war ein Heroismus gekommen, der aus seiner gläubigen Religiosität entsprang; er glaubte, es sei seine Pflicht, hier standzuhalten und das Gefühl, daß man im Begriffe steht, eine schwere Pflicht zu erfüllen, gibt Mut. Herr von Driesch dachte ganz anders; er wußte, was es heißt, nächtliche Abenteuer bestehen; aber der Vikar hielt ihn eisenfest am Arm.
»Sie stehen mir bei, Ew. Gnaden,« sagte er entschieden. »Ganz still! Gehen wir und öffnen den Kamin!«
»0 laß Er, laß Er mich los; Er hat gut reden, Er ist geistlich, Ihm wird's nichts anhaben!«
»Ich will mich vor den Kamin stellen und den Exorzismus lesen; wenn's Zeit ist, ruf ich ›los!‹ und Sie ziehen dann die beiden Flügel voneinander, daß ich dem Spuk ins Angesicht meine Sprüche und Beschwörung mache.«
»Ich? um Gottes willen, wo denkt Er hin?!«
»Da steht ein Nußhaken in der Ecke,« sagte der Vikar; »nehmen Sie den und ziehen damit die Klappen voneinander.«
Der Geistliche ging und holte die lange Stange aus dem Winkel hervor, an deren oberem Ende eine kleine Sichel befestigt war; dann faßte er den Gutsherrn wieder am Arme und halb gezwungen mußte dieser ihm bis in die Nähe des untern Kamins folgen. An den hölzernen Klappen, welche die Feuerstätte schlossen wie eine kleine Flügeltür, befand sich an jeder ein Ring, mit dem man sie aufziehen konnte; in einen derselben häkelte nun der Vikar die gekrümmte Spitze der Stange und gab deren andres Ende dem zitternden Driesch in die Hand: »So, nun geben Sie acht!«
»Aber wo soll ich nun bleiben?« sagte Herr von Driesch; »wenn ich die Klappe ziehe, fährt es auf mich zu und –«
»Stellen Ew. Gnaden sich hinter mich.«
Herr von Driesch hatte es schon getan.
»Schöne Sicherheit,« sagte er, »ich muß mich ja zur Seite beugen, um die Stange zu halten. Warte Er, Vikar; so, trete Er mit dem linken Fuß über die Stange.«
Der Gutsherr kniete nieder und hielt die Stange zwischen den Beinen des Vikars durch.
»Ich fange an,« flüsterte dieser und zog den Zettel mit dem Exorzismus aus der Tasche.
»Wart', stell' Er die Beine näher zusammen, näher, näher!«
Der Geistliche tat es und begann die lateinischen Beschwörungsformeln abzulesen, die er in beiden erhobenen Händen hielt; – dann rief er mit gefaßter Stimme: »Los!«
Herr von Driesch zuckte, und die eine der beiden Klappen flog auf. Der Vikar stand fest wie ein mutiger Streiter; Herr von Driesch hatte sich zurückgeworfen und lag, die Arme hinter sich auf den Boden stemmend, das Haar gesträubt und die Augen vorquellend, regungslos da.
In dem Kamin war etwas Lebendiges; es bewegte, es bückte sich – es kroch heraus – es war ein schwarzer Riese – der Gottseibeiuns – nein, es war nur ein großgewachsener, wie es schien, alter Mann, denn er hatte einen starken grauen Bart; seine Kleidung war ein langer, bis auf den Boden reichender weißer Mantel; der Kopf war unbedeckt. – So stand die Erscheinung da, Auge in Auge dem Geistlichen gegenüber, den sie mit durchbohrenden Blicken ansah. Der Vikarius ließ aus Schrecken das Blatt mit dem Exorzismus fallen und der Gutsherr stieß hinter ihm eine Reihe gurgelnder Jammertöne aus. Die Gestalt zog ein Messer unter dem Mantel hervor, tat zwei Schritte vorwärts – der Geistliche taumelte zurück – Herrn von Driesch war jetzt Hören und Sehen vergangen – nun trat der Fremde zur Seite, ging langsam in den Winkel, den die vorspringende Mauer des Kamins bildete, und stach hier die Spitze seines Messers in eine der Füllungen der Lambris. Die Füllung schob sich zurück – es war eine Mauerhöhlung dahinter – die Gestalt nahm ein kleines Paket, das in Papier eingewickelt war, heraus und steckte es sorgfältig in ihren Busen. Dann kam sie zurück, schritt ruhig durch den Saal der obern Tür zu, nahm im Vorbeigehen einen der brennenden Leuchter von dem Tische und ging hinaus. Draußen hörte man die Schritte über den Gang, dann nichts mehr; dann wieder das Aufmachen von Türen – draußen ward ein heftiges Hundegebell laut –- endlich alles wieder still.
»Gott steh' uns bei,« atmete der Vikar auf; »das wäre uns beinahe übel bekommen!«
»Mein Gott, mein Gott, was war das?« stöhnte Herr von Driesch.
Der Vikar half dem gnädigen Herrn wieder auf die Beine.
»Was das war, weiß der Himmel. Kommen Ew. Gnaden, wir haben für diese Nacht genug gesehen. Wir wollen zu Bette gehen und dem lieben Gott das übrige anheimstellen. Von dieser Welt war es nicht.«
Zu Bette gehen! das ließ sich leichter sagen als ausführen. Das Gehen war Herrn von Driesch vergangen; seine Knie schlotterten, der Vikar mußte ihn aufrecht halten und halb in seine Schlafkammer tragen, wo der Geistliche sich aufs Sofa warf, denn für nichts in der Welt wäre der Gutsherr den Rest der Nacht hindurch allein geblieben. Beide brachten ihn zu, sich ihre gegenseitigen Ansichten und Vermutungen über die Sache mitzuteilen und auch den Beschluß festzustellen, niemand fürs erste etwas von dem Abenteuer zu sagen.
Den Leuchter, den die Gestalt von dem Tische fortgenommen hatte, fand man am andern Morgen auf dem Hofe liegen. Auch die Füllung in den Lambris zeigte sich noch geöffnet; es war ein Wandschrank dahinter angebracht, von dem Herr von Driesch früher nichts gewußt hatte. In dem Holze war auch der Messerstich zu sehen, den die Gestalt gemacht hatte; in dem Schranke selbst aber fand sich nichts als ein paar alte Lappen, ein leerer Latwergentopf und das verrostete Radschloß einer Flinte, wie man sie in alten Zeiten gebrauchte.
Zweites Kapitel
Der Frühling war ins Land gekommen, auf jene unmerkliche und durchaus nicht angenehme Art, wie er sich in Westfalen ankündigt, wo das im ganzen milde Klima des Winters bis tief in die Sommermonate hinein herrschend bleibt. Schnee, der gleich wieder zerschmolz, warmer Sonnenschein am Mittage, eine naßkalte Luft am Abend und Morgen machten die Tage unangenehm und der Wind, der bald aus dieser, bald aus jener Ecke wehte, ließ fürs erste keine günstige Aenderung hoffen.
Es war an einem Nachmittage, der sich durch seine Freundlichkeit vor vielen jüngst vergangenen auszeichnete, als ein Reiter, von einem Bedienten gefolgt, des Weges zog, der aus dem Innern des Landes nach dem Rheine und seitwärts ab nach dem Herrenhause von Diependahl führte. Der Reisende schien einen langen Weg zurückgelegt zu haben, denn sein Tier war nicht allein, ebenso wie er selbst, stark von Kot bespritzt, sondern schritt auch matt und müde voran, ohne durch die Sporen seines Herrn viel aufgeregter zu werden. Dieser war eine sehr kräftige und sehr hohe Figur, mit gebräunten aber nicht unschönen Zügen, obwohl sie vor Wetter und Wind wenig geschont und etwas abgespannt schienen. Auch lag eine starke Narbe über die linke Wange, halb bedeckt von dem schwarzgefärbten und gesteiften Schnurrbart, der rechts und links, an den Enden wie eine Nadel spitz gedreht, weiter als die Breite des Gesichts vorragte. Der Reiter trug einen hellblauen Uniformrock mit orangegelben Aufschlägen, an dessen Tressen Kundige erkannt hätten, daß sein Inhaber den Grad eines Leutnants in der ***schen Armee bekleidete; außerdem einen dreieckigen Hut, unter dem ein langer und zierlich geflochtener Zopf über den Rücken niederhing, während über dem National ein kleiner Federbusch nickte. Beinkleider von weißem Hirschleder und hohe Reiterstiefel vollendeten den Anzug; außerdem war der Fremde bewaffnet und führte einen schweren Mantelsack hinten auf dem Sattelkissen. Auch der Bediente stak in der steifen und unzweckmäßigen Uniform, in der die Helden jener guten alten Zeit ihre eingeschnürte Figur zur Schau trugen; meist lang aufgeschossene Burschen, einer gerade wie der andre, bildeten sie die verkörperten Alexandriner des Kriegstheaters, während die Damen jener Tage in den runden Fischbeingestellen ihrer Vertugadins das Rondeau vorstellten, dessen zierliches und galantes Lächeln, versetzt mit einem Anhauch von anmutiger Neckerei, auf ihren Lippen schwebte.
»Peter,« sagte der Offizier, sich auf seinem Pferde zurückwendend, »komm einmal heran!«
Der Soldat stachelte seinen Gaul vor: »Befehlen Herr Leutnant!«
»Hör' Bursche, wir wissen nicht, zu welchen