Armand Amapolas

Emma schreibt


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daran, in den PEN-Club aufgenommen zu werden. Ich will mich nicht lächerlich machen. Nicht lächerlicher jedenfalls, als ich ohnehin schon wirke: als abgehalfterter Politiker, der nicht spürte, wie der Boden unter ihm zu wanken begann. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich nicht schreiben kann. Also Briefe schon, natürlich, auch Aktenvermerke. Ich bin gut in Aktenvermerken. Das werden Sie feststellen. Auch, wie hilfreich es ist, sich beizeiten Notizen zu machen. Aber ein Buch zu schreiben, das traue ich mir nicht zu. Übrigens engagiere ich Sie auch gerade deshalb, damit Sie Ihre Sicht der Dinge zwischen Buchdeckel bringen, nicht meine. Wobei ich natürlich hoffe, dass sich Ihre Sicht der Dinge, um die es hier geht, mit meiner decken wird, jedenfalls weitgehend, sobald Sie erst mal alle Akten und Fakten kennen und mit Leuten gesprochen haben. Ich verspreche Ihnen: ich werde keine Zensur ausüben. Deshalb die Drittelregelung. Wenn wir nach zwei Dritteln des Weges nicht übereinstimmen, dann steige ich aus. Sie haben 40.000 Euro und können mit dem Manuskript machen, was sie wollen. Vorausgesetzt, ich habe alle Zitate autorisiert, also alles, was Sie mir in den Mund zu legen gedenken. Sonst bleiben Sie auf 20.000 Euro sitzen. Die sind Ihnen in jedem Fall sicher. Na?«

      »Okay. Das klingt fair. Ich würde mich aber gern mit Paul Bärkamp beraten, bevor wir irgendetwas unterschreiben. Geht das in Ordnung?«

      »Sicher. Meinen Vorschlag habe ich übrigens mit Bärkamp zusammen entwickelt. Ich würde mich sehr wundern, wenn er Ihnen raten würde, ihn nicht anzunehmen.«

      Dieser Hinweis vor allem überzeugte Emma. Sie fühlte sich mit einem Schlag sicher genug zu fragen: »Sie haben von Akten gesprochen. Was sind das für Akten?«

      »Also: sind wir im Geschäft?«

      Emma nickte.

      Hanisch erhob sich aus dem halbovalen Kunstledersessel – Kleipan? Tröllop? Oder wie hieß das Modell? Ob das echte schwedische Wörter waren? Was sie wohl bedeuten mochten? Oder sollte das nur schwedisch klingen, nach Bullerbü und nordischer Exotik?

      Hanisch öffnete eine Schranktür (Billy), und Emma blickte auf ein gutes Dutzend sauber beschrifteter Leitzordner. »Voilà, meine Dokumentensammlung. Man könnte auch sagen: meine Giftsammlung. Die möchte ich Ihnen gern überlassen. Hier steht sie nicht gut.«

      »Wie meinen Sie das: Hier steht sie nicht gut? Brauchen Sie den Schrank für andere Dinge?«

      »Ha! Als wenn ein alter Sack wie ich noch irgendetwas sammeln sollte. Ich werde auch kein Rosenthal-Service mehr kaufen. Nein: ich fände es nicht gut, wenn die Akten gestohlen würden. Es sind Originale. Ich rege an, dass Sie alles scannen und hochladen, möglichst bald, und am besten in mehreren Sicherheitskopien. Für junge Leute wie Sie ist das doch ein Klacks. Ich wüsste gar nicht, wie man einen Scanner bedient. So was hat immer meine Sekretärin für mich erledigt.«

      »Wer sollte diese Akten denn stehlen wollen?« Emma erschien Hanischs Sorge etwas theatralisch. Machte er sich wichtig?

      »Die Antwort auf diese Frage werden Sie finden, wenn Sie die Akten studieren. Jedenfalls hat schon einmal jemand versucht, hier einzubrechen. Er – oder sie? – ist nur offenbar gestört worden. Die Spuren an der Tür waren jedenfalls eindeutig, hat die Polizei gesagt. Zum Glück sind die Apartmenttüren in diesem Haus extrem gut gesichert, mit Stahlplatten und dreifachen Bolzenschlössern. Aber dennoch, ich fürchte, wer Angst vor dem Inhalt dieser Akten hat, den schrecken auch Stahlbolzen nicht ab.«

      »Ein versuchter Einbruch? Hier bei Ihnen? Nur hier? Oder wurden auch andere Türen aufgebrochen – oder versucht aufzubrechen?«

      »Nein, andere Spuren als hier an meiner Tür fanden sich nicht. Letzte Woche ist das gewesen, am helllichten Tag, als ich einen Notartermin hatte.«

      »Und Sie sind sicher, dass der oder die verhinderten Einbrecher es auf Ihre Akten abgesehen hatten?«

      »Auf was denn sonst? Sehen Sie sich hier um! Sehen Sie hier irgendwelche Wertgegenstände? Auch im Safe liegt weder viel Bargeld noch Schmuck. Dieses Kettchen hier«, Hanisch fasste sich an den Hals, »und meine Armbanduhr trug ich bei mir. Falls Ihnen das Kettchen albern vorkommt: ich trage es nicht aus Eitelkeit, sondern aus Sentimentalität. Als Erinnerung. Woran, das erzähle ich Ihnen vielleicht, wenn Sie mit den Akten durch sind.«

      »Finden Sie nicht auch, dass Sie mir erst einmal die Geschichte erzählen sollten, die ich aufschreiben soll? In groben Zügen wenigstens? Damit ich weiß, wonach ich in den Akten suche? Was treibt Sie an? Wofür wollen Sie so viel Geld ausgeben? Wenn Sie so uneitel sind, wie Sie sagen, was ist es dann? An wem wollen Sie sich rächen? Und warum?«

      »Das gefällt mir. Jetzt sind wir beim Thema. Los geht’s! Aber erst sollten wir einen kleinen Ausflug machen, zum Notar. Und dann werde ich Ihnen meine Geschichte erzählen? Haben Sie ein Tonbandgerät?«

      »Ein Aufnahmegerät und mein Smartphone. Tonbänder sind zwischenzeitlich aus der Mode gekommen.«

      Und Horst Hanisch erzählte. Sie hatten am Esstisch in seinem Apartment Platz genommen, nach der Rückkehr vom Notar.

      »Ich will gar nicht erst behaupten, es ginge mir nicht um mich. Um mein Bild in der Öffentlichkeit. Doch, auch ich bin eitel. Und ja, ich bin enttäuscht, ich bin verbittert, ich ärgere mich über meine Ohnmacht. Das ist alles wahr. Und ich will Gerechtigkeit, auch für mich. Anderes zu behaupten, wäre naiv oder verlogen. Und Sie würden es mir ohnehin nicht abnehmen. Was übrigens auch ein Grund dafür ist, dass ich nicht selber ein Buch schreiben will. Ich hoffe einfach, dass Ihre Sicht der Dinge meiner ähneln wird, wenn Sie erst einmal die Fakten kennen. Und Ihnen glaubt man dann natürlich eher als mir, dem Betroffenen, dem es scheinbar nur um Rechtfertigung und Rache geht.«

      Emma schwieg. Sie hatte ihr digitales Aufnahmegerät mitten auf den Tisch gelegt, ihr Smartphone daneben und kontrollierte nur von Zeit zu Zeit, ob die Dinger noch Strom hatten.

      »Aber wenn es hier nur um mich ginge, dann könnte ich ein paar Journalisten ein paar Gemeinheiten stecken – glauben Sie mir, da hätte ich genug zu bieten – und mich an den Berichten ergötzen. Und mir von dem Geld, das ich Ihnen gebe, einen schönen Tag machen.

      Auch wenn das jetzt hohl und aufgeblasen oder pathetisch klingen mag in Ihren Ohren: es geht mir um Gerechtigkeit. Es geht mir um unsere Demokratie. Um den Rechtsstaat. Es geht mir um all die Dinge, derentwegen ich mal in die Politik gegangen bin. Um die Dinge, derentwegen ich Politik gemacht habe – auch wenn die hehren Grundsätze und Ziele uns im Alltag schon mal aus dem Blick geraten. Ja, auch mir. Trotzdem: ich behaupte von mir, ich bin Demokrat, durch und durch. Und mehr als das: Sozialdemokrat. Das sind die unter den Demokraten, die im Zweifel immer den eigenen Kopf hinhielten, wenn andere ihn schon eingezogen hatten. Die immer wieder in Erinnerung rufen, dass alle Menschen gleiche Rechte haben. Arme wie Reiche. Menschen ohne Beziehungen genauso wie Mitglieder von Lions- und Rotary-Clubs. Und dass jede Macht in der Demokratie immer nur geliehen ist, vom Volk. Und immer nur auf Zeit verliehen wird. Das unterscheidet uns von Kommunisten.«

      »Das ist jetzt schon die zweite Grundsatzrede, die Sie mir halten. Wäre es nicht besser, Sie hielten die im Bundestag?«

      »Glauben Sie etwa, da hätte ich aufmerksamere Zuhörer als jetzt hier? Und mehr? Dass Sie sich da mal nicht täuschen. Was glauben Sie, wozu ein Neuling im Bundestag, wie ich es war – ich hatte ja nur eine Legislatur – sprechen darf, vor dem Plenum? Da geht’s ums Komma hinterm Komma. Die großen Themen und die guten Sendezeiten sind den dicken Fischen vorbehalten. Der Kanzlerin, wichtigen Ministern, den Fraktionschefs. Gerade eben so noch den stellvertretenden Fraktionschefs. Dahinter wird’s duster.«

      »Wenn das so ist, dann sollten Sie doch gar nicht enttäuscht sein, kein MdB mehr zu sein.«

      »Hm! Guter Punkt. Aber erstens: die Diäten sind nicht zu verachten. Ich habe in meinem Leben nie so gut verdient wie in den vier Jahren, die ich MdB gewesen bin. Zweitens: die Altersversorgung. Davon können Normalarbeitnehmer nur träumen. Um dieses Privileg in Anspruch zu nehmen, war ich allerdings nicht lange genug dabei. Aber die Altersversorgung ist ein starkes Incentive, wiedergewählt werden zu wollen, mindestens zwei Mal. Dann hast du ausgesorgt. Keiner redet drüber, aber jeder weiß es. Das ist ein sehr effizientes Führungsinstrument. Wer nicht kuscht, wird nicht wieder aufgestellt.