Will Berthold

Tödliches Glück


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den Eindruck, von Schluckesafts Stimme hinge Mißgunst über so viel unkontrollierte Staatsmacht. „Das einzige Problem ist, woher sie das Material nehmen.“

      „Sie haben Bonn verständigt, Grosse?“ vergewisserte sich der General.

      „Laufend.“

      „Mit Nachdruck?“

      „Zusätzliche Blitzmeldung an das Bundeskanzleramt unter dem Datum des 10. August 1961“, wiederholte Grosse pedantisch. „Headline: Mit hermetischer Abriegelung der sowjetischen Besatzungszone ist umgehend zu rechnen.“

      „Was heißt umgehend?“ fragte Dennert.

      „Die X-Zeit ist vielleicht morgen, übermorgen, nächste Woche – noch in diesem Monat, möchte ich sagen.“

      Grosse schob dem General die Blitzmeldung an das Bundeskanzleramt zu. Dr. Schneider las sie pedantisch.

      „In Ordnung“, sagte er. „Mehr als wir wissen, können wir der Bundesregierung nicht melden. Ich versteh’ nur nicht, warum Bonn bei diesen Alarmnachrichten sich so schlafmützig gibt.“

      „Wird Zeit, daß dieser dämliche Wahlkampf zu Ende geht“, erwiderte Dr. Grosse. „Die haben ja zur Zeit nichts anderes im Kopf als die vierte Wiederwahl des Bundeskanzlers am 17. September.“

      In diesem Moment ging der faule Wechsel zu Protest.

      Auch als Überbringer einer Hiobsbotschaft strotzte Ballauf noch vor Tüchtigkeit: Er trat ein, ein unauffälliger, unaufdringlicher Mann mittleren Alters, der typische Herr im grauen Flanell, von der Stange. Das As der Gegenspionage sah aus wie ein ordentlicher Buchhalter, der ein wenig darum bangte, vom Computer verdrängt zu werden – aber seine enormen Erfolge, die ihn von der Generalvertretung einer westdeutschen Großstadt in die Zentrale nach Pullach gehievt hatten, verliehen ihm im Camp einen Rang, der ihn weit über seine Dienststellung hinaushob.

      „Ich bitte um Verzeihung“, sagte Ballauf mit einer schnellen Verbeugung vor dem Hausherrn. „Ich bin leider aufgehalten worden, und ich fürchte, daß ich nunmehr auch Sie aufhalten muß, meine Herren.“ Er turnte um die auf den Stühlen Sitzenden herum, ein Stubenhokker und zugleich ein Draufgänger in der Frontlinie.

      Der General las die Notiz, die ihm Ballauf überreichte, und starrte einen Moment wie blind auf seine Unterlagen am Schreibtisch. Fast mühsam hob er den Kopf und betrachtete seinen Sicherheitsmann. „Ich fürchte, Sie haben recht behalten, Dennert“, sagte er mit belegter Stimme. „Zumindest, was Metzler angeht.“ Seine Lippen bewegten sich ein paar Worte lang stumm: „Er ist tot“, setzte er dann leise hinzu.

      Der General stand auf, trat an das Fenster, sah einen Moment lang hinaus, zu dem Springbrunnen im Garten, der wie in Atemnot gurgelte, zu den ranken Jünglingen auf den massiven Sockeln, die mit versteinerten Gebärden ins Leere griffen, dem Hoheitsadler gleich, der in diesem Moment mehr denn je einem Pleitegeier ähnelte.

      Langsam drehte er sich wieder um. „Ich danke Ihnen, meine Herren“, sagte er und gab – als sich die anderen entfernten – Dennert einen Wink, noch zu bleiben.

      Bailauf brauchte er dazu nicht aufzufordern, er blieb auch so: Der Regierungsrat wußte, daß der General nähere Einzelheiten über das jüngste Fiasko in der Zone von ihm hören wollte, natürlich hatte der Günstling sie parat.

      „Heinrich“, begann der Hausherr – nur im allerengsten Kreise redete er einige vertraute Mitarbeiter mit dem Vornamen an –, „Sie haben mit Ihrer Schelte völlig recht gehabt – wenn auch vielleicht am falschen Platz. Ich stimme Ihnen zu. Ich habe mit dem Bundeskanzler bereits Maßnahmen besprochen, diesen unterschleifigen Dingen – diesen Durchstechereien – auf den Grund zu gehen. Ich kann darüber nicht reden, noch nicht, aber glauben Sie nicht, daß ich die Entwicklung einfach treiben ließe.“ Dann wandte er sich an Ballauf: „Wie weit ist Ihre Hiobsnachricht bestätigt?“

      „Radio DDR hat sie vor ein paar Minuten über alle

      Sender ausgestrahlt, und die Nachrichtenagentur ADN gibt sie als offizielle Regierungsverlautbarung weiter. Natürlich kochen die ihre Giftsuppe – aber ich fürchte, es steckt mehr dahinter als Propagandarummel. Es scheint sich um eine großangelegte Aktion zu handeln. Jedenfalls sind diese Stasi-Leute verdammt sicher.“

      „Was weiß man über Deschler und Megede?“

      „Noch nichts Genaues“, antwortete Ballauf dumpf. „Aber ich fürchte –“

      „Haben Sie die CIA schon kontaktiert?“

      „Ich wollte niemandem vorgreifen, Herr Dr. Schneider“, gab er sich bescheiden.

      Obwohl Megede niemals auf dem Dienstweg gemeldet hatte, daß er auch die konkurrierende Schwesterfirma CIA bediente, wußte man es natürlich in Pullachs Spitze und benutzte den Mann, den Amerikanern bestimmte Nachrichten zuzuspielen, die nicht offiziell über den Schreibtisch gehen sollten, oder die Bundesgenossen – in dem einen oder anderen Fall – sogar eine Weile zu desinformieren.

      „Also, Heinrich“, wandte sich der General wieder an Dennert, „stellen Sie ohne Rücksicht auf die Person und auch auf die Nation fest, wer von dem Auftrag Metzlers gewußt haben kann. Setzen Sie mich als Verdächtigen Nummer eins auf Ihre Liste.“ Er lächelte kläglich; Humor war nicht seine Stärke, Menschenkenntnis auch nicht, „und reihen Sie sich selbst als den zweiten und Herrn Ballauf als Nummer drei in die Kartei der Verdächtigen ein. Alle weiteren Namen, einschließlich meiner Sekretärin. Jeder wird überprüft, und wenn es zum hundertsten Male ist. Sie haben jede Rückendeckung von mir.“

      „Besten Dank“, erwiderte Dennert. „Nur möchte ich darum bitten“, warf er gallig ein, „daß ich mich nicht selbst zu checken brauche, sondern ein anderer –“

      „Seien Sie doch nicht so humorlos, Heinrich“, faßte sich der General gewissermaßen an die eigene Nase. Er lief mit kurzen abgezirkelten Schritten auf und ab. „Wenn die Normannenstraße jetzt schon die Verhaftung bekanntgibt, dann wird sie nach bewährtem Muster in Ostberlin eine Pressekonferenz inszenieren, und wir haben wieder mal die Bescherung.“

      „Das ist zu befürchten“, bestätigte Dennert.

      „Die Ostpropaganda macht jetzt schon aus ihren Fahndungsdurchsagen Trompetenstöße“, konstatierte Bailauf. „Sie können sich das anhören. Ich habe die ersten Meldungen mitschneiden lassen. Der übliche Schmus – aber zwei Dinge geben mir zu denken“, setzte er nach kurzem Zögern hinzu, wartend, bis ihn der General durch ein Kopfnicken aufforderte, weiterzusprechen: „Verhaftungen spielt man doch erst hoch, wenn der Fall restlos aufgeklärt ist.“

      „Vielleicht wollen sie von ihrem faulen Zauber an der Grenze ablenken“, versetzte Dennert. „Oder sie hatten den Fall schon geklärt, bevor wir unser Kleeblatt in die Zone eingeschleust haben.“

      „Und der zweite Punkt?“ überging der Hausherr logischen Pessimismus.

      „Ich habe inzwischen das Unternehmen Metzler-Megede-Deschler noch einmal rekonstruiert. Vermutlich war die Falle, in die unsere Freunde gelaufen sind, tatsächlich von langer Hand vorbereitet – aber von einem vierten Teilnehmer dieses Unternehmens weiß ich absolut nichts.“

      „Wieso viertem Teilnehmer?“ fragte Dennert.

      „In der ganzen Zone wird ein Mann gesucht, der unter dem Namen Fritz Stenglein auftritt: fünfunddreißig Jahre alt, einen Meter achtzig groß, blaue Augen, glattes Gesicht, gescheiteltes Haar, braune Lederjacke usw., usw.“ zitierte Bailauf. „Jagen die Gespenster? Oder hat man uns einen Kuckuck ins Nest gelegt? Von einem Fritz Stenglein ist mir jedenfalls überhaupt nichts bekannt.“

      „Ach“, spöttelte Dennert in mokantem Ton, „und sonst ist Ihnen alles bekannt?“

      „Wenn ich mit einer Sache befaßt bin, sehr wohl“, konterte das As der Gegenspionage. „Haben hier vielleicht unsere amerikanischen Freunde ohne unser Wissen mitgemischt?“

      „Fragen Sie sie doch“, versetzte Dennert noch einmal hämisch.

      Der General