Clara Viebig

Der Vielgeliebte und die Vielgehaßte


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Ein goldiges Ding, ja – aber kommen Sie jetzt, wir müssen hinauf!« Der Graf drängte, es dauerte ihm schon zu lange hier unten, Armeleutsgeruch war auf die Dauer nicht gut erträglich; hier in der Küche roch es zudem nach Zwiebeln und kalten Kartoffeln. «Matuschka erwartet uns, sie sind schon beim Jeuen. Und die Demoiselle oben hat auch ihre Reize – verteufelt schönes Weib! Kommen Sie, kommen Sie, Prinz!» Er schob seinen Arm unter den des andern, führte den noch immer Zögernden lachend hinaus.

      III

      Die älteste Enke hatte ihr Glück gemacht, sie war jetzt Gräfin Matuschka. Der Graf hatte sie geheiratet – warum auch nicht? Er war vermögend, Rußland war weit, und niemand redete ihm drein. Sie verstand auch mit viel Geschick zu repräsentieren, so, als wenn sie immer vornehme Gesellschaft bei sich gesehen hätte. Die Damenwelt hielt sich freilich anfänglich fern – man wußte doch: die Enke! – und nicht von Adel! Hochmütige Näschen rümpften sich; aber da die Herrenwelt sehr zahlreich dort vertreten war – Garde, elegante Kavaliere, hochgeborene Herren, man flüsterte sogar: der Kronprinz! –, fanden es die Damen nach und nach auch nicht mehr unter ihrer Würde, die Assemblees im Matuschkaschen Hause mit ihrer Gegenwart zu beehren. Man war zur Zeit nicht mehr so peinlich darauf bedacht, daß gewisse Schranken aufrechterhalten blieben. Der König war alt und grämlich und hielt sich fern in Sanssouci; außer den Hoffestlichkeiten mit ihrer steifen Prachtentfaltung und goldenem Tafelservice, auf denen es noch immer nach der vorgeschriebenen altpreußischen Rangordnung ging, gab es Feste, bei denen man sich weit besser amüsierte. Der leutselige Thronfolger, von dem man sich so viel versprach, ging darin mit gutem Beispiel voran, er liebte zwangloses Beisammensein und heitere Geselligkeit; wenn es auch zuweilen dabei etwas bunt zuging, was machte das, man war eben harmlos vergnügt. Ein freieres Wehen würde mit der neuen Regierungszeit über das altmodische Preußen kommen.

      Matuschka war noch immer närrisch verliebt. Er war freilich ein wenig Barbar, trank sehr viel, spielte sehr viel und war sehr stolz auf die vielen Anbeter seiner Frau. Aber er hatte deren Mutter, der Frau Kammermusikus Enke, eine Rente von ein paar hundert Talern im Jahr ausgesetzt, darum nahm die Gattin ihm auch manches nicht übel. Nur wenn er mit der Peitsche knallte, dann flüchtete sie nach der Spandauer Straße, wo die Mutter sie tröstend in die Arme nahm.

      Elias Enke lief dann verzweifelt auf und nieder, am liebsten hätte auch er seine Frau geprügelt: Sie, sie allein war schuld an der Ehe mit diesem Matuschka, der ein Trinker und Spieler war! Er ließ es nicht an Vorwürfen fehlen und so sehr ihm sonst die Frau überlegen war, so still war sie jetzt, gab kein Widerwort. Zuletzt weinten sie alle drei, bis Matuschka angerannt kam und sich seine Frau wiederholte. Er hatte es ja auch gar nicht böse gemeint, sie durfte doch nicht so empfindlich sein, in Rußland nahm keine dergleichen übel. Er küßte ihr die Hände, kniete vor ihr nieder, nannte sie einen Engel, sich einen Barbaren: «Da, nimm du die Peitsche, hau zu, hau zu!» Sie gab dann lachend dem armen Teufel einen Backenstreich, nahm ihn unter den Arm und zog versöhnt mit ihm ab.

      Verdutzt blieben die Eltern zurück; auch sie waren oftmals kein einiges Ehepaar, aber so etwas ging ihnen doch übers Begreifen. Die Frau war die erste, die sich faßte: «Er ist ein Russ’, Enke! Lieber Gott, die sind alle so.» Aber Enke ließ keine Entschuldigung gelten, er war voll bitterer Bekümmernis: Zuviel, viel zuviel schon hatte er hingehen lassen, oh, hätte er niemals zugegeben, daß seine Älteste zum Theater ging, dann wäre sie ein anständiges Mädel geblieben, hätte einen braven Mann heiraten können, einen von der Kapelle oder einen Handwerker! Die Frau lachte ihm ins Gesicht: Dazu war ihre schöne Tochter denn doch wahrlich zu schade. Ein anderer Kavalier als dieser Matuschka, den sie so willfährig hereingelassen, wäre ihr freilich auch lieber gewesen, aber der Matuschka war trotz allem gutmütig, knauserte nicht mit dem Gelde, und das kleine Palais in der Mohrenstraße war auch nicht zu verachten. Sie redete der Tochter versöhnlich zu, wenn die sich beklagen kam, daß ihr Graf gar zuviel im Spiel verlöre. «So sind die Kavaliere alle, Spielen gehört zum guten Ton. Morgen gewinnt er ja wieder. Und du mußt immer bedenken, du bist Gräfin geworden.» So redete die verständige Mutter, aber der Vater war unverständig.

      Enke war oftmals so unverständig, daß er in seinem Kummer zu tief ins Glas guckte, dann aufgeregt nach Hause kam, alles untereinanderschmiß und der Frau Dinge vorwarf, die alle längst verjährt und vergeben waren. Und dann schrie er: «Meine Wilhelmine soll aber anders werden! Lieber reiße ich sie dir aus den Klauen und tu sie wo hin, wo sie was anderes lernt als Kavalieren gefällig sein. Dir macht das ja nichts aus, aber mir, aber mir!» Und dabei schlug er sich vor den Kopf und bearbeitete seinen Schädel mit beiden Fäusten, so daß der Frau angst wurde, er schlage sich das Hirn ein. Es war wirklich keine reine Freude, diese Ehe mit dem Matuschka. Es war ja schön, daß der nicht stolz gegen die armen Eltern seiner Frau war, aber er vergaß sich doch sonst gar zu oft. Die Tochter vergaß sich auch oft: Wie konnte sie nun, da sie einen vornehmen Mann hatte, sich noch mit anderen Kavalieren einlassen?! Das war bereits Stadtgespräch. Und auch daß die Matuschkas Schulden machten.

      Trotzdem sagte die Mutter ‹ja›, als die Matuschka sich das Schwesterchen für einige Zeit ausborgte. Sie versprach, das Wilhelminchen Französisch lernen zu lassen und in jeder Beziehung gut für das Kind zu sorgen. Ihr bange oft sehr nach der jüngeren Schwester; die war ja auch nun schon vierzehn und hatte noch nichts von Welt und Menschen gesehen.

      Wilhelmine bezeigte keine große Freude, zur Schwester in das feine Haus überzusiedeln, sie wäre lieber beim Vater geblieben, aber sie hatte ja noch selber über sich keine Bestimmung. Sie mußte es geschehen lassen, daß die Mutter ihre bescheidenen Lümpchen zusammenpackte.

      «Ich ziehe dich viel schöner an, paß mal auf, wie gut du’s kriegst«, sagte die Schwester. Schnell, nur schnell, daß sie fort waren, ehe der Vater nach Hause kam! Der Schwester Hand riß sie mit fort. Als Wilhelmine das Köpfchen drehte und stehenblieb, bog der Vater hinten gerade um die Ecke.

      Es hatte Elias Enke heute etwas heimlich getrieben, es ließ ihm keine Ruhe, er mußte nach Hause. Atemlos kam er heim, sagte kaum guten Tag, fragte nach Wilhelmine. «Ist zur Schwester gegangen», sagte die Mutter, weiteres wagte sie noch nicht zu gestehen. Es gab schon dieses ein Donnerwetter: «Was läßt du sie zu den Matuschkas laufen, das ist kein Haus und kein Umgang für sie!» Als Wilhelmine am späten Abend noch nicht zurück war, brach ein Gewitter los mit Donner und Blitz und Hagel und Einschlag. Zum erstenmal trommelte Enkes Faust auf dem Rücken seines Weibes. Das retirierte hinter den Küchentisch und schrie um Hilfe, so daß die beiden jungen Burschen gelaufen kamen, der Mutter beizustehen. Unsanft warf der Wütende die Söhne zur Tür hinaus, trommelte weiter, bis der Atem ihm kurz wurde und das Blut so zu Kopf stieg, daß er – Schwarz vor den Augen – taumelnd gegen die Wand fiel.

      Mit ihrem Enke wollte es doch gar so recht nicht mehr, die Frau sah ihn oft heimlich besorgt von der Seite an. Was war ihm nur? Er war zwar ein genauso sicherer und trefflicher Hoboist in der Kapelle wie vordem, aber er setzte manchmal, wenn er abends daheim war, sein Waldhorn an die Lippen und blies oben zum Fensterchen der jetzt leeren Kammer in die nächtliche Stille hinaus, hinauf zu den Sternen, daß der sonst so Harten weich und weh wurde. Er bangte sich wohl nach dem Wilhelminchen? Er fragte nicht mehr nach ihr und verlangte auch nicht mehr, daß sie unverzüglich heim käme. Er sprach überhaupt nicht mehr viel. Wußte er denn nichts mehr davon, daß er sie wegen Wilhelminchen damals so verprügelt hatte? Hatte er heute alles vergessen? Die Frau hütete sich wohl, ihn daran zu erinnern. Er war vergeßlich geworden, ihr Enke, vielleicht auch meldete sich das Alter bei ihm schon vor der Zeit; wenn er den Haarzopf abtat, sobald er aus dem Orchester zurück war, sah die Frau verwundert: Er war schon ganz grau.

      Im Hause der Gräfin Matuschka lernte Wilhelmine Französisch und ihre Worte fein setzen, auch sonst allerlei; vor allem aber, wie man es macht, zu gefallen. In der Kunst war die Matuschka Meisterin. Lässig hingestreckt, noch am Vormittag sich im Bette dehnend, sah die schöne Frau lachend zu, wie Matuschka sich mit der Kleinen neckte. Die mußte ihn bedienen beim Anziehen, ihm den Puder abstäuben, die Kniebänder knüpfen, die Eskarpins stramm ziehen, die Schnallenschuhe abreiben. Wenn sie dann so vor ihm kniete, liebte er es, sie an den Locken zu ziehen. Dabei lachte sie noch, pustete er ihr aber in den Ausschnitt des Kleides, aus dem weiß und zart der junge Busen sich hob, dann verschwand schnell ihr Lachen, wütend fauchte sie ihn