Clara Viebig

Der Vielgeliebte und die Vielgehaßte


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Aber in ihr lautes Gelächter mischte sich etwas wie Ärger: Matuschka machte es wirklich zu heftig, er war ja ganz wild. Wenn sie die junge Schwester auch hergenommen hatte, um ihrem Cercle eine neue Anziehungskraft zu geben und den Kavalieren mehr Anreiz, so durfte sie es doch keinesfalls geschehen lassen, daß ihr Barbar sich an der süßen Unschuld vergriff.

      Vor dem kleinen Palais in der Mohrenstraße hielten Karossen und Sänften. Das war hell erleuchtet, aus allen Fenstern fiel Schein hinaus auf die mit schmutzigem Tauschnee bedeckte Straße. Zwei Diener standen am Eingang bereit und hielten Windlichter hoch, damit die Gäste nicht in das Schneewasser patschten. Ein abscheuliches Wetter! Wenn die Matuschka nicht eine Überraschung angekündigt hätte, und er, der Matuschka, mit den Augen blinzelnd spitzbübisch dabei gelächelt, so wäre man lieber beizeiten zu Bett gegangen. Nun war es bald Mitternacht – man ging zu Matuschkas erst nach der Oper –, und würde der Prinz von Preußen auch wirklich zugegen sein? Die Gastgeber hatten das nicht besonders erwähnt – der Kronprinz liebte es nicht, wenn man ihn avisierte, er kam und ging, ungezwungen wann und wie es ihm beliebte – aber sollte seine bestimmte Anwesenheit vielleicht heute nacht doch die angedeutete Überraschung sein?

      Die schöne Matuschka war heute abend etwas nervös. Sie erhoffte für die Schwester ein glückliches ‹Sort› vorzubereiten, denn interessierte sich eine sehr hohe Persönlichkeit nicht für sie? Der Prinz von Preußen fragte nicht nach der Herkunft. Wenn sie sich auch nicht mit so phantastischen Plänen trug wie die Mutter, so war sie doch gern bereit, dem Schicksal hilfreiche Hand zu bieten. Nun putzte sie an der Kleinen herum. Ihren Mann hatte sie eben herausgeworfen, die Tür vor ihm zugeschlossen; es machte sie ungeduldig, seine Blicke auf den zarten, tief entblößten Schultern, über die beständig ein leichtes Erschauern lief, brennen zu sehen.

      «Frierst du, Wilhelminchen?»

      «Nein. Aber ich wünschte, ich könnte ins Bett gehen. Ich bin schon so müde.»

      Die Matuschka blickte herb: «Ich war auch oft müde und mußte doch. Aber freilich, du bist noch so jung.» Die Ältere konnte eine sie plötzlich ankommende Regung der Rührung nicht ganz unterdrücken: Da saß das Kind wie ein Opferlamm und ließ sich schmücken. «Sieh doch mal in den Spiegel, wie schön du jetzt bist! Du weißt, der Kronprinz kommt heute. Damals war er so freundlich zu dir, du wirst ihn jetzt wiedersehen. Wenn er zu dir spricht, sei lieb, nimm dich zusammen – es ist eine hohe Ehre für dich!»

      «Ja, ja», sagte das müde Kind.

      Es war ein äußerst gelungenes Fest, obwohl der Kronprinz noch nicht erschienen war. Er würde wohl auch nicht mehr kommen, es war bereits zwei, als die ersten aufbrachen. Wahrscheinlich irgendein neues Band, das ihn festhielt. Es ging schon aufs Morgengrauen, als er endlich erschien, anscheinend abgespannt, aber liebenswürdig wie immer. Jetzt kam erst die richtige Stimmung. Die Hausfrau hatte in die Hände geklatscht, das bedeutete: Dienerschaft weg. Sie füllte selber die Gläser. Suchend wanderten dabei ihre Blicke: Wo steckt die Kleine? Seiner Königlichen Hoheit schien augenblicklich nichts dran gelegen, er hatte sich sofort ins Spielzimmer begeben. Da saßen welche mit heißen Köpfen – man spielte Pharo und spielte es hoch – der Prinz hatte sich eingereiht, man schob ihm gleich dienstbeflissen einen Stuhl unter. Die Matuschka sah mit Bedauern: Nun war er leider schon mitten im Spiel. Aber nachher, nachher! Sie fieberte: Schönheiten wurden ihm genug präsentiert, aber keine so jung wie das Wilhelminchen.

      Der Prinz war im Gewinnen, Matuschka verlor. Je mehr die Karten zu dessen Ungunsten fielen, desto mehr trank er; hastig griff seine Hand nach dem Glase, trank es aus in einem Zug, schenkte sich selber ein. Bald war er sinnlos betrunken.

      «Hören wir auf», sagte der Prinz; er war bleich, sein Gesicht gedunsen und doch schlaff vor Abspannung, er war seiner selbst nicht mehr ganz sicher.

      «Denke nicht dran», brüllte Matuschka, «jetzt erst recht nicht. Sitzen geblieben! Glück bei Weibern, Unglück im Spiel – diesmal trifft das nicht zu. Setz dich, du Vielgeliebter! Vielgeliebter – hahaha, ha» – sein Lachen erstickte, einer der Mitspieler hatte ihm rasch die Hand auf den Mund gelegt. So weit durfte es denn doch nicht gehen, Seine Königliche Hoheit könnte sich morgen dieser Worte erinnern.

      Des Prinzen Gesicht hatte sich verfinstert: ‹Vielgeliebter› – sollte er das als Schmeichelei nehmen oder als unstatthafte Anspielung? Er war sich darüber nicht mehr ganz klar.

      Hohe Zeit, daß man Matuschka hinausbeförderte. Kopf ins Wasser, frische Luft, die ernüchtert. Er stolperte der Treppe zu. Da, auf der obersten Stufe, das Köpfchen an die Sprossen des Geländers gelehnt, saß eine und schlief. Ha – haha – war das nicht das Schwesterchen seiner Frau? Aus dem Zimmer geworfen, vor ihm zugeschlossen – haha – hier, jetzt ging das nicht so! «Kleine Hexe, ei, ei, nicht mich herauswerfen – ei, ei!» Er ließ sich neben ihr niederfallen, schlang den Arm fest um sie.

      Wilhelmine hatte ganz fest geschlafen. Wirres Durcheinander in ihrem Traum: alle Kerzen brennen im Kronleuchter, in den Kandelabern – viele Leute – viele Augen – die sehen sie an. Die Schwester hält sie an der Hand. Vorstellungen, Vorstellungen, zierlichste Verneigungen. Man lächelt sie an, sie lächelt auch, das Lächeln friert fest auf ihrem Gesicht. Lächeln, immer lächeln, oh, das tut weh, so den Mund zu verziehen! Und langweilig, so langweilig – was soll sie sagen, was antworten? Es fällt ihr gar nichts mehr ein, die Lider fallen zu – immer wieder sie aufreißen, heimliches Gähnen und wieder Gähnen – müde, ach, so schrecklich müde! Alles wirrt um Wilhelmine: Lichter, Leute, Laute – Schleier von ihren Blicken – ach, schlafen, nur schlafen gehen!

      Ein entsetzter Schrei war es, der durchs Treppenhaus gellte. Es war Wilhelmine, die ihn ausstieß: Wer packte sie an, umschlang sie eisern? Was hauchte sie so heiß an, ein Mensch, ein Tier? Sie wehrte sich gegen die Umschlingung, halb noch im Kinderschlaf, noch nicht ganz wach und doch sich einer Gefahr bewußt.

      Ihr Schrei war auch drinnen gehört worden. Wer schrie? Und warum lachte Matuschka so unbändig? Wen hatte der Trunkene da attackiert? Die um den Spieltisch saßen, waren aufgesprungen, drängten heraus. Aber es war nicht die Zofe, die man, von dem Trunknen bedrängt, zu finden erwartete.

      Welch unangenehme Szene! Die Matuschka hatte sich alles ganz anders gedacht. Es war so schön arrangiert, das Kind, nachdem der Prinz sich schon mehrmals erkundigt hatte, ihm heute als gesellschaftsfähige junge Dame vorzustellen. Sie hätte weinen können vor Zorn und Enttäuschung. Die Blicke, mit denen sie ihren Gatten anfunkelte, waren so wütend, daß er plötzlich nüchtern wurde. Aber auch auf die Schwester war sie erzürnt: «Dummes Ding, was fällt dir denn ein, dich auf die Treppe zu setzen? Hör auf mit dem törichten Schreien!»

      Wilhelmine schluchzte noch krampfhaft laut: Oh, daß sie doch fliehen könnte, aber wohin? Alles Gesichter, fremd und neugierig. Wenn doch der Vater hier wäre! Sie fühlte eine lange nicht empfundene, heiße Sehnsucht nach ihm: Der, ja der würde sie schützen! ‹Beruhige dich, mein Kind›, würde er sagen – nein, das sagte jetzt plötzlich ein anderer. Ein großer, vornehmer Herr. Und eine Hand, weicher als die des Vaters, legte sich auf ihren Kopf.

      «Ruhig, mein Kind, es geschieht dir ja nichts!» Der Prinz ergriff die vor Schreck ganz erkaltete kleine Hand, hielt sie fest in der seinen, beugte seine hohe Gestalt nah zu der Zitternden nieder, zog sie von der Stufe der Treppe auf: «Komm, mein Kind, komm, wovor ängstigst du dich? Fürchte doch nichts. Ich bin jetzt bei dir, ich bringe dich selber nach Hause – Spandauer Straße, nicht wahr?»

      Nur ein stummes Nicken die Antwort, ein dankbar verwirrter, großäugiger Blick.

      Er lächelte. Und dann, sich zu seiner vollen Höhe aufrichtend, sehr formell, ganz Königliche Hoheit, zur Matuschka: «Frau Gräfin, führen Sie Ihren Gatten fort! Ich werde die Demoiselle Schwester fortführen. Ich bedaure, aber Sie werden verstehn, daß ich mich jetzt empfehle.»

      An seinem Arm, noch zitternd, doch schon seltsam getröstet, ging Wilhelmine Enke die Treppe hinunter.

      IV

      Ein Geraune ging durch die Stadt, schöne Lippen tuschelten: Was zog den Thronfolger nur so oft nach der Spandauer Straße in ein minderwertiges, ganz obskures Haus? Da wohnte doch die Demoiselle