viel bei der Herrschaft ist, bei Tische aufwartet oder irgendwo sonst ein Wort aufschnappt.«
»Ich will schon kundschaften,« sagte der Soldat.
»Wenn man dich die Nacht über fern von mir einquartieren will, so leid es nicht; sag', ich wäre gewohnt, dich nachts in meiner Nähe zu haben; hab' auch ein Auge auf die Pistolen und sorg', daß das Pulver auf der Pfanne nicht feucht wird. Laß die Sättel heute nacht auf den Pferden.«
»Befehlen Herr Leutnant!«
»Das wird das alte Kastell sein; es ist wüst, wie es scheint, aber es wird sich schon etwas daraus machen lassen; die Lage ist nicht übel.«
Die Hufe der Pferde schlugen die Planken einer Brücke und gleich darauf das unebene und höckerige Pflaster des Hofes von Diependahl.
Der lange Junker Philipp stand in Hemdärmeln und baute im Scheine der sinkenden Abendsonne mit einem Beile Tannenstämmchen zu Bohnenstangen zurecht; als er die beiden Reiter geradeswegs auf den Hof zukommen sah, sprang er erschrocken in das Herrenhaus.
Der Freiherr von Katterbach, dem wie ein Damoklesschwert ein Urteil der pfälzischen Hofkammer in Untersuchungssachen wegen seiner Angriffe auf den von Driesch überm Haupte schwebte und der nur den Trost hatte, den auch Damokles sich nachgerade gemacht haben mag, daß das Schwert doch immer hing und nie fiel – war die Nachricht, daß zwei bewaffnete Reiter, einem Militärkommando so ähnlich wie ein Ei dem andern, auf seinem Hofe hielten, höchst unangenehm. Er wanderte gerade ruhig durch den Flur, um in ein gegenüberliegendes Zimmer zu gehen, als Philipp durch die offene Haustür hereinsprang, ihn am Aermel faßte und leise zuflüsterte: »Zwei Dragoner, Vetter; da, sie sind schon abgestiegen!« Der Freiherr stieß einen Fluch aus. »Philipp, hol' die Knechte und die Halfner zusammen – denen wollen wir heimleuchten!«
Die beiden Fremden hatten ihre Pferde an ein Gartengitter gebunden und traten über die beiden Stufen, die ins Haus führten. Philipp, der sich nicht in Hemdärmeln mit einem Beile in der Hand überraschen lassen wollte, sprang hinter den geöffneten Flügel der Haustür, während der Hofrat mit untergeschlagenen Armen schweigend dastand, die Runzeln seines Gesichts in eine durchaus nicht gastliche Physiognomie verzog und die Ankommenden erwartete.
Sporen und Säbel klirrten auf der Flur; der Leutnant machte einen militärischen Gruß und verlangte den Hofrat Freiherrn von Katterbach zu sprechen.
»Der bin ich; was will Er?«
Der Offizier stotterte; sein Kopf machte einige schwankende Bewegungen, unmerklich, aber doch bezeichnend bei Leuten, die ihrer selbst, des Eindrucks, den ihre Worte machen oder ihrer Sache nicht sicher sind, und blickte etwas scheu bald den Hofrat, bald die Wände an.
»Kommt Er von Düsseldorf?« sagte dieser.
»Von Düsseldorf? nein; ich habe in eignen Angelegenheiten mit Ihnen – mit Ihm –« korrigierte er sich, um nicht höflicher zu sein als der Hausherr, »ein Geschäft abzumachen.«
»Treten Sie hier herein,« versetzte Katterbach freundlicher und führte den Fremden in ein Zimmer.
Philipp lauschte hinter der Tür; der Soldat, der gleich beim Eintreten sein Kundschafteramt auszuüben begonnen hatte, bemerkte ihn.
»Ein Kerl in Hemdärmeln mit einem blanken Beile hinter der Tür!« murmelte er, »den muß ich aufs Korn nehmen.« Er fing an, wie eine Schildwacht in der Flur auf und ab zu gehen.
Philipp wollte abwarten, bis der Fremde sich fortbegebe. Endlich ward es ihm zu lange; drüben im Zimmer hörte er einen lauten Wortwechsel sich erheben. Er trat hervor.
»Heda, guter Freund, was wollt' Er da hinter der Tür?« sagte Peter und trat ihm in den Weg.
»Hat Er hier zu fragen?«
»Ganz ohne Frage!«
»Pack' Er sich aus dem Wege! Was will Er hier, was hat Er hier zu tun? da ist die Tür.«
»Sieh einer den Jüngling an,« versetzte der Soldat, »will mir die Tür zeigen! Nein, mach Er, daß Er fort kommt, es wird Zeit für Ihn. Er kann seiner Wege gehen, lange Entenflinte, und jetzt werf' Er das Beil fort!«
Ein heftiger Stoß vor die Brust und eine Maulschelle waren Philipps Antwort für den Unverschämten; dann sprang er mit einem Satze aus dem Bereiche seiner Arme und in das Zimmer, worin er die Streitenden hörte. Als Philipp eintrat, wurden beide stumm; der Hofrat sah ihn an mit einem Gesicht, vor dem selbst Philipp, der ihrer mehrere kannte, erschrak, so daß er augenblicklich Folge leistete, als Katterbach ihm zurief: »Laß uns allein, Philipp!«
Der Junker warf nun erst einen Blick auf den Leutnant, der stocksteif, das Kinn in seine Halsbinde zurückzwängend, in militärischer Haltung dastand; dann sprang er, weil er keine Lust hatte, wieder an Peter vorüberzugehen, durch das Fenster in den Hof.
Die beiden drinnen mußten sehr ernsthafte Angelegenheiten zu verhandeln haben. Philipp blickte, als er draußen stand, durch das Fenster zurück; der Leutnant schien gar kein Auge für ihn gehabt zu haben, und es war doch gewiß auffallend, daß ein Mensch ohne Rock, mit einem Beile bewaffnet, in ein Empfangszimmer stürzt und gleich darauf durchs Fenster wieder hinausspringt, statt durch die Tür zurückzugehen. Der Junker konnte gar nicht, begreifen, was im Werke sei. Den Hofrat sah er aufstehen und das Fenster schließen; dann, wie er gestikulierend im Zimmer auf und ab ging und der Fremde es sich in einem Lehnsessel bequem machte; das war alles, was er erspähen konnte.
Als Philipp, zur Abendtafel gerufen, in das Speisezimmer trat, sah er den Offizier neben seiner Braut am Tische sitzen. Der Hofrat blickte düster und schweigsam in seine Suppe, Josina war unbefangen und trug die Kosten der Unterhaltung; im Wesen des Fremden zeigte sich eine gesuchte Leichtigkeit und Sicherheit, die ihm etwas Gezwungenes gab; er sprach anfangs wenig, gegen das Ende der Mahlzeit mehr, denn er schien nach und nach Gefallen an seiner Nachbarin zu finden; ihre kleinen Koketterien mußten ihn anziehen und ihre großartige Naivität entzückte ihn endlich so, daß er häufig in ein lautes Gelächter ausbrach. Philipp fand desto weniger Behagen daran; er maß den Fremden mit sehr unfreundlichen Blicken, ließ diese dann auf seine Braut übergleiten und trat ihr endlich ein- oder zweimal nachdrücklich auf den Fuß, wobei er sich heftig räusperte.
Josina merkte es nicht.
Die Tafel war aufgehoben, Herr von Katterbach ließ dem Offizier ein Schlafzimmer anweisen, auch die Dame zog sich zurück, und Philipp platzte nun heraus: »Wer alle Teufel, ist der Mensch und was will er, Vetter? ich habe die größte Lust, ihn beim Kragen zu fassen und die Treppe hinunterzuwerfen!«
»Um Gottes willen, plag' du mich auch heute noch!« versetzte Herr von Katterbach, legte die Hände auf den Rücken und schritt im Zimmer auf und ab. Nach einer Weile nahm er ein Licht und ging zur Tür hinaus. Philipp war wieder allein – allein mit seinem Rätsel.
Die Freiin Josina hatte ihr Nachthäubchen aufgesetzt und wollte sich gerade niederlegen, als an die Tür ihrer Schlafkammer gepocht wurde.
»Wer ist da?« rief sie erschrocken, warf einen Pudermantel um und faßte den Riegel der Tür.
»Ma soeur!« versetzte es heftig und rauh; »mach auf!«
»Bist du's? was willst du noch?« sie öffnete; »was gibt's, alter Bär?«
Der Hofrat trat ein, stellte sein Licht auf die Kommode unter dem Spiegel, warf sich in einen Armsessel und fing heftig an zu weinen.
Josina hatte das nie und wahrscheinlich auch kein andrer Sterblicher je gesehen; desto mehr schnitt ihr der Anblick durchs Herz, und wie roh der Ton auch war, in dem die beiden Geschwister sonst zu verkehren pflegten, so erwachte doch in ihrer Brust, was in der jedes weiblichen Wesens lebendig bleibt, so sehr es das Alltagsleben zurückgedrängt haben mag, die Zärtlichkeit für den Bruder. Sie hätte sich gern an seinen Hals geworfen, um dem ersten Drange ihrer wiedererwachenden Liebe zu folgen, aber beide waren solcher Liebkosungen seit Jahren zu entwöhnt, als daß sie es wagte. Sie stand vor ihm, die Hände ineinander schlagend, vor Schrecken erbleichend und rief: »Mon frère, mon frère, was ist dir, was fehlt dir?«
»Josina,«