Will Berthold

Heißes Geld


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verstehe ich schon«, erwiderte der Amtsrichter. »Wie ist es denn mit Ihren Rentenansprüchen?«

      »Soweit habe ich noch gar nicht gedacht, Herr Amtsgerichtsrat«, erwiderte die Besucherin und setzte nach einer kurzen Pause hinzu: »Wirtschaftlich geht es mir nicht schlecht, weil ich von meiner Mutter zwei Häuser in Berlin geerbt habe.«

      Die Frau, die Witwe werden wollte, saß am äußersten Ende des Stuhls, sie wirkte zerbrechlich, doch auch zäh. Man merkte ihr an, daß sie wenig Umgang mit Behörden hatte und daß ihr in Amtsstuben nicht wohl war. Dabei lebte sie in einem seelischen Hoch seit ihrer weihnachtlichen Begegnung mit Horst, den sie Werner nennen mußte. Als er ihr seinen Plan eröffnet hatte, war sie zunächst erschrocken. Trotz der ungewöhnlichen Lebensweise, die ihr die Umstände auferlegten, war sie eine bürgerliche Person. Es ging gegen ihre angeborene Rechtschaffenheit, eine Lüge an Eidesstatt zu erklären und dadurch ein paar Jahre Gefängnis zu riskieren.

      Aber noch vor seiner Abreise aus München hatte Horst sie überzeugt: Jede Verfolgung gegen ihn wäre eingestellt, wenn es ihn nicht mehr gäbe. Kein deutscher Staatsanwalt würde sich jemals mehr für Horst Linsenbusch interessieren, und selbst wenn die deutsch-französischen Verhandlungen über die Behandlung von Kriegsverbrechern – die man jetzt immerhin schon Kriegsverurteilte nannte – unglücklich für ihren Mann ausgehen sollten, hätte er für alle Zeiten weder die Auslieferung in das Nachbarland, noch eine Verurteilung in Deutschland zu fürchten.

      Weit mehr als diese Argumente des Verstandes hatte die Witwe ein Aufstand des Gefühls angesprochen. Eine Patentlösung: Der König ist tot – es lebe der König; Horst ist gestorben – und sie würde Frau Nareike. Namen sind Schall und Rauch, aber die Zeit der Einsamkeit wäre vorbei, ein für allemal ausgestanden, dank Mut, Bedenkenlosigkeit und Initiative.

      Dr. Kleinwacht sichtete routiniert die Unterlagen: »Soweit ich sehe, ist alles in Ordnung, Frau – Frau Linsenbusch. Der Antrag ist formal richtig nach dem Verschollenheitsänderungsgesetz vom 15. Januar 51 gestellt.« Er blätterte weiter. »Sie haben die Geburtsurkunde des Verschollenen und Ihre Heiratsurkunde vorgelegt.« Er ging den Akt durch: »Der letzte Wohnsitz Ihres Mannes lag östlich der Oder-Neiße.« Die nächste Seite: »Für Sie ist deshalb Berlin-Schönefeld zuständig.« Er blätterte wieder um. »Da haben wir ja schon die Antwort: Berlin hat die Zuständigkeit an den Landkreis Rosenheim, in dem Sie jetzt leben, abgetreten.« Die nächste Seite: »Und hier, hier haben wir Ihre Eidesstattliche Erklärung vom 7. Januar.«

      Er wechselte die Brille und las:

      »Ich habe meinen Mann zum letztenmal Anfang Januar 45 gesehen. Er arbeitete damals bei einer Staatsfirma in Berlin, kam kurz nach Breslau und bestürmte mich, wegen der heranrückenden Russen unverzüglich nach Oberbayern zu übersiedeln, was ich auch tat.

      Seitdem habe ich nichts mehr von meinem Mann gehört, nichts außer Gerüchten. Durch Hörensagen erfuhr ich, daß er aus Kriegsgefangenschaft ausgebrochen und dabei umgekommen sein soll. Gegen diesen Gedanken habe ich mich lange gewehrt, aber als ich viele bittere Jahre lang kein Lebenszeichen mehr von Horst erhielt, keinen Brief, keinen Telefonanruf, auch keinerlei Nachricht durch Dritte, mußte ich mich mit dem Gedanken abfinden, daß er nicht mehr am Leben ist.

      Trotzdem habe ich bis in die letzte Zeit hinein nichts unversucht gelassen, um das Schicksal meines Mannes aufzuhellen: Ich habe mich an den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes gewandt und an die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (siehe Anlagen). Ich habe auch alle privaten Quellen ausgeschöpft, die mir zugänglich waren, habe mich insbesondere an die Schlesische Landsmannschaft gewandt, die mir keinerlei Hinweis geben konnte. Nach 17 Jahren vergeblichen Wartens und Suchens gelangte ich zu der bitteren Erkenntnis, daß mein Mann tatsächlich umgekommen ist.

      Wir haben – nur durch den Krieg über längere Abschnitte getrennt – in einer sehr harmonischen Ehe gelebt. Unser einziger Sohn ist in den letzten Tagen des Krieges gefallen. Es gibt auch keinerlei Grund zu der Annahme, daß mein Mann sich bei mir nicht unverzüglich melden würde, so er das noch könnte.

      Die Richtigkeit der vorstehenden Angaben versichere ich soweit sie nicht durch Urkunden belegt sind – nach entsprechender Belehrung an Eidesstatt. Insbesondere versichere ich, daß ich nicht im Besitz von Unterlagen bin, denen entnommen werden könnte, daß der Tod des Verschollenen zweifelhaft ist.

      Hannelore Linsenbusch.«

      Dr. Kleinwacht wechselte wiederum die Brille:

      »Ihr Mann wurde schon vor dem 1. Juli 48 vermißt«, stellte er fest: »Damit ist die Voraussetzung nach Artikel 2 §1 erfüllt.« Er sah Frau Linsenbusch an. »Es tut mir leid, aber so ein Verfahren ist eine langwierige Sache und mutet den Angehörigen allerhand zu. Hat man Ihnen denn nicht gesagt, daß Sie mindestens mit sechs bis sieben Monaten Wartezeit …«

      »Ja«, entgegnete die Witwe im Wartestand und Braut in spe. »Das hat man mir gesagt.«

      »Sie müssen sich also noch eine Weile gedulden«, erklärte der Richter. Er war noch neu im Amt, und so wirkte er mehr menschlich als dienstlich: »Solche Fälle stellen uns nicht nur vor persönliche, sondern auch vor juristische Probleme. Und der Instanzenweg ist halt manchmal lang. Ihr Antrag wird zur Zeit von der Staatsanwaltschaft geprüft. Wenn sie damit fertig ist, muß das Aufgebot zur Toterklärung zweimal binnen eines Monats im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Das ist nicht nur eine Vorschrift, sondern auch notwendig, um allerletzte Gewißheit zu erlangen. Und daran liegt Ihnen doch sicher auch, Frau Linsenbusch.«

      »Und ob«, erwiderte die Besucherin mit gesenktem Kopf.

      »Wenn sich daraufhin keine Einwände oder neue Erkenntnisse ergeben, wird Ihr Mann sechs Wochen später für tot erklärt. Allerdings, das wäre dann endgültig, verstehen Sie? Er wäre dann tot, selbst wenn er sich noch am Leben befände. Es ist eine seltsame Rechtssituation«, erläuterte Dr. Kleinwacht, als diskutiere er mit einem Studenten. »Nur auf eigenen Antrag hin könnte die Toterklärung aufgehoben werden.« Er lächelte schuldbewußt. »Entschuldigen Sie meine Umständlichkeit. Aber wir Juristen denken nun einmal um sieben Ecken.«

      »Wann würde die richterliche Entscheidung rechtskräftig?«

      »Vier Wochen nach ihrer Verkündigung.« Der Richter überlegte einen Moment. »Ich kann mich ja mal bei der Staatsanwaltschaft erkundigen.« Er griff nach dem Hörer, wartete ein paar Sekunden: »Kleinwacht«, sagte er dann: »Es handelt sich um einen Herrn Horst Linsenbusch, Aktenzeichen A XII RO 221.« Er hielt den Hörer etwas weg, weil der Teilnehmer zu laut sprach. »Nein, ich warte, Herr Kollege.«

      Die Frau mit dem spitzen, hohlwangigen Gesicht spürte, wie die Spannung an ihren Nerven zerrte, aber sie blieb äußerlich ruhig. Nie würde sie vergessen, wie Horst damals aufgetaucht war. Sie hatte in dem kleinen Weiler Berg bei Dorfen gelebt, unter anderem Namen. Die Wirren einer gräßlichen Zeit hatten die Idylle nicht beendet, trotzdem überlegte man sich lange, wenn nachts an den Fensterladen des abseits gelegenen Gehöfts geklopft wurde, ob man die Tür öffnen sollte. Erst als sie seine Stimme erkannte, öffnete sie:

      »Horst?« fragte sie, ungläubig und erschrocken.

      »Pst!« erwiderte er. »Leise.« Er sah sich um. »Bist du allein?« fragte er hastig.

      Sie nickte und ließ ihn ins Haus. »Hast du mich gleich gefunden?« fragte sie.

      »Kunststück«, antwortete er geringschätzig. »Ich habe doch alles vorausgesehen und dich rechtzeitig hierher expediert.« Er sah sich nach allen Seiten um, bevor er das Haus betrat. »Ich bin ausgebrochen«, sagte er dann. »Ich habe dabei einen amerikanischen Offizier erschossen.« Er atmete schwer. »Ich hatte keine andere Wahl. Sie hätten mich sonst gehängt.«

      »Gehängt?«

      »Ein Schwein hat mich denunziert, wegen einiger Vorfälle in Paris.« Er setzte sich auf einen Stuhl, zwang sich zur Ruhe. »Sündenböcke stehen zur Zeit hoch im Kurs.«

      »Das stimmt«, sagte sie.

      Er zeigte seine alte Überheblichkeit.

      »Du