Augustinus von Hippo

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1


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den Apostel berief, zu seiner Kirche gehöre. O du Kirche, o du Israel, in welchem kein Falsch ist, wenn du das Volk Israel bist, in welchem kein Falsch ist, so hast du jetzt schon Christus durch die Apostel erkannt, wie Nathanael Christus durch Philippus erkannte. Aber in seiner Barmherzigkeit hat er dich gesehen, bevor du ihn erkanntest, als du unter der Sünde lagest. Denn haben denn etwa wir zuerst Christus gesucht, und nicht vielmehr er uns? Sind etwa wir, die Kranken, zum Arzt gekommen, und nicht vielmehr der Arzt zu den Kranken? War nicht jenes Schaf verloren gegangen, und der Hirte suchte es unter Zurücklassung der neunundneunzig und fand es und trug es dann freudig auf seinen Schultern zurück? War nicht jene Drachme verloren gegangen, und das Weib zündete ein Licht an und suchte sie im ganzen Hause, bis sie dieselbe fand? Und als sie dieselbe gefunden hatte, sprach sie zu ihren Nachbarinnen: „Freuet euch mit mir, denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte“247. So waren auch wir verloren gegangen wie ein Schaf, wie eine Drachme, und unser Hirte fand das Schaf, aber er suchte das Schaf; das Weib fand die Drachme, aber es suchte die Drachme. Wer ist das Weib? Das Fleisch Christi248. Was ist das Licht? „Ich habe meinem Christus eine Leuchte bereitet“249. Also gesucht sind wir worden, damit wir gefunden würden; nachdem wir gefunden sind, reden wir. Laßt uns nicht stolz sein, da wir, bevor wir gefunden wurden, verloren gewesen wären, wenn wir nicht gesucht worden wären. Es sollen also die, welche wir lieben und die wir dem Frieden der katholischen Kirche gewinnen wollen, zu uns sprechen: Was wollt ihr uns? Was sucht ihr uns, wenn wir Sünder sind? Deshalb suchen wir euch, damit ihr nicht verloren gehet; wir suchen, weil auch wir gesucht wurden; wir wollen euch finden, weil auch wir gefunden wurden.

       22.

       Da also Nathanael gesagt hatte: „Woher kennst Du mich?“ sprach der Herr zu ihm: „Bevor dich Philippus rief, da du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen“. O du Israel ohne Falsch, wer immer du bist, o Volk, das aus dem Glauben lebt, bevor ich dich durch meine Apostel rief, da du im Schatten des Todes warst und du mich nicht sahest, habe ich dich gesehen. Der Herr spricht darauf zu ihm: „Weil ich zu dir gesagt habe: Ich habe dich unter dem Feigenbaum gesehen, glaubst du; du wirst Größeres als dies sehen“. Was heißt das: Du wirst Größeres als dies sehen? „Und er spricht zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen.“ Brüder, ich habe von einem gewissen Etwas gesprochen, welches größer ist als dies: „Ich habe dich unter dem Feigenbaum gesehen“. Denn mehr ist, daß uns der Herr berufen und gerechtfertigt hat, als daß er uns im Schatten des Todes liegen sah. Denn was nützte es uns, wenn wir dort geblieben wären, wo er uns sah? Würden wir etwa nicht liegen bleiben? Was ist größer als dies? Wann sahen wir die Engel auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen?

       23.

      Schon habe ich einmal von diesen auf- und niedersteigenden Engeln gesprochen, aber damit ihr es nicht vergesset, sage ich es kurz, gleichsam in Weise der Erwähnung; denn ich würde es ausführlicher darlegen, wenn ich es nicht erwähnen, sondern jetzt erst mitteilen würde. Jakob sah im Traum eine Leiter und auf den Sprossen die Engel auf- und niedersteigen, und er salbte den Stein, den er sich unter das Haupt gelegt hatte250. Ihr habt gehört, daß der Messias Christus ist, ihr habt gehört, daß der Gesalbte Christus ist. Denn nicht so legte er den gesalbten Stein hin, daß er hinging und ihn anbetete, sonst wäre es Götzendienst, nicht ein Vorbild Christi. Es ist also ein Vorbild gewesen, bis das Vorbild sich verwirklichen sollte, und vorgebildet wurde Christus. Der Stein wurde gesalbt, aber nicht zum Götzenbild. Ein Stein wurde gesalbt; warum ein Stein? „Siehe, ich lege in Sion einen Stein, einen auserwählten, kostbaren, und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden“251. Warum gesalbt? Weil Christus von Chrisma. Was aber sah er damals auf der Leiter? Auf- und niedersteigende Engel. So verhält es sich auch mit der Kirche, Brüder; die Engel Gottes sind die guten Prediger, die Christus verkündigen, d. h. sie steigen über dem Menschensohn auf und nieder. Wie steigen sie hinauf, wie steigen sie nieder? An einem haben wir ein Beispiel; höre den Apostel Paulus; was wir an ihm finden, das wollen wir betreffs der anderen Prediger glauben. Siehe, wie Paulus hinaufsteigt: „Ich kenne einen Menschen in Christus, der wurde vor vierzehn Jahren bis in den dritten Himmel entrückt (ob im Leibe oder außer dem Leibe, weiß ich nicht, Gott weiß es) und hörte unaussprechliche Worte, die einem Menschen nicht gestattet ist zu sagen“252. Ihr habt nun gehört, wie er hinaufsteigt; höret, wie er niedersteigt. „Ich konnte zu euch nicht reden als zu Geistigen, sondern als zu Fleischlichen; als kleinen Kindern in Christo habe ich euch Milch zum Trank gegeben, nicht Speise“253. Siehe, herabsteigt der, welcher hinaufgestiegen war. Frage, wohin er aufgestiegen war. „Bis in den dritten Himmel.“ Frage, wohin er hinabstieg. Bis zur Darreichung der Milch an die Kleinen. Höre, daß er hinabstieg. „Ich bin“, sagt er, „ein Kind geworden mitten unter euch, wie eine Amme ihre Kinder pflegt“254. Wir sehen nämlich, wie Ammen und Mütter zu den Kindern herabsteigen, und wenn sie lateinische Wörter auszusprechen verstehen, verstümmeln sie dieselben und zerstoßen gewissermaßen ihre Sprache, damit aus der rednerischen Sprache kindliche Koseworte werden können; denn wenn sie so reden255, hört das Kind nicht, es kommt aber auch nicht vorwärts. Und ein redegewandter Vater, wenn er auch ein solcher Redner ist, daß von seiner Sprache der Marktplatz erdröhnt und die Tribünen erschüttert werden, er legt, wenn er ein kleines Kind hat, sobald er nach Hause gekommen, die forensische Beredsamkeit, zu der er sich erschwungen hatte, beiseite und steigt in kindlicher Sprache zum Kinde herab. Höre an an* einer* Stelle den Apostel, wie er hinauf- und herabsteigt, in einem Satze: „Denn sei es, sagt er, daß wir uns im Geiste überheben, es geschieht für Gott; sei es, daß wir uns bescheiden, es geschieht für euch“256. Was heißt das: „Wir überheben uns im Geiste für Gott“? Um das zu sehen, „was einem Menschen nicht gestattet ist zu sagen“. Was heißt: „Wir bescheiden uns für euch“? „Habe ich etwa erachtet, unter euch etwas zu wissen, außer Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten?“257. Wenn der Herr selbst hinauf- und hinabstieg, so ist klar, daß auch seine Prediger durch Nachahmung hinaufsteigen, durch die Lehrverkündigung hinabsteigen.

       24.

      Wenn wir euch etwas länger hingehalten haben, so geschah es absichtlich, damit die gefährlichen Stunden vorübergehen möchten; wir meinen, jene seien jetzt mit ihrer eitlen Feier fertig. Wir aber, Brüder, wollen, nachdem wir mit heilsamer Speise erquickt worden sind, das übrige tun, um den Tag des Herrn258 festlich zu begehen in geistigen Freuden, und wollen die wahren Freuden mit den eitlen Freuden vergleichen. Wenn wir uns entsetzen, mögen wir Bedauern haben; wenn wir Bedauern haben, mögen wir beten; wenn wir beten, mögen wir erhört werden, wenn wir erhört werden, gewinnen wir auch jene.

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