der Kultur abspielte. In seiner Anfangsphase hinkte er der Zeit sogar ein bisschen hinterher.
Zum Beispiel bei seinem dritten Album The Man Who Sold the World, das Ende 1970 in Amerika und Anfang 1971 in Großbritannien erschien. Die Musikwelt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seit ein oder zwei Jahren eine konzentrierte Rückbesinnung auf einfachen Rock ’n’ Roll unternommen. Federführend waren dabei derart große Namen wie John Lennon, Creedence Clearwater Revival und Bowies Freund Marc Bolan. The Man Who Sold the World hingegen lieferte einen Abriss von Spät-60er-Sounds à la Cream, Hendrix, Jefferson Airplane oder Jethro Tull.
Aus seiner mangelnden Begeisterung für diesen Stil machte Bowie keinen Hehl, er nannte diese Neuausrichtung sogar ganz offen eine Strategie: »Ich brauchte wohl einen Sound, der mehr heavy war, und offensichtlich hat es funktioniert. Es ist nicht so, dass ich mich dieser Musik besonders verbunden fühlen würde – das tue ich nicht. Tatsächlich halte ich sie für ziemlich primitiv.« Doch selbst als strategischer Zug hatte das Album schlechtes Timing. Der Underground war am Abbauen und rauer Rock ’n’ Roll eroberte die Spitze der Charts. Das Resultat war nicht sehr überzeugend – Bowies schrille Schreie über endlose Solos, bombastische Jam-Sessions und Taktwechsel –, auch weil er in den Prozess so wenig eingebunden war. Er gab die Verantwortung an Produzent Tony Visconti und, mehr noch, an seinen neuen Komplizen Mick Ronson ab, der nicht nur Leadgitarre spielte, sondern sich auch um die Arrangements kümmerte und de facto so etwas wie der Chefdirigent des Albums war.
The Man Who Sold the World – das zuerst Metrobolist in Anspielung auf Fritz Langs Metropolis heißen sollte – griff die Science-Fiction-Elemente von »Space Oddity« und »Memories of a Free Festival« (in dem Außerirdische von der Venus landen, mit den Hippies rumhängen und dann wieder verschwinden) auf. Hier lag Bowie auf einer Wellenlänge mit anderen Künstlern aus dem Hippie-Underground wie Jefferson Starship, dem Nebenprojekt von Jefferson Airplane, in deren Blows Against the Empire Hippies ein Raumschiff der Regierung stehlen und die Erde verlassen, um ein Paradies der »freien Seelen, freien Körper, freien Drogen, freien Musik« aufzubauen. Ähnlich auch die Cosmic-Rocker Hawkwind aus der Ladbroke Grove, deren Songs als Metaphern für einen Kampf der Freaks gegen den Faschismus aufgebaut waren. »Saviour Machine« ist der einzige Song auf The Man Who Sold the World, der sich direkt auf Science-Fiction bezieht. Er vermischt zwei Kubrick-Filme über außer Kontrolle geratene Technik, Dr. Seltsam und 2001: Odyssee im Weltraum mit dem verrückt gewordenen Supercomputer H.A.L. In Bowies Song wird ein Supercomputer, der programmiert wurde, um Krieg und Hungersnöte durch Logik und Planung auszumerzen, vor lauter Langeweile wahnsinnig und liebäugelt damit, die komplette Menschheit auszurotten, um sich selbst zu unterhalten.
Der Titeltrack wurde von Kritikern als eine Geistergeschichte oder ein unheimliches Rätsel interpretiert: Menschen, die gar nicht da sind, treffen sich im Treppenhaus. Es wird ohne Worte gesprochen. Die Zeit wird verzerrt, Identitäten ausgetauscht. Als von Science-Fiction begeisterter Teenager ließ mich das Bild vom »Mann, der die Welt verkaufte« immer an Frederik Pohls und C. M. Kornbluths Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute oder Alfred Besters Sturm aufs Universum und Tiger, Tiger! denken, die von Telepathie handelten und in denen übermächtige Firmen das Sonnensystem unter sich aufteilten. Andere nennen Robert Heinleins Der Mann, der den Mond verkaufte als möglichen Einfluss. »The Man Who Sold the World« ist jedenfalls mit Abstand der beste Song des Albums. Unter Leitung Bowies landete die schottische Sängerin Lulu 1974 mit ihrer Version einen Hit, später popularisierte Kurt Cobain die Nummer durch eine akustische Interpretation für Nirvanas MTV Unplugged.
Der zweite Lichtblick ist »The Supermen«, eine langsame Stampede von bearbeiteten Trommeln, die klingen wie Orchesterpauken und über die Bowie einen Text kreischt, der von einer untergegangenen Urrasse von Halbgöttern handelt. Hier ist weniger Science-Fiction der Einfluss als die Taschenbuchabenteuer aus dem Sword and sorcery-Genre*, zusammengewürfelt mit Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra. »Ich war immer noch in der Phase, in der ich so tat, als hätte ich Nietzsche verstanden«, gab Bowie 1976 in einem Radiointerview mit der BBC zu. »Vieles, was ich damals tat, kam davon, wie ich versuchte, Bücher zu vereinfachen, die ich gelesen hatte. […] Ich versuchte, sie so umzuschreiben, dass ich sie verstehen könnte.«
The Man Who Sold the World klingt teilweise wie die Bombast-Prog-Rocker Van Der Graaf Generator und die unwiderstehlich groteske Acid-Folk-Band Comus (die auch der Beckenham Arts-Lab-Szene angehörten) und war Bowies Versuch, als Undergroundband durchzugehen. Es stellt sich die Frage, warum eigentlich? An die alten Hippie-Ideale glaubte er schon nicht mehr und mit dem Beckenham Arts Lab hatte er auch nichts mehr zu schaffen. Der Anstoß für diesen Bruch kam von einem wichtigen neuen Einfluss in seinem Leben: Angela Barnett, genannt Angie. Angie war eine temperamentvolle Amerikanerin, die Bowie 1969 über Calvin Lee kennengelernt hatte, den Chef der PR-Abteilung von Mercury Records. Lee war ein Kind der Swinging Sixties. Später behauptete Bowie, dass sowohl er als auch Angie unabhängig voneinander etwas mit Lee gehabt hätten. Im Herbst zog Bowie mit ihr zusammen, in ein großes Haus in Beckenham namens Haddon Hall. Im März 1970 heirateten sie.
Später sagte Bowie über diese Phase, er habe noch »nach sich selbst gesucht«. Ein paar Anzeichen einer Neuausrichtung gab es aber bereits, am eindeutigsten auf dem Cover von The Man Who Sold the World, auf dem Bowie eine Kutte aus Samt trägt. Entworfen wurde sie von Michael Fish, dem Boutiquebesitzer, von dem auch das »Männerkleid« Mick Jaggers stammte. Androgyn war Bowie schon immer gewesen, doch diese neue Ebene der Drag-Provokation übertraf den gängigen Pretty boy-Look der 1960er. Die Inszenierung des Covers – in einem Kleid mit Blumenmuster und kniehohen Lederstiefeln lehnt sich Bowie auf einer Chaiselongue in klassischer »Fick mich«-Pose lässig zurück, seine langen Locken reichen bis in den Ausschnitt des Kleids – wurde von manchen als präraffaelitisch bezeichnet, andere sehen Lauren Bacall als passendes Gegenstück. So oder so: Auch wenn es bereits einige androgyn aufgehübschte Rocksänger gegeben hatte, hatte sich vorher keiner derart unverhohlen feminin in Pose gesetzt.
Ein weiterer Vorbote des Glam war die Gründung einer kurzlebigen Band mit Mick Ronson und Tony Visconti namens The Hype. Der Name wurde bewusst so gewählt, dass er sich mit der antikommerziellen Haltung des Underground beißen würde. Als weitere Provokation schmissen sich die Bandmitglieder mit Angies Hilfe in völlig übertriebene Kostüme, die ihre Bühnencharaktere repräsentieren sollten: Bowie, bekleidet mit Schalen und Lurex, war Rainbowman, Ronson war der Gangster mit Filzhut, Bassist Visconti schlüpfte in einem Supermankostüm in die Rolle des Hypeman und Schlagzeuger John Cambridge wurde zum entsprechend gekleideten Piraten.
Langsam tastete sich Bowie an den Sound und Look heran, der ihn zum Star machen sollte. Als sichere Wette galt er allerdings immer noch nicht, nicht einmal in seinem unmittelbaren Umfeld. Kurz nach den Aufnahmen zu The Man Who Sold the World, aber noch bevor das Album in Großbritannien veröffentlicht wurde, machte sich Bowies Band – Visconti, Ronson und Schlagzeuger Woody Woodmansey – daran, ein Album ohne ihn aufzunehmen. Zuerst benutzten sie den Namen Hype, bis sie ihn in Ronno – nach Gitarrist Ronson – änderten und Benny Marshall, einen alten Bekannten Ronsons aus Hull, zum Sänger machten. Im November 1970 gingen sie ins Studio, um eine LP aufzunehmen. Zwar taten sie sich mit dem Songwriting schwer, aber Anfang 1971 schafften Ronno es trotzdem, eine Single namens »Fourth Hour of My Sleep« beim Progressive-Rock-Label Vertigo zu veröffentlichen. Dieser Ausflug seiner Mitstreiter – der deren fehlende Loyalität und Weitsichtigkeit offenlegt (wenn man bedenkt, dass Bowie bald der wichtigste Rockkünstler der 1970er werden sollte) – zeigt, wie wenig man sich von dem Sänger 1970/71 zu versprechen schien.
In Amerika erregte The Man Who Sold the World etwas Aufmerksamkeit, in Großbritannien hingegen wurde das Album kaum wahrgenommen. Kurz vor seiner Veröffentlichung im März brachte Bowie ohne Unterstützung Viscontis (der nun mit Marc Bolan beschäftigt war) eine Single heraus. »Holy Holy« war eine schwache, vernachlässigbare T.-Rex-Kopie und verschwand ohne jede Spur in der Versenkung.
Im Frühling 1971 war Bowie bereits fast neun Jahre im Musikgeschäft. Von The Kon-Rads bis zu The Hype war er in ungefähr acht oder neun Bands gewesen, je nachdem