verschieden.«
»Herr Doktor Trieben, was gibt’s denn da zu lachen?«, fragte Hartmut Eberling scharf. »Sie betreuen doch als Hausarzt die Thailänder. Waren da ned zuletzt so ein paar von den Madeln bei Ihnen? Was wollten die denn?«
»Tut mir leid«, sagte Trieben und hob die Hände. »Die ärztliche Schweigepflicht verbietet mir, über meine Patienten zu reden.«
»Erwin, sei mal realistisch«, mahnte Bürgermeister Paltinger. »Das müssten wir sehr gut begründen. Und der Thai hat Müller-Westermann im Boot. Und der kennt die besten Anwälte. Vergiss es! Ich sehe da keine Chance.«
»Der Bürgermeister. So, so«, ätzte Grundler, der Wirt. »Auch schon verführt und dem schnöden Mammon hörig.« Enttäuscht winkte er ab.
Rauwald sah den Wirt an, dann den Pfarrer und schließlich Sentlinger. »Jetzt seid’s doch mal ned so scheinheilig. Wenn die Deutschen es in Thailand treiben wie die Karnickel, das ist euch egal. Aber wehe, wenn es sich im schönen Bayern abspielt, huijuijui! Dann muss der Katholizismus herhalten, um die … ›Eindringlinge‹ wieder aus dem schönen Bayernland zu vertreiben.«
»Wer da eindringt, sind ja wohl die Bayern, nämlich in die Thailänder«, rief Viehwalder dazwischen, suchte die Augenpaare der anderen Anwesenden grinsend ab und sorgte erneut für Gelächter.
»Wir verdienen alle genug an dem Laden«, fuhr Rauwald fort, »lasst sie gewähren. Ich bin überzeugt davon, irgendwann verschwinden die auch wieder. Also, gehen wir zur Abstimmung.«
Sentlinger stellte die Frage. »Also, verehrte Honoratioren der Gemeinde. Wollt ihr Schamlosigkeit und Sünde weiterhin dulden in unserem heiligen Bayern? Wollt ihr für Schimpf und Schande weiterhin den Weg geebnet sehen in unserem Land? Wollt ihr Moral und Sitte den Rücken kehren hier in Tuntenhausen? Dann sagt Ja und stellt euch gegen mich und den katholischen Herrenorden. Wollt ihr aber Anstand und Ehre, Keuschheit und Reinheit bewahren, dann sagt Nein und erhebt eure rechte Hand.«
Außer Sentlinger hoben der Pfarrer, der Vorsitzende und der Schatzmeister des katholischen Herrenordens sowie der Wirt die Hand.
»Grundler, du hast kei Stimmrecht net!«, beschwerte sich Viehwalder. Der Wirt senkte seine Hand und verließ schnaubend den Raum.
Sentlinger beäugte einen nach dem anderen. Doch sie blieben standhaft.
»Erwin, es hat keinen Sinn«, sagte der Bürgermeister. »Ich weiß nicht, was dich in dem Fall antreibt.«
»Wird wohl seine heilige Schwester sein«, spottete Viehwalder. »Sie verlangt wohl von ihm, den Teufel mit unserer Hilfe zu vertreiben.« Gelächter setzte ein.
»Erwin, es bringt nichts«, sagte der Bürgermeister und versuchte zu beschwichtigen. »Sieh es ein. Wir werden nichts tun können, was unserem Gewerberecht wiederspräche.«
Sentlinger ließ die Hand sinken. Er seufzte und warf den anderen enttäuschte Blicke zu. Er fühlte sich und seine Sache verraten. Wortlos stand er auf, nickte und verließ frustriert den Raum.
Liese
Sentlinger stand am Fenster und sah hinaus. Die Niederlage gestern hatte ihn arg gebeutelt. Er hatte sich ausgemalt, in Tuntenhausen eine Front schaffen zu können, so dass Nuh Poo von selbst aufgeben und Deutschland und damit auch die Fraueninsel wieder verlassen würde. Er dachte mit Grauen daran, wie er seiner Schwester beibringen sollte, dass er keine Unterstützung gefunden hatte.
»Irgendwas stimmt doch nicht. Was ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?«, fragte Liese, als sie Sentlinger den Morgentee brachte.
Sentlinger sah geknickt zu Boden, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Manchmal muss man Niederlagen einfach hinnehmen. Die Abstimmung von gestern steckt mir immer noch in den Knochen.«
»Worum ging es denn?«, fragte sie, ohne zu neugierig wirken zu wollen.
»Eine üble Sache, da sind ein paar Leute aufgetaucht, die unbayerische Umtriebigkeit zeigen. Wir müssen das verhindern. Ich werde darum kämpfen, auch wenn wir vom Herrenorden mit meinem Antrag unterlegen sind.« Dann sah er wieder zum Fenster hinaus. Liese beobachtete ihn kurz, sah zu Boden und verließ den Raum.
Sentlinger war kein Politiker, der sich gern den Massen hingab. Er arbeitete lieber im Hintergrund. Und sein Ministerpräsident wusste das zu schätzen. Sentlinger ließ niemand gern an sich heran. Es gab nur wenige Ausnahmen: seine Schwester, seine Sekretärin und seine Ärztin. Zu ihnen hatte er ein mehr oder weniger früherotisches Verhältnis. Aber das sollte niemand von ihnen wissen.
Andere Menschen waren und blieben ihm fremd. Vor vielen hatte er sogar Angst. Sexuelle Gefühle versuchte er erst gar nicht zu zeigen, obwohl er sie hatte wie jeder andere Mensch. Aber er empfand sie als peinigend. Der bloße Gedanke an Sex bereitete ihm Unbehagen. Deshalb ging er lieber zu Prostituierten, die konnte er sogleich wieder verlassen, bevor er sie hassen musste. Aber seine Neigungen hatten sich im Laufe seines Lebens gewandelt. Denn in den letzten Jahren hatte sich in ihm zunehmend die Zuneigung zu Männern durchgesetzt, wenn sie wie Frauen aussahen. Das war der Grund, warum er bis heute ledig geblieben war. Er lächelte bei dem Gedanken, wie wunderbar es ihm jeweils ergangen war, wenn er sich in Thailand bei Nuh Poo Tubkim aufgehalten hatte.
Die Minuten des Innehaltens waren vorbei. Der tägliche Kampf konnte beginnen. Er setzte sich an den bulligen Schreibtisch, nahm eine Nagelfeile aus der Jacketttasche und feilte sich die abgekauten Nägel, so gut es ging. Dann rief er: »Liese, was haben wir heute?«
Um seine Stimme souverän zu halten, klang er unfreundlich. »Liese, wo bleibst du denn?«, schimpfte er. Nach dem Streit mit seiner Schwester und seiner Niederlage von gestern Abend spürte er jetzt ein nicht enden wollendes Verlangen. Liese! Ein wonniger Schauer überkam ihn.
Liese betrat erneut sein Büro. »Bin doch schon da«, sagte sie lächelnd. Sentlinger schluckte leise und war aufgewühlt. Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus. Sie war Ende Vierzig und trug mittellanges, fast schwarzes Haar. Ihr Gesicht zeigte die ersten Falten, ihre Haut war fahl. Während der Arbeit war sie ungeschminkt, weil Sentlinger sich vor ein paar Jahren anzüglich dazu geäußert hatte. Ihre blauen Augen versteckte sie hinter einer altmodisch großen Brille. Ihre wohlgeformten Beine waren heute mit einem langen, eng anliegenden Rock bekleidet, der an der Seite geschlitzt war. Bei jedem ihrer Schritte wurde ihre Wade sichtbar, die in einem glänzenden Nylonstrumpf steckte. Sie trug außerdem eine bis zum Hals geschlossene dunkelblaue Bluse. Und gerade das machte Sentlinger fast verrückt.
»Setz dich«, sagte er. Sie ging hinüber zu dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Heute würde er es versuchen. Liese musste doch förmlich überschäumen vor verdrängter Lust. Seine Phantasie geiferte. Dann, wie auf einer milchigen Leinwand, sah er seine Schwester für den Bruchteil einer Sekunde aufblitzten, deren Protest er sogleich mit einem heftigen Zungenschnalzen und einer ungewollten Wischbewegung aus seinem Kopf verscheuchte. Er wandte sein Gesicht ab, doch Liese hatte sein Gedankenruckeln bemerkt.
»Liese, heute hast du etwas Wunderbares angezogen. Deine Schuhe, so schön elegant.« Sein Lächeln war teigig wie Hefe.
»Äh«, sagte Liese verlegen, »die hatte ich ja letzte Woche schon an.« Sie ließ sich seine Anzüglichkeiten gefallen und beobachtete ihn, wie ein Geißlein den bösen Wolf angesehen haben mochte.
»Ehrlich?«, fragte Sentlinger aufgesetzt freundlich. »Ich muss Zwetschgen vor den Augen haben«, sagte er und lachte viel zu laut und so künstlich wie ein Wackelpudding. »Schön, Liese, das passt so … so hübsch zu deinen Beinen.« Gerade wie der Rohrstock seiner Schwester stand er jetzt da und schlug die Hände zusammen wie ein senil gewordener Patriarch.
Liese sah kurz zu Boden und fragte dann: »Was kann ich heute tun, Herr Staatssekretär?« Die Peinlichkeit, die sie empfand, war ihrer Stimme anzumerken.
»Nun mal langsam mit den jungen Pferden ...« Er lächelte sie an, doch seine Freundlichkeit hatte etwas Bedrohliches. »Wir haben ja Zeit.« Mit einem verklärten Gesicht, das ihr beinahe Angst machte, und federndem Gang ging er unbeholfen auf sie zu.
Liese