Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


Скачать книгу

schönen Frauen zu beschwören und vor allem keine Scala, die göttliche Scala mit ihren Opern Cimarosas, mit den sublimen Sängerinnen. Dort, und nicht in einem Zelt irgendwo in einem oberitalienischen Sumpfnest, schlägt Henri Beyle sein eigentliches Hauptquartier auf. Immer ist er der erste am Abend, wenn die Logen in den fünf Stockwerken der Scala sich allmählich erleuchten, die Damen eintreten »più che seminuda«, mehr als halbnackt unter der leichten Seide, und sich Uniformen glitzernd über ihre blanken Schultern beugen. Ach, wie sie schön sind, die italienischen Frauen, wie heiter und gefällig und wie beglückt sie es genießen, daß Bonaparte fünfzigtausend junge Burschen nach Italien gebracht hat zum Schmerz und zur Entlastung der Mailänder Ehemänner!

      Aber leider, noch immer hat keine von ihnen allen daran gedacht, unter diesen fünfzigtausend sich Henri Beyle aus Grenoble zu erwählen. Wie sollten sie es auch wissen, die üppige Angela Pietragrua, die rundliche Tuchhändlerstochter, die gern ihre weiße Büste vor den Gästen enthüllt und ihre Lippen an den Schnurrbärten der Offiziere wärmt, daß dieser kleine Rundkopf mit den funkelnden und eng gekniffenen schwarzen Augen – »il Cinese«, den Chineser nennt sie ihn spaßhaft und ein wenig gleichgültig – in sie verliebt ist, daß er von ihr, der doch gar nicht Hartherzigen, Tag und Nacht wie von einem unerreichbaren Idol träumt und sie, die dickliche Bürgergesponsin, durch seine romantische Liebe einmal unsterblich machen wird? Freilich, er kommt jeden Abend Pharao spielen mit den andern Offizieren, sitzt stumm und scheu in der Ecke und erblaßt, wenn sie zu ihm spricht. Aber hat er jemals ihre Hand gedrückt, leise das Knie an das ihre geschoben oder ihr jemals einen Brief geschrieben oder ein »mi piace« geflüstert? Andere Deutlichkeiten gewöhnt von französischen Dragoneroffizieren, beachtet die vollbusige Angela den kleinen Unteroffizier kaum, und so versäumt der Ungeschickte ihre Gunst, ohne zu ahnen, wie gern und willig sie ihre Liebe jedem Begehrlichen zuteilt. Denn trotz seinem großen Pallasch, seinen Stulpenstiefeln ist Henri Beyle noch immer so schüchtern wie in Paris und der timide Don Juan noch immer jungfräulich. Jeden Abend nimmt er sich vor, den großen Sturm zu wagen, er schreibt sich sorgfältig in sein Notizbuch die Lehren älterer Kameraden, wie man handgreiflich die Tugend einer Frau überwindet, aber kaum in der Nähe der geliebten, göttlichen Angela, wird der theoretische Casanova sofort kopfscheu, verwirrt sich und errötet wie ein Mädchen. Um ein ganzer Mann zu werden, beschließt er, endlich seine Jungfräulichkeit zu opfern. Irgendeine Mailänder Professionelle (»Ich habe ganz vergessen, wer und wie sie war«, schreibt er später in seine Aufzeichnungen) bietet sich ihm als Altar, aber leider erwidert sie seine Erstlingsgabe mit einer bedeutend unedleren, sie gibt dem Franzosen die Krankheit zurück, die angeblich die Leute des Connétable von Bourbon nach Italien gebracht und die seitdem die französische heißt. Und so opfert der Diener des Mars, der den linden Dienst der Venus suchte, noch jahrelang dem strengen Gotte Merkur.

      1803, Paris. Wieder in einer Mansarde des fünften Stockes, wieder in Zivil. Der Säbel ist fort, die Sporen und Schnüre, das Leutnantspatent in die Ecke geschmissen. Er hat genug bekommen vom Soldatenspielen, genug zum Erbrechen – »J’en suis soûl.« Kaum daß die Narren ihm zumuteten, ernstlich Garnisondienst zu machen in schmierigen Dörfern, sein Pferd zu striegeln und Gehorsam zu leisten, hat Henri Beyle Reißaus genommen. Nein, Gehorsam zu leisten ist nicht dieses Eigenwilligen Sache, sein höchstes Glück, »niemandem zu befehlen und niemandes Untergebener zu sein«. So hat er dem Minister ein Brieflein geschrieben mit seiner Demission und gleichzeitig eins an den strenggeizigen Vater, er möchte mit etwas Geld herausrücken, und der Vater, den Henri in seinen Büchern auf das saftigste verleumdet hat (und der seinen Sohn wahrscheinlich in derselben ungeschickten und verhaltenen Weise liebt wie jener die Frauen), der »father«, der »bâtard«, wie ihn Henri in seinen Aufzeichnungen immer höhnisch nennt, sendet wirklich allmonatlich Geld. Nicht viel allerdings, aber doch genug, daß man sich einen leidlichen Anzug machen lassen kann, pompöse Krawatten kaufen und weißes Schreibpapier, um darauf Komödien zu dichten. Denn neuer Entschluß: Henri Beyle will nicht mehr Mathematik studieren, sondern dramatischer Dichter werden.

      Zunächst tut er dies in der Weise, daß er häufig in die Comédie Française geht, um bei Corneille und Molière zu lernen. Dann zweite Erfahrung, sehr wichtig für einen zukünftigen Dramatiker: man muß Kenntnis der Frauen gewinnen, man muß lieben, geliebt werden, eine »belle âme«, eine schöne Seele, eine »âme aimante« finden. Er macht also der kleinen Adèle Rebouffet den Hof und genießt die romantische Lust des unglücklichen Liebhabers bis zur Neige; glücklicherweise tröstet ihn die üppige Mutter (wie er im Tagebuch notiert) einige Male in der Woche auf irdische Weise. Das ist amüsant und lehrreich, aber immerhin noch nicht die rechte, die schwärmerische, die große Liebe. So sucht er unentwegt das erhabene Idol. Schließlich fesselt Louason, eine kleine Schauspielerin an der Comédie Française, seine immer brodelnde Leidenschaft und duldet seine Huldigungen, ohne zunächst mehr zu erlauben. Aber nie liebt Henri besser, als wenn eine Frau sich ihm verweigert, denn er liebt nur das Unerreichbare, und bald steht der Zwanzigjährige in Flammen.

      1803, Marseille. Überraschende Verwandlung, unglaublich fast.

      Ist das wirklich Henri Beyle, Exleutnant der Napoleonischen Armee, Pariser Dandy und gestern noch Dichter? Ist er das wirklich, dieser schwarz beschürzte Kommis in dem engen Erdgeschoß der Firma Meunier & Cie, Kolonialwaren en gros & en détail, der da auf dem Schreibbock sitzt in dieser schmuddeligen Gasse links am Hafen von Marseille, in diesem dumpf nach Öl und Feigen riechenden Gewölbe? Ist es wirklich die sublime Seele, die gestern noch in Versen die erhabensten Gefühle reimte, die da heute Rosinen und Kaffee, Zucker und Mehl verschleißt, Mahnungen an die Kunden schreibt, auf Zollämtern mit den Beamten schachert? Jawohl, er ist es, der Rundkopf, der Hartkopf. Hat sich Tristan als Bettler verkleidet, um der geliebten Isolde zu nahen, und haben Königstöchter das Pagenkleid angetan, nur um dem trauten Ritter in den Kreuzzug zu folgen – er, Henri Beyle, hat Heroischeres vollbracht, er ist Kommis geworden in einem Kolonialwarengeschäft, Bäckergehilfe und Ladenschwengel, um seine Louason zu begleiten, die hier ans Theater in Marseille engagiert ist. Was tut es, tagsüber sich mit Zucker und Mehl die Finger zu stauben, wenn man abends eine Schauspielerin aus dem Theater abholen und als Geliebte ins Bett führen kann?

      Herrliche Zeit, herrliche Erfüllung! Aber leider wird einem Romantiker nichts gefährlicher, als seinen Idealen allzu nahe zu kommen. Man entdeckt dann, daß Marseille, die erträumte Südstadt, eigentlich genauso provinzlerisch ist unter den lärmenden Gesten der Meridionalen wie Grenoble und seine Straßen so stinkig und schmutzig wie jene von Paris. Und selbst, wenn man mit der Göttin seines Herzens lebt, kann man die enttäuschende Erfahrung machen, daß diese Göttin zwar noch immer schön, aber herzlich dumm ist, und man wird anfangen, sich zu langweilen. Schließlich wird man sogar froh sein, wenn eines Tages der Göttin am Theater gekündigt wird und sie als Wolke nach Paris entschwebt: man wird von einer Illusion geheilt sein, um sich unermüdlich morgen die nächste zu suchen.

      1806, Braunschweig. Abermaliger Kostümwechsel.

      Wiederum Uniform, aber nicht mehr das grobe Kommiß des »sousoff«, das nur Ansehen findet bei Marketenderinnen und Nähmamsellen. Jetzt sausen die Hüte der deutschen Honoratioren respektvoll von den Köpfen, wenn der Intendant-Stellvertreter der Großen Armee, Monsieur l’intendant Henri Beyle, mit Herrn von Strombeck oder irgendeinem andern illustren Vertreter der Braunschweiger Gesellschaft durch die Straßen schreitet. Aber nein, es ist ja nicht mehr Henri Beyle, man beliebe, eine kleine Korrektur zu machen: seit er in Deutschland ist und in so würdiger Stellung, unterzeichnet er: Herr von Beyle, »Henri de Beyle«. Zwar hat ihm Napoleon nicht den Adel verliehen, nicht einmal eine kleine Ehrenlegion oder sonstigen Knopflochschmuck; aber Henri Beyle, ein geschwinder Beobachter, merkt, daß die braven Deutschen auf Titel fliegen wie Finken auf den Leim; und man will doch nicht in der adeligen Gesellschaft, wo einen allerhand hübsche und appetitliche Blondinen zum Tanz locken, als banaler Bürger gelten: zwei solche Buchstaben aus dem Alphabet zaubern zur pompösen Uniform noch einen besonderen Nimbus.

      Peinliche Missionen sind eigentlich Herrn Beyle zugedacht. Er soll noch sieben Millionen Kriegskontributionen aus dem weidlich geplünderten Sprengel herauskratzen, Ordnung halten und organisieren; er tut es anscheinend geschickt und geschwind mit der linken Hand, die rechte aber hält er sich frei, um Billard zu spielen und das Jagdgewehr einzuschießen, und für noch zartere Vergnügung. Denn auch in Deutschland gibt es angenehme