den Weg gemacht, per Fahrrad. Soweit es irgend ging, habe ich mich über Land vorwärtsbewegt. Italien, Türkei, über den Bosporus, Iran, Irak, Pakistan, Indien, Ceylon, schließlich per Schiff nach Indonesien. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich insgesamt zwei Jahre gebraucht, um nach Japan zu gelangen. Ich habe dort weiterstudiert, bis ich erfuhr, dass in Melbourne und in den USA große internationale Pfadfindertreffen stattfinden würden. Ich war damals begeisterter Pfadfinder, bin es heute noch, und natürlich musste ich da unbedingt hin.
1964 bin ich in Darwin angekommen, per Schiff. Ich mochte die Gegend hier auf Anhieb. Ob es die Weite war, die Freundlichkeit der Leute – ich weiß es nicht, es hat mich einfach gepackt. Sicher, die Menschen hier sind auch heute noch freundlich – aber damals, das war einfach überwältigend. Diese Offenheit, die Gastfreundschaft, ständig wurde man zu Barbecues eingeladen. Darwin hatte in den Sechzigern gerade mal 24 000 Einwohner, verglichen mit heute eine Kleinstadt. Um Geld für meine Weiterreise zu verdienen, habe ich mir erst mal einen Job gesucht, und abends habe ich Englischkurse belegt. Zum Unterricht bin ich mit dem Rad in die Stadt gefahren, das waren ungefähr zwanzig Kilometer, und ich erinnere mich bis heute, dass mir einmal sieben Autos auf dieser Strecke entgegenkamen. Mein Gott, habe ich damals gedacht, was für ein Verkehr.
Als ich dann schließlich zusammen mit den Boyscouts aus Darwin nach Melbourne und Amerika gereist bin, wusste ich: Eines Tages komme ich zurück. Ein Jahr lang bin ich noch durch Südamerika geradelt, von Caracas bis an den Amazonas, und danach habe ich in Deutschland meine Sachen geordnet. Ich bin zu meiner Mutter in den Hunsrück gefahren und habe ihr gesagt: Ich mache hier klar Schiff und gehe nach Australien. Begeistert war sie nicht, aber was konnte sie tun? Da war nichts in Deutschland, was mich gehalten hätte. Schon unterwegs hatte ich immer, wenn ich an zu Hause dachte, Darwin vor Augen.
Meine englische Freundin hatte auf mich gewartet, und 1967 haben wir unser gemeinsames Leben begonnen. Zunächst habe ich für die Fluggesellschaft Quantas gearbeitet, aber schon 1969 habe ich mich mit einem Betrieb für Gartenarchitektur selbstständig gemacht. Mit Schubkarre und Schaufeln ging es los, aber schon bald hatten wir dreißig Angestellte. Fast alles, was heute im Stadtbild von Darwin an Gartenarchitektur zu sehen ist, stammt von unserer Firma. Natürlich war es nicht so einfach, wie es sich jetzt hier darstellt, der Anfang ist immer schwer. Aber ich denke, auch heute noch kann man es in Australien zu etwas bringen, wenn man bereit ist, hart zu arbeiten.
Das Gelände hier ist an die hundert Hektar groß, aber wir bewirtschaften nur fünfzig. Wir haben das Land ringsum vor allem deshalb gekauft, um die Lagune zu schützen, die sich hinter der Gärtnerei ausbreitet. Noch sind nur wenige hier, aber in den nächsten drei Wochen werden Tausende von Gänsen einfliegen, um an der Lagune zu brüten. Sie wissen inzwischen, dass dort nicht geschossen wird.
Meine Frau und ich, wir lieben die Natur, das ist auch etwas, was uns an diese Gegend bindet. Wir sind das, was man in Australien bush people nennt, wir mögen die Einsamkeit. Wir haben schon unsere Flitterwochen im Busch verbracht, und als wir ein bisschen Geld übrig hatten, haben wir eine station gekauft: Diese Farm war mehr als 700 Kilometer entfernt, im Barkly Tableland, irgendwo im Nirgendwo. Mit dem Auto fuhr man achteinhalb Stunden von Darwin bis zur Farm, und was mich dabei am meisten beeindruckt hat: Auf der gesamten Strecke gab es nur einen Abbieger. Du fuhrst endlos geradeaus,