Innern seiner Gemächer drang, aber die Domestiken waren daran gewöhnt und achteten nicht darauf. Als nach einer guten halben Stunde jemand in sein Zimmer trat, ging er auf und ab, eine andre Pfeife im Munde und mit den Fingern Bewegungen machend, als ob er Verse skandiere.
Dieser Eintretende war der Hausgeistliche des Gutsherrn, ein starker Mann von mittlerer Größe mit einem vollen und freundlichen Gesicht, das übrigens nichts hatte, was ein Vorurteil für oder wider seinen Besitzer erweckt hätte, wenn nicht allenfalls einen Ausdruck von Wohlwollen und Heiterkeit, der selten in seinem einfachen und ruhigen Leben getrübt sein mochte. Er hatte übrigens eine nicht gar zu angenehme Stellung bei Herrn von Driesch, der in ihm, als einem studierten Manne, fortwährend Teilnahme und Verständnis für seine gelehrten Beschäftigungen voraussetzte und in sein Gespräch allerlei Zitate, Anspielungen und Mitteilungen mischte, die der Vikarius nicht begriff, so daß er einen Bock über den andern schoß. Doch war er ein ziemlich guter Lateiner und half sich damit durch, so gut es gehen wollte; auch wußte er eine Menge »Lepider« Stücklein, wie er sich ausdrückte, zu erzählen. Seine Predigten waren dagegen nicht viel nutz und Herr von Driesch pflegte ihn, weil niemand sie anhören mochte, einen großen Kirchenleerer zu nennen.
»Da sind Kohlen im Komfort,« sagte Herr von Driesch und fuhr in seiner Beschäftigung fort. Der Vikar hatte eine Tabakpfeife mitgebracht, aber aus Respekt beim Eintreten ausgehen lassen, bis ihm der Gutsherr erlauben würde, sie wieder anzuzünden. Er legte nun eine Kohle auf den Meerschaumkopf, rieb diesen mit seinem Aermel glänzend und setzte sich dann. Nachdem er eine Weile das Schachspiel betrachtet, begann er mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln.
»Der gändige Herr haben gewonnen!« sagte er freundlich. Herr von Driesch blieb stehen, sah ihn an, als ob er sich versichern wolle, daß dies kein Spott sei und sagte: »Sieht Er nicht, daß ich dichte?« Er brachte seine und seiner Verse Füße wieder in Bewegung.
Der Vikar strich die Manchesterbeinkleider über seinen Knien glatt, nahm eines der Schachpüppchen und beschaute es, sah dann nach dem Kanarienvogel, der im Bauer an der Wand hing, nun auf das Stilleben ihm gegenüber und versank endlich in die Anschauung des gemalten Affen, der darauf höchst possierlich in einen Apfel biß.
»Die Aepfel sind doch dieses Jahr sehr schlecht geraten,« sagte er nach einer Viertelstunde, seiner Langeweile nicht mehr Meister.
Der Mann der fruchtbringenden Gesellschaft hatte andre Aepfel im Kopfe und antwortete nicht.
»Ew. Gnaden, ich habe eben mit Anton gesprochen; es ist doch in der Tat ganz wunderlich!«
»Dummes Zeug!« sagte Herr von Driesch und skandierte weiter; dann blieb er stehen: »Nun sela! nächstens mehr!« Er wandte sich zu dem Geistlichen: »Was, Herr Vikar, sagt Er, ist denn so wunderlich?« Man sah, die Alexandriner summten ihm noch durch den Kopf.
»Nun, Anton behauptete steif und fest, er hätte es an den mondhellen Fenstern hergleiten sehen, gestern nacht, als er vom Anstande zurückgekommen.«
»Anton ist ein Narr! Habe ich deshalb die Hexe aus dem Hause gejagt, um andre alte Weiber wieder zu bekommen?«
»Ew. Gnaden, Anton hat ein scharfes Gesicht und nicht viel von Einbildungen zu leiden.«
»Er ist selbst ein Narr, Vikarius; ich sag' Ihm ein für allemal, ich will das dumme Geschwätz von meinem Hause nicht mehr wissen.«
»Man kann den Leuten den Mund nicht schließen. Mit dem Hütchen, das ist doch gewiß, Ew. Gnaden.«
»Den Mund nicht schließen? ich will ihn aber dem dummen Volke schließen!« fuhr Herr von Driesch auf; »ich will selbst diese Nacht im Saal aufbleiben, und Gott steh' dem bei, der mir Spukereien darin macht!«
»Ew. Gnaden selbst? ich glaube nicht, daß das Ihr Ernst ist!«
Dieser Zweifel an seinem Mute brachte Herrn v. Driesch vollends außer sich, nachdem ihn der Verlust der Schachpartie und des Vikars Unterbrechungen seiner Alexandriner schon früher hinlänglich gereizt hatten.
»Ei, das glaubt er nicht?« rief er aus; »so will ich nicht Driesch heißen, wenn ich's nicht tue und Ihm zeige, was Courage ist. Schäm' Er sich, Vikar, Er ist eine Memme!«
Herr von Driesch hatte in diesem Augenblicke Mut, mit einer Welt anzubinden, wie vielmehr mit dem kleinen Kobold Hütchen, von dem man sagte, daß seine kleine Gestalt unter einem großen Hute auf Bechenburg ihr Wesen treibe und zwar vorzugsweise in dem großen Saale. Es war ja noch heller Tag; die Abendsonne schien freundlich in das Zimmer, der Kanarienvogel schlug lustig in seinem Käfig, woher hätte jetzt Gespenstergrausen kommen sollen?
Der Vikar aber schüttelte ungläubig den Kopf und, etwas gereizt durch des Gutsherrn Worte, ging er hinaus, um unten im Hause dem Gesinde die staunenswerte Nachricht mitzuteilen, daß der gnädige Herr die Nacht über im Saale aufbleiben wolle.
»Er wird's wohl bleiben lassen!« sagte Anton lakonisch.
»Ich tu's nicht mit,« murmelte Johannes, der eben den Falben wieder in den Stall gebracht hatte.
Als die Abendtafel aufgehoben war, hatte der natürliche Lauf der Dinge längst Finsternis über die Erde gebreitet; dieser Umstand, so gewiß er sich auch hatte voraussehen lassen, veränderte um ein ganz Bedeutendes die Gemütsstimmung des Gutsherrn.
»Herr Vikar,« sagte er, sich mit anscheinender Ruhe die Zähne stochernd, »ich habe vorausgesetzt, daß Er mit mir aufbleibt. Mir wird sonst die Zeit lang.«
»Wie? was? ich mit aufbleiben? Gnäd'ger Herr, wie kommen Ew. Gnaden mir vor?«
»Wir wollen uns vier Flaschen von meinem alten Hochheimer mit hinaufnehmen,« sagte Herr von Driesch trocken; »Johannes, gib Anton mal den Kellerschlüssel.«
»Ew. Gnaden,« wagte Anton sich ins Gespräch zu mischen, »ich wollte, Ew. Gnaden täten es nicht; wenn ich noch daran denke, an gestern nacht, wie's an den Fenstern vorüberging und am mittleren stehen blieb und mich anglotzte – es ist mir so grausig, ich mag nicht allein in den Keller gehen.«
»Anton, halt das Maul! verstehst du mich?« fuhr der Gutsherr auf; »daß der einem noch mehr Furcht machen muß,« murmelte er für sich weiter; »es ist doch diesen Abend finsterer und unheimlicher als sonst! Weiß der Henker, wie's kommt.«
Er blickte nach dem Fenster, hinter dem eine pechfinstere Nacht lag; dann und wann schlug ein Zweig des nächsten Kastanienbaumes daran, in dessen Wipfel vernehmlich ein scharfer Ostwind wühlte. Herr von Driesch faltete die Serviette und stand auf: »Nun, Vikar, gehen wir? – Anton, sind Kerzen und Holzscheite in den Saal geschafft? geh und sieh nach; und die Flaschen! was stehst du noch, Träumer?«
Anton ging. Der Vikar stand, die Hände über der Brust gefaltet, die Augen mit betrübten Blicken bald auf den einen, bald auf den andern der Gesellschaft richtend, als ob er Hilfe suche vor dem Befehl des unerbittlichen Gutsherrn. Er sah aus wie ein geschlagener Mann.
»Er ist eine Memme, Vikar,« sagte Herr von Driesch. Das hatte er schon einmal an diesem Abende gesagt und der Geistliche war gar nicht in der Laune, mit sich Spaß treiben zu lassen Er schlug heftig die Arme auseinander: »Ew. Gnaden, ich bin keine Memme, das sollen Sie sehen; ich gehe.« Er ging aus dem Zimmer und kehrte bald darauf zurück, einen Band seines Breviers unter dem Arm und ein Paar warmer Pantoffeln statt der hohen Klerikalstiefel an den Füßen. Der Gutsherr hatte sich unterdes seinen großblumigen Damastschlafrock anlegen lassen. So ausgestattet, schritten beide Herren, von Anton, der einen Armleuchter trug, begleitet, in das unheimliche Gemach. Der große Saal auf Bechenburg, der in so üblem Rufe stand, war an und für sich so unheimlich nicht. Er war bedeutend länger als breit und so groß, daß man oben und unten nötig gefunden hatte, einen Kamin anzubringen. Der untere war durch eine Tür mit zwei Klappen verschlossen und im oberen brannte ein hellflackerndes Feuer, das hoch genug lohte, aber dennoch nicht imstande war, den ganzen Baum zu erhellen. Lambris liefen an der untern Hälfte der Wände her; der obere Teil war früher ganz mit Estrich belegt gewesen, von dem aber mehrere Stücke abgefallen waren, daß die nackte Mauer hervortrat; den Plafond bildete ein Holzgetäfel, von dem mehrere Schnüre herniederhingen und sich im Zugwinde bewegten, als die Flügeltür geöffnet