zusammen am Bahnhof angekommen.“
Was das beweise, fragte Diederich. Er protestiere gegen alle Folgerungen, die man aus dieser rein zufälligen Tatsache etwa ziehen wolle. Fräulein Daimchen sei übrigens verlobt.
„Ach die!“ machte Käthchen. „Die geniert das nicht, sie ist so gräßlich kokett.“
Auch die Frau Pastor bestätigte es. Noch heute habe sie Guste in Lackschuhen und lila Strümpfen gesehen. Das verspreche nichts Gutes. Käthchen verzog den Mund.
„Na und die Erbschaft –.“
Dieser Zweifel machte, daß Diederich bestürzt verstummte. Der Pastor hatte dem Assessor soeben die Notwendigkeit zugegeben, die Lage der christlichen Kirche in Netzig einmal näher mit den Herren zu erörtern und verlangte von seiner Frau den Mantel und den Hut. Auf der Treppe war es schon dunkel. Da die beiden anderen vorangingen, konnte Diederich noch einmal Käthchens Hals überfallen. Sie sagte ersterbend: „So mit dem Bart kitzeln tut keiner in Netzig“ – was ihm zuerst schmeichelte, gleich darauf aber gab es ihm peinliche Vermutungen ein. So ließ er Käthchen einfach los und verschwand. Jadassohn erwartete ihn unten, er sagte leise: „Nur Mut! Der Alte hat nichts gemerkt, und die Mutter tut so.“ Er zwinkerte aufdringlich.
An der Marienkirche vorüber wollten die drei Herren den Markt erreichen, der Pastor blieb aber stehen, mit einer Kopfbewegung deutete er hinter sich. „Die Herren wissen wohl, wie die Gasse heißt, links von der Kirche unter dem Bogen? Dies schwarze Loch von einer Gasse, oder vielmehr das gewisse Haus darin.“
„Klein-Berlin“, sagte Jadassohn, denn der Pastor ging nicht weiter.
„Klein-Berlin“, wiederholte er, schmerzlich lächelnd, und noch einmal mit der Gebärde heiligen Zornes, so daß mehrere Leute sich umsahen: „Klein-Berlin ... Im Schatten meiner Kirche! Solch ein Haus! Und der Magistrat will mich nicht hören, er spottet meiner. Aber er spottet noch eines anderen, –“ damit setzte sich der Pastor wieder in Bewegung – „und der lässet seiner nicht spotten.“
Auch Jadassohn war der Meinung, daß er seiner nicht spotten lasse. Diederich aber sah, indes seine Begleiter sich ereiferten, vom Rathaus her Guste Daimchen nahen. Er neigte formvoll den Hut vor ihr, und sie lächelte schnippisch. Ihm fiel auf, daß Käthchen Zillich gerade so weißblond war und auch diese kleine, frech eingedrückte Nase hatte. Eigentlich war es gleich, ob die oder die. Guste freilich zeichnete sich durch eine handliche Breite aus. „Und die läßt sich nichts gefallen. Gleich hat man eine Ohrfeige.“ Er wandte sich um nach Guste: von hinten war sie außerordentlich rund und wackelte. In diesem Augenblick war es für Diederich entschieden: Die oder keine!
Die beiden anderen hatten sie nachträglich auch bemerkt.
„War das nicht das Töchterchen der Frau Oberinspektor Daimchen?“ fragte der Pastor; und er setzte hinzu: „Unsere Bethlehemstiftung für gefährdete Jungfrauen wartet noch immer auf die Zuwendungen der Guten. Ob Fräulein Daimchen zu den Guten gehört? Die Leute sagen, sie habe eine Million geerbt.“
Jadassohn beeilte sich, dies für weit übertrieben zu erklären. Diederich widersprach; er kenne die Verhältnisse, der verstorbene Onkel habe mit Zichorie noch viel mehr verdient, als man glaube. Er behauptete es so lange, bis der Assessor ihm verhieß, er werde durch das Gericht in Magdeburg die Wahrheit in Erfahrung bringen. Darauf schwieg Diederich, zufriedengestellt.
„Übrigens“, sagte Jadassohn, „fällt das Geld doch nur an die Bucks, will sagen an den Umsturz.“ Aber Diederich wollte auch hierüber besser unterrichtet sein. „Fräulein Daimchen und ich sind nämlich zusammen hier angekommen“, sagte er versuchsweise. – „Ach so“, machte Jadassohn. „Darf man etwa gratulieren?“ Diederich hob die [pg 144]Achseln wie bei einer Taktlosigkeit. Jadassohn entschuldigte sich; er habe nur geglaubt, der junge Buck –.
„Wolfgang?“ fragte Diederich. „Mit dem war ich in Berlin täglich zusammen. Er lebt dort mit einer Schauspielerin.“
Der Pastor räusperte sich mißbilligend. Da man eben auf den Theaterplatz gelangte, sah er streng hinüber. Er versetzte:
„Klein-Berlin liegt wohl bei meiner Kirche, aber doch wenigstens in einem dunklen Winkel. Dieser Tempel der Sittenlosigkeit brüstet sich auf offenem Platz, und unsere Söhne und Töchter –“ er zeigte nach dem Bühneneingang, wo einige Mitglieder des Theaters standen – „streifen mit dem Ärmel an Buhldirnen!“
Diederich erklärte dies, mit bekümmerter Miene, für tief bedauerlich – während Jadassohn sich über die „Netziger Zeitung“ entrüstete, die frohlockt hatte, weil in den Stücken der letzten Saison vier uneheliche Kinder vorgekommen seien, und die das für einen Fortschritt hielt!
Inzwischen bogen sie in die Kaiser-Wilhelm-Straße und hatten verschiedene Herren zu grüßen, die eben das Haus der Loge betraten. Als sie die tief gezogenen Hüte wieder aufgesetzt hatten und vorüber waren, sagte Jadassohn:
„Man wird sich die Herrschaften merken müssen, die den freimaurerischen Unfug noch mitmachen. Seine Majestät mißbilligt ihn entschieden.“
„Von meinem Schwager Heuteufel wundert mich selbst das gefährlichste Sektenwesen nicht“, erklärte der Pastor.
„Nun, und der Herr Lauer?“ meinte Diederich. „Ein Mensch, der sich nicht entblödet, seine Arbeiter am Gewinn zu beteiligen? Dem ist alles zuzutrauen!“
„Das Unerhörteste“, behauptete Jadassohn, „ist doch, daß Herr Landgerichtsrat Fritzsche sich in dieser Judengesellschaft zeigt: ein königlicher Landgerichtsrat Arm in Arm mit dem Wucherer Cohn. Wie haißt Cohn“, machte Jadassohn und steckte den Daumen unter die Achsel.
Diederich sagte: „Da er ja mit der Frau Lauer –“ Er brach ab und erklärte, dann begreife er allerdings, daß diese Leute vor Gericht immer recht bekämen. „Sie halten zusammen und schmieden Ränke.“ Pastor Zillich murmelte sogar etwas von Orgien, die sie in dem Haus dort feiern sollten und bei denen schon unaussprechliche Dinge vorgekommen waren. Aber Jadassohn lächelte bedeutsam:
„Nun, glücklicherweise sieht ihnen Herr von Wulckow gerade in die Fenster hinein.“ Und Diederich nickte beifällig zu dem Gebäude der Regierung hinüber. Gleich daneben, vor dem Bezirkskommando, ging ein Wachtposten auf und ab. „Da lacht einem doch das Herz, wenn man das Gewehr so eines braven Burschen blinken sieht!“ rief Diederich aus. „Damit halten wir die Bande in Schach.“
Das Gewehr blinkte freilich nicht, denn es ward dunkel. Schon schoben sich Abteilungen heimkehrender Arbeiter durch das abendliche Gedränge. Jadassohn schlug einen Dämmerschoppen bei Klappsch vor, gleich um die Ecke. Dort war es gemütlich, zu dieser Stunde kam niemand hin. Auch war Klappsch ein Gutgesinnter, der dem Pastor, indes seine Tochter das Bier brachte, seinen heißen Dank aussprach für die segensreiche Arbeit, die er in der Bibelstunde an seinen Jungen vollbringe. Der Älteste hatte zwar doch wieder Zucker gestohlen, dafür aber hatte er nachts nicht schlafen können, sondern seine Sünde Gott so laut gebeichtet, daß Klappsch es hörte und ihn durchprügeln konnte. Von da kam das Gespräch auf die Be[pg 146]amten der Regierung, die Klappsch mit Frühstück versorgte und von denen er berichten konnte, wie sie am Sonntag die Kirchzeit verbrachten. Jadassohn machte sich Notizen, und gleichzeitig verschwand seine Hand hinter Fräulein Klappsch. Diederich besprach mit Pastor Zillich die Gründung eines christlichen Arbeitervereins. Er verhieß: „Wer von meinen Leuten nicht ’rein will, fliegt!“ Diese Aussichten heiterten den Pastor auf; nachdem Fräulein Klappsch mehrmals Bier und Kognak gebracht hatte, befand er sich in demselben Zustand hoffnungsvoller Entschlossenheit, den seine beiden Gefährten im Laufe des Tages erreicht hatten.
„Mein Schwager Heuteufel“, rief er und schlug auf den Tisch, „soll so viel von der Affenverwandtschaft predigen, wie er will, ich krieg’ meine Kirche doch wieder voll!“
„Nicht nur Ihre“, beteuerte Diederich.
„Na, es gibt nun mal zu viele Kirchen in Netzig“, gestand der Pastor. Da sagte Jadassohn schneidend: „Zu wenige, Mann Gottes, zu wenige!“ Und er nahm Diederich zum Zeugen, wie in Berlin die Dinge sich entwickelt hatten. Auch dort standen die