konnte niemand wissen. Das Wort Prostitution war im Umfeld des ›Thailandeiland‹ tabu. Und was die Mädchen an Nuh Poos gemeinnützigen eingetragenen Verein zur Hilfe thailändischer Waisen und sozial Gestrandeter spendeten, das war freiwillig.
Es hatte Proteste gegeben, ein ortsansässiger Verein hatte eine Demonstration organisiert, zu der viele Menschen aus München angereist waren. Mit dabei waren ein paar Nonnen von der Fraueninsel, vornan marschierte Schwester Irmentrud, die lauthals betete und verbittert gegen den Teufel ins Feld zog. Außerdem hatte die Heilsarmee gesungen.
Als Nuh Poo Tubkim Schwester Irmentrud deshalb sprechen wollte und ihr lächelnd gegenübertrat, war sie ihm mit finsterem Blick begegnet, hatte ihn einfach zur Seite gedrängt und war laut betend weitermarschiert, ohne ein Wort zu ihm zu sagen. Nuh Poo hatte das gewundert. In Thailand ging man mit dem Thema toleranter um. Er fragte sich, warum das so war. In der darauffolgenden Nacht hatten ein paar Burschen dann ein paar Fensterscheiben im ›Thailandeiland‹ eingeworfen, wobei auch Wände, Fenster und der Garten beschädigt worden waren.
Für all die folgenden Reparaturen beschäftigte Nuh Poo ortsansässige Handwerker. Nachdem er den Glaser, den Tischler, den Gärtner und den Maurer bezahlt und mit einem üppigen Trinkgeld verabschiedet hatte, brachte ihn das auf eine Idee. Er wies seine Leute an, in Zukunft nicht mehr im Großhandel zu kaufen, sondern Gebäck nur noch beim Bäcker vor Ort und die Getränke über ortsansässige Getränkemärkte zu beziehen. So machte Nuh Poo Tubkim es mit allen möglichen Handwerkern und Händlern. Sie alle waren in Tuntenhausen und Umgebung beheimatet. Dazu schickte er jedes Mal Jeab und Muu vor. Sie sprachen zwar nur sehr wenig Deutsch, aber Charme und Aussehen waren auf ihrer Seite. Alle hielten sie für zwei zwar überdrehte, aber überaus süße Mädchen. Sie bezauberten und entzückten jeden, mit dem sie redeten. Die eigentlichen Geschäftsverhandlungen führte Charlie anschließend.
Schnell hatten die Leute gemerkt, dass ihnen das neue Lokal am Ortsrand Geld einbrachte. Die Feindseligkeiten ebbten ab. Der Bürgermeister hatte seine anfänglich starken Protestnoten schon längst zurückgezogen. Schließlich hatte der Laden die Gewerbesteuer für den Ort erheblich verbessert. Und so war es gekommen, dass das ›Thailandeiland‹ einfach als exotisches Institut gesehen wurde. Nicht aber als Bordell, wie einige übereifrige Einheimische immer noch hinausposaunten.
Ordenspflicht
Als Sentlinger den kleinen Tagungsraum des Gasthofs Grundler betrat, saßen die Honoratioren der Gemeinde bereits an ihren Plätzen, darunter auch zwei Mitglieder des Vorstands des katholischen Herrenordens. Jeder von ihnen hatte einen Krug mit Bier vor sich stehen.
Abgehetzt sagte Sentlinger in die Runde: »Entschuldigt bitte, aber der Verkehr.«
Murrend nahmen die anderen seine Ausrede zur Kenntnis, obwohl jeder wusste, dass an diesem Abend so gut wie nichts los war auf den Straßen der Region.
»Was soll denn heute überhaupt besprochen werden?«, fragte Franz Paltinger, der Bürgermeister. »Wozu hast du uns geladen, Erwin?«
Sentlinger nahm Platz, bestellte ein Mineralwasser und legte seine Tasche ab. »Es ist euch allen zu Ohren gekommen, dass sich hier eine fremdartige Gastronomie breitgemacht hat. Ein thailändisches Restaurant mit angeschlossenem Massageinstitut.«
»Ja warst schon probieren, ob’s denn auch gut is, des Massieren?«, frotzelte der stellvertretende Bürgermeister Viehwalder unter leisem Gelächter der Anwesenden.
»Bitte bleibt sachlich. Ich habe erfahren, dass dieses Etablissement neben zweifellos gutem Essen auch zwielichtige Dienstleistungen anbietet, die dem Ruf von unserem schönen Tuntenhausen trefflichen Schaden zufügen können.«
»Was denn für einen Schaden?«, rief der Gemeindekämmerer.
»Schaden an unserer heiligen Tradition, den Katholizismus zu wahren und zu schützen.«
»Erwin, die Zeiten ändern sich«, sagte der Bürgermeister. »Du weißt selbst, dass der Papst zu Toleranz aufgefordert hat. Andersgläubigen gegenüber.« Er räusperte sich. »Dieses Restaurant schadet unserer Gemeinde nicht, es …«
Er kam nicht zum Ende, denn der Pfarrer mischte sich vehement ein. »Schweigt! Alle! Das alles passiert im Schatten unserer Basilika, einem der heiligsten Orte, die Bayern zu bieten hat. Es kann nicht sein, dass sich dort Schluder, Sünde und Verderben breit machen. Wir müssen etwas tun. Weihmiller, sag was.«
Weihmiller, der Chef des Ordnungsamts, wand sich. »Wir können nichts tun«, kommentierte er. »Der Gewerbeantrag ist vorschriftsmäßig eingereicht, der Besitzer hat einen deutschen Pass, und alles, was dort gemacht wird, ist in bester Ordnung.«
»Trotzdem, es geht nicht, dass sich hier ein Bordell breitmacht«, schimpfte Sentlinger.
»Mit Verlaub, Erwin, aber es ist kein Bordell«, warf Weihmiller ein. »Prostitution ist nicht angemeldet und wird nach unserem Wissen dort auch nicht betrieben.« Er betrachtete Sentlinger herausfordernd.
»Hast einen Test g’macht, Weihmiller? Was ham sie denn dir genau massiert?«, rief Grundler, der Wirt.
»Dass du ned willst, dass jemand besser kocht als du, is ja klar, Grundler«, rief Viehwalder. »Du hast Angst um deine Knödel und dein Sauerkraut.«
»Sünde, Sünde!«, rief der Pfarrer. »Alles Sünde.«
»Nochmal, das ist ein ganz normales Restaurant. Und ein Gesundheitsbetrieb«, erläuterte Weihmiller. »Da ist nichts zu beanstanden.«
»A Puff is des, und nix anderes!«, schnarrte Grundler in derbem Tonfall.
»Und selbst wenn. Ein Bordell lässt sich in Deutschland nicht verhindern«, erläuterte Haarthaler, Schatzmeister des katholischen Herrenordens und Staatssekretär im Finanzministerium. »Unsere Gesetze fördern sowas ja direkt. Selbst wenn es so wäre, wir hätten kaum eine Chance, sowas zu verbieten! Deutschland ist mittlerweile europaweit das Eldorado für Bordellbetreiber.« Er lehnte sich zurück, kreuzte die Arme und starrte sein Bierglas an.
»Abgesehen davon, der Betrieb tut unseren Gemeindefinanzen außerordentlich gut«, warf der Kämmerer ein. »Der Fleischhacker lebt, die Bäckerei lebt, der Blumenhändler, der Gemüsetürke. Selbst der Matterer mit seinem heruntergekommenen Porzellanladen macht wieder Geschäfte. Was wollt ihr eigentlich? Das ist für uns das Beste, was passieren konnte!«
»Wir müssen handeln«, sagte Hartmut Eberling, ehemaliger Landwirtschaftsminister und Vorsitzender des katholischen Herrenordens. »Erwin hat Recht. Selbst schon der Anflug von Ruchlosigkeit schadet uns doch enorm. Ich sehe es als unsere Pflicht, diesen Leuten das Handwerk zu legen.«
»Handwerk is gut«, kicherte Viehwalder.
»Wenn ich bedenke, dass dort Männer in Frauenkleidern anderen Männern zutiefst sündhafte Freude anbieten!«, sagte der Pfarrer geifernd. »Allein der Gedanke, dass sich nacktes Fleisch gleichgeschlechtlicher Geschöpfe einander nähert und Dinge vollbringt, die der Herrgott niemals für gutheißen könnt.« Dabei trug er jedes Wort in gequältem Ton und mit angeekelter Miene vor.
»Geh, jetzt seien S’ doch ned so empfindlich, Herr Pfarrer! Das gibt’s doch jeden Tag in allen Klöstern rund um die Welt bei euch Katholiken«, sagte Peter Rauwald vergnügt, der Vertreter des Wirtschaftsforums, der im Nachbarort eingeheiratet hatte. Jeder wusste, dass er als fränkischer Protestant die katholischen Traditionen der Gegend für verlogen hielt. »Da könnt ihr vielleicht noch einiges lernen«, sagte er belustigt und erntete schadenfrohe Heiterkeit.
»Es hat doch gar keinen Sinn, weiter zu diskutieren«, warf der Bürgermeister mürrisch ein. »Ich lehne das komplett ab. Wir haben keine gesetzliche Grundlage, solange dort nicht nachweislich illegale Prostitution betrieben wird.«
»Meine Herren«, sagte Sentlinger laut, »ich beantrage eine Abstimmung darüber, wie wir weiter vorzugehen gedenken. Die Gemeinde könnte anstreben, dem Betrieb Thailandeinland die Lizenz zu entziehen.«
»Wir könnten ja alle mal hingehen und eine Testreihe machen«, schlug Rauwald amüsiert vor, »ob die da noch was anderes anbieten als