Ricarda Huch

Gesammelte Werke


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Gustav Adolfs, dessen Art der Kriegführung überraschend und umwälzend wirkte, ging der Ruhm der Waffen auf die Franzosen über. Schweden und Frankreich übten denn auch bei den Friedensverhandlungen den stärksten Einfluß aus.

      Seit dem Jahre 1643 waren in Münster die katholischen, in Osnabrück die protestantischen Abgeordneten aller im Kriege beteiligten Staaten versammelt, um die Friedensbedingungen festzusetzen. Während die Heere sich Schlachten lieferten, Bürger und Bauern unter der Brutalität der Soldateska ächzten, das deutsche Land ausgesogen wurde, stritten die Gesandten um das Zeremoniell bei ihren Sitzungen und feilschten um die Vorteile, die sie für ihre Auftraggeber herauszupressen suchten. Die größte Schwierigkeit bildete die Entschädigung Frankreichs und Schwedens. Unabänderlich war die Abtretung eines Teils von Pommern an Schweden, des Elsaß an Frankreich; den Verlust zweier schöner, rein deutscher Länder mußte Deutschland über sich ergehen lassen. Schon vor dem Dreißigjährigen Kriege hatte Ferdinand II. heimlich das Elsaß Spanien versprochen; das war bei der engen Verbundenheit von Spanien und Österreich keine so einschneidende, so bedrohliche Veränderung wie die Abtretung an Frankreich. Spanien, das gehofft hatte, sich aus dem Elsaß und der Pfalz ein Nebenland zu bilden, war im Laufe der letzten Jahrzehnte durch Frankreich aus seiner Vormachtsstellung verdrängt worden; es mußte seinen Plan aufgeben, eine Brücke zum habsburgischen Österreich herzustellen. Da Frankreich seine Absicht, möglichst viel zu bekommen, Österreich seine Absicht, möglichst wenig herzugeben, im Augenblick nicht durchsetzen konnten, faßten sie die die Abtretung betreffenden Artikel wie zwei Betrüger ab, die sich die Möglichkeit offenlassen wollen, einander bei Gelegenheit übers Ohr zu hauen, so zwar, daß Österreich, als dem schwächeren Teil, die weitaus schwächeren Anhaltepunkte blieben. Man kann den betreffenden Abschnitt nicht lesen, ohne zu staunen, daß zwei Vertragschließende sich auf eine so aufdringlich absichtliche Verdunkelung einigten. Der heikelste Punkt war der, daß im Elsaß mehrere Reichsstädte, darunter Straßburg, lagen, die, wenn von der Landgrafschaft Elsaß die Rede war, selbstverständlich nicht darin inbegriffen waren, die aber ebenso selbstverständlich Frankreich mit dem Elsaß sich aneignen wollte. Zuerst verzichtet der Kaiser und das gesamte Haus Österreich auf die Landgrafschaft von Ober- und Unterelsaß, auf den Sundgau und auf die Landvogtei über die zehn im Elsaß gelegenen Reichsstädte, und sie übertragen dies alles auf den König und das Königreich Frankreich, und zwar mit voller Souveränität in alle Ewigkeit, ohne daß Kaiser und Reich irgend etwas von Recht oder Macht in diesen Ländern beanspruchen dürfen. »Der Allerchristlichste König«, heißt es dann, »ist verpflichtet, nicht nur die Bischöfe von Basel und Straßburg, nebst der Stadt Straßburg, sondern auch die übrigen reichsunmittelbaren Stände in Ober- und Niederelsaß, nämlich die Äbte von Murbach … desgleichen die genannten zehn Reichsstädte … in der Freiheit und im Besitze der Reichsunmittelbarkeit zu belassen, deren sie sich bisher erfreut haben … So jedoch, daß durch diese gegenwärtige Deklaration allem dem oben zugestandenen Souveränitätsrecht kein Abbruch geschehen soll.« Offenbar war also an Frankreich nur die Landvogtei über die reichsunmittelbaren Stände im Elsaß abgetreten; aber auf die volle Souveränität hin konnte es doch zu gelegener Zeit die Hand auf sie legen. Ein Gegenstück dazu war, daß die Stadt Breisach Frankreich überlassen wurde, während der Breisgau, dessen Hauptstadt Breisach war, Österreich verblieb. Der Umstand, daß Frankreich durch den Krieg mit Spanien, in dem es begriffen war, und durch innere Unruhen beschäftigt war, erhielt den umgarnten Reichsständen für einige Jahrzehnte noch ihr selbständiges Dasein, und Frankreich verschob seine Eroberungsgelüste auf eine günstigere Zeit, Österreich hoffte vergebens, das Entrissene unter glücklicheren Umständen zurückzugewinnen. Auch die Abtretung von Vorpommern und einem Teil von Hinterpommern an Schweden enthielt, wenn die Abfassung auch nicht so dunkel war wie die das Elsaß betreffenden Artikel, den Keim zu späteren Kriegen in sich, indem eine Brandenburg benachteiligende Festsetzung der Grenze durch Schweden erzwungen war. Nur die allgemeine Friedenssehnsucht verhinderte, daß dieser Punkt schon jetzt den Krieg neu entzündete. Von den anderen Fragen, die die Gesandten beschäftigten, boten namentlich zwei fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Die eine betraf die Entlohnung und Entlassung der Armee. Die Soldaten mit Einschluß der Offiziere waren die einzigen Beteiligten, die das Ende des Krieges im allgemeinen nicht herbeiwünschten. Sie wagten zwar ihr Leben, aber solange sie es erhielten, hatten sie die besten Aussichten. Besonders die Offiziere bereicherten sich durch den Krieg. Die Erhebung der Kontributionen, die Plünderungen, die Auszahlung des Soldes an die Soldaten eröffneten gerade und schiefe Wege zu bedeutendem Gewinn; der gemeine Soldat mußte schon ins Räuberische ausschweifen, um zu prosperieren; aber an Gelegenheit dazu fehlte es nicht. Man konnte nicht wagen, so große Massen unbefriedigt zu entlassen; so entschloß man sich denn, fünf Millionen Gulden zur Entlohnung der Soldaten und Offiziere auszuwerfen. Die deutschen Reichsstände hatten die Summe aufzubringen. Der andere Punkt betraf die Religion.

      Die Gleichberechtigung der drei christlichen Bekenntnisse, des katholischen, lutherischen und calvinischen, war der einzige Gewinn, den dieser auf Kosten Deutschlands geführte Krieg einbrachte. Nicht nur, daß die Alleinherrschaft der römisch-katholischen Kirche im Reich durchbrochen war, die Möglichkeit friedlichen Nebeneinanderlebens von Andersgläubigen war in gewissen Schranken gegeben. Es war eine Bestimmung von ungeheurer Bedeutung: dem von Nicolaus von Cusa ausgesprochenen Gedanken, daß die Gottheit nicht unmittelbar erkannt, daß sie im Spiegel der menschlichen Seele verschieden aufgefangen werde je nach der Beschaffenheit der Seele, wurde zum erstenmal im Abendlande durch öffentliche Einrichtungen Rechnung getragen. Wenn diese beschränkte Religionsfreiheit auch nur den Ständen, nicht den Untertanen zukam, so war man doch auf gewisse Erleichterungen auch für diese bedacht gewesen, wie denn Gottesdienst im Hause oder Besuch etwaigen Gottesdienstes in Nachbarorten den Andersgläubigen gestattet wurde. Sehr unfolgerichtig wollten die protestantischen Fürsten das jus reformandi, das sie selbst ausübten, dem Erzherzog von Österreich nicht zugestehen; die Rechtlosmachung ihrer zahlreichen Glaubensgenossen dort war ihnen so empfindlich, daß zeitweilig ein neuer Ausbruch des Krieges deswegen bevorzustehen schien. Es ist überaus merkwürdig, daß der venezianische Gesandte bei dieser Gelegenheit sagte, der Krieg, der bisher ein politischer gewesen sei, werde jetzt zu einem Religionskrieg werden. So sehr waren die religiösen und die politischen Interessen miteinander verquickt, daß ein Krieg, den wir als das gewaltigste Beispiel eines Religionskrieges zu betrachten gewohnt sind, einem der klügsten zeitgenössischen Beobachter als politischer Krieg gelten konnte. In der Tat, im Reiche waren die Gewinnenden, wenn man von den einzelnen reich gewordenen Offizieren absieht, die Fürsten. Was sie seit Jahrhunderten erstrebt hatten, die vollständige Unabhängigkeit, war erreicht: das Friedensinstrument erklärte sie zu souveränen Landesherren. Das Recht, Bündnisse mit auswärtigen Mächten zu schließen, das sie sich tatsächlich schon genommen hatten, wurde ihnen ausdrücklich, als der Souveränität inhärierend, gewährt; immerhin sollten die Bündnisse nicht gegen Kaiser und Reich gerichtet sein.

      Das Bedürfnis, sich nach unten, also den Ständen gegenüber, ebenso unabhängig zu machen, wie es nach oben gelungen war, betrachteten die Fürsten als ihre nächste Aufgabe. Weitgehend hatte das bereits der Herzog von Bayern, der nunmehrige Kurfürst, erreicht, der im Jahre 1612 den Landtag zum letzten Male versammelte. Den äußersten Gegensatz dazu bildete Schwaben, das von vielen kleinen Reichsstädten durchsetzte, unter kleine Grundbesitzer verteilte Land. Da der schwäbische Adel größtenteils reichsunmittelbar war und die Prälaten keine große Rolle spielten, setzten sich die Stände fast ganz aus Bürgern zusammen; ihnen gelang es, die Magna Charta von 1514, die ihnen bedeutenden Einfluß sicherte, unverkürzt festzuhalten, so daß sich Württemberg in dem kommenden absolutistischen Zeitalter einer Verfassung mit demokratischem Einschlag rühmen konnte. Ebenso wie die Stände in den einzelnen Territorien waren durch den Absolutismus der Fürsten die kleinen Reichsstände bedroht, und dies war der Umstand, dessen sich der Kaiser bedienen konnte, um Einfluß im Reich zu gewinnen, trotzdem ihm so wenig Rechte geblieben waren. Unter Reich im engeren Sinne verstand man jetzt nicht mehr die Einheit der Fürsten gegenüber dem Kaiser, sondern die Einheit der kleineren Reichsstände, die auf der Hut vor den stärkeren häufig ihr Heil im Anschluß an den Kaiser suchten. Zu ihnen gehörten auch die Reichsstädte und die Reichsritterschaft, die diejenigen Fürsten, in deren Gebiet sie saßen, sich untertänig zu machen suchten. Eine rechtmäßige Handhabe, auf den Gang der Ereignisse zu wirken, hatte der Kaiser etwa noch dadurch, daß er fortfuhr, als Quell des Rechtes zu gelten,