Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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gleich in Musik, um sich zu erfrischen. So wird für Henri Beyle der russische Feldzug, die Vernichtung der Großen Armee, nicht viel mehr als ein Intermezzo zwischen zwei Abenden, der »Clemenzia di Tito« in Königsberg bei der Rückkehr und dem »Matrimonio secreto« in Dresden, bei dem Auszug ins Feld.

      1814 bis 1821, Mailand. Wiederum Zivil, Henri Beyle hat genug, endgültig genug vom Krieg. Eine Schlacht sieht von der Nähe aus wie die andere, man sieht in jeder dasselbe, »nämlich nichts«. Er hat genug von allen Aufgaben und Ämtern, von Vaterländern und Schlächtereien, von Papieren und Offizieren. Mag Napoleon in seiner »Courromanie« seiner wütigen Kriegskrankheit, noch einmal Frankreich erobern: gut, er tue so, aber ohne den Sukkurs fortan des Herrn Auditor Beyle, der nichts anderes mehr will als keinem befehlen und keinem gehorchen, der nichts begehrt als das Natürlichste und doch Allerschwerste: endlich, endlich sein eigenes Leben zu führen.

      Schon vor drei Jahren, zwischen zweien der üblichen Napoleonskriege, zweitausend Franken in der Tasche, war er, selig und froh wie ein Kind, zum Urlaub hinabgesaust nach Italien: schon hat jenes Heimweh nach seiner eigenen Jugend begonnen, das den alternden Beyle bis zur letzten Stunde nie mehr verläßt – und seine Jugend heißt Italien: Italien und Angela Pietragrua, die er timid und scheu als kleiner Unteroffizier geliebt und an die er nun mit einmal unbezwinglich denken muß, seit die Kutsche die alten Pässe niederrollt. Abends kommt er an in Mailand. Rasch den Staub von Gesicht und Hand, andere Kleider über und hin in die Heimat des Herzens, in die Scala, Musik zu hören. Und wirklich, nach seinem eigenen Wort: »Musik erweckt die Liebe.«

      Am nächsten Morgen schon eilt er zu ihr, läßt sich melden, sie erscheint, noch immer schön, begrüßt ihn höflich, aber fremd. Er stellt sich vor: Henri Beyle, der Name sagt ihr nichts. Nun beginnt er zu erinnern, an Joinville und die andern Kameraden. Endlich erhellt sich das geliebte, tausendmal geträumte Gesicht zu einem Lächeln. »Ah, ah, Ella è il cinese« (»Ach, Sie sind der Chineser«) – der verächtliche Spitzname ist alles, was Angela Pietragrua von ihrem romantischen Liebhaber noch weiß. Allerdings, nun ist Henri Beyle nicht siebzehn und kein Brackenburg mehr: kühn und gierig gesteht er seine Leidenschaft von damals und heute. Sie erstaunt: »Ja, warum haben Sie mir das nicht gesagt?« Sie hätte ihm doch gern die Kleinigkeit gewährt, die einer großmütigen Frau so wenig kostet, aber glücklicherweise bleibt dazu noch Zeit, und bald kann der Romantiker, elf Jahre zu spät freilich, in seine Hosenträger das Datum jenes Liebessiegs über Angela Pietragrua, 21. September, halb zwölf Uhr mittags, einsticken lassen.

      Dann aber haben sie ihn noch einmal nach Paris zurückgetrommelt. Noch einmal, zum letztenmal, 1814, muß er für diesen kriegswütigen Korsen Provinzen verwalten, das Vaterland verteidigen, aber glücklicherweise – ja glücklicherweise, denn der schlechte Franzose Henri Beyle ist todfroh, daß die Kriegsführerei, und sei es auch mit einer Niederlage, glücklich ein Ende hat – rücken die drei Kaiser in Paris ein. Jetzt kann er endlich und endgültig nach Italien fahren, für immer frei von jedem Amt und Vaterland. Herrliche Jahre, einzig der Musik hingegeben, den Frauen, dem Gespräch, dem Schreiben, der Kunst. Jahre mit Geliebten, freilich mit solchen, die einen schändlich betrügen, wie die allzu freigebige Angela, oder aus Keuschheit ablehnen, wie die schöne Mathilde. Aber doch Jahre, in denen man immer mehr sein eigenes Selbst fühlt und erkennt, an jedem Abend in der Scala sich die Seele neu in Musik reinbadet, manchmal ein Gespräch genießt mit dem edelsten Dichter der Zeit, Herrn von Byron, und von Neapel bis Ravenna alle Schönheit des Landes, allen Reichtum der kunstgeistig Gebildeten, in sich einsammeln kann. Niemand hörig, niemand im Wege, sein eigener Herr und bald sein eigener Meister: unvergleichliche Jahre der Freiheit! »Evviva la Libertà!«

      1821, Paris. Evviva la Libertà? Nein, es tut nicht mehr gut, in Italien von der Freiheit zu reden, die österreichischen Herren und Behörden verschnupfen sich gefährlich bei diesem Wort. Man soll auch keine Bücher schreiben, denn selbst, wenn sie blank plagiiert sind, wie die »Briefe über Haydn«, oder zu drei Vierteln andern Autoren abgeschrieben, wie die »Geschichte der italienischen Malerei« und »Rom, Florenz, Neapel«, so streut man doch, ohne es zu wissen, zwischen die Blätter allerhand Salz und Pfeffer, die die österreichische Obrigkeit in der Nase kitzeln, und bald wird der gestrenge Zensurbeamte Wabruschek (man könnte keinen schöneren Namen erfinden, aber so heißt er wirklich, weiß Gott!) dem Polizeiminister Sedlnitzky in Wien »unzählige tadelnswerte Stellen« darin reportieren. Derart kommt man, Freigeist und Freizügler, leicht in Gefahr, von den Österreichern für einen Karbonaro genommen zu werden, von den Italienern für einen Spion – also besser, man macht sich, wieder um eine Illusion ärmer, auf die Sohlen. Und ferner: für Freiheit ist noch eines nötig, nämlich Geld und dieser Bastard von Vater (Beyle tituliert ihn selten höflicher) hat jetzt endgültig erwiesen, was für ein dummer Narr er gewesen, indem er nicht einmal ein kleines, bescheidenes Rentchen seinem Rabensohn hinterließ. Wohin also? In Grenoble erstickt man, mit den schönen, bequemen Spazierfahrten im Kriegsnachtrab ist es leider vorbei, seit die bourbonischen Birnenköpfe feist und faul auf den Münzen kleben. Also zurück nach Paris, zurück in die Mansarde und nun zur Arbeit gemacht, was bisher bloß Vergnügen und dilettierendes Behagen war: Bücherschreiben, Bücher, Bücher.

      1828, Paris. Salon bei Madame de Tracy, Gattin des Philosophen.

      Mitternacht. Die Kerzen fast niedergebrannt. Die Herren spielen Whist, Madame de Tracy, eine ältere Dame, plaudert auf dem Sofa mit einer Marquise und ihrer Freundin. Aber sie hört nicht recht hinein ins Gespräch, immer wieder spitzt sie unruhig das Ohr. Von dort rückwärts, aus dem andern Zimmer beim Kamin, kommt allerhand verdächtiges Geräusch, ein scharfes Frauenlachen und das sonor dunkle Grölen eines Herren, dann wieder empörte Ausrufe »Mais non, c’est trop«, dann wieder ausbrechend und rasch zurückgerissen dieses eigentümliche Gelächter. Madame de Tracy wird nervös: das ist gewiß wieder der abscheuliche Beyle, der den Damen Pfeffer serviert. Ein kluger, feinfühliger Mensch doch sonst, extravagant und amüsant, aber der Umgang mit Schauspielerinnen, mit dieser italienischen Madame Pasta vor allem, hat ihm die Manieren verdorben. Sie entschuldigt sich und trippelt hastig hinüber, etwas Anstand zu gebieten. Richtig, da steht er, ganz in den Schatten des Kamins geduckt, wohl um das Embonpoint zu verbergen, ein Glas Punsch in der Hand, und funkelt Anekdoten, bei denen ein Musketier erröten würde. Die Damen scheinen fluchtbereit, sie lachen und protestieren, bleiben aber doch, von dem famosen Erzähler gefaßt, immer wieder neugierig und angeregt zurück. Wie ein Silen sieht er aus, rot und feist, mit glitzernden Augen, gutmütig und klug; jetzt, da Madame de Tracy naht, bricht er hastig ab unter ihrem strengen Blick, und die Damen nutzen die gute Gelegenheit, lachend Reißaus zu nehmen.

      Bald verlöschen die Lichter, die Diener geleiten mit tropfenden Kronleuchtern die Gäste die Treppe hinab: drei, vier Wagen warten, die Damen steigen ein mit ihren Männern, Beyle bleibt allein und mißmutig zurück. Keine nimmt ihn mit, keine lädt ihn ein. Zum Anekdotenerzählen ist er noch, gut genug, sonst gilt er nichts mehr bei den Frauen. Die Gräfin Curial hat ihm den Laufpaß gegeben; eine Tänzerin zu halten wie einst, mangelt das Geld: man wird langsam alt. Mißmutig trottet er durch den Novemberregen seiner Hausung in der Rue Richelieu zu; was tut’s, wenn die Kleider beschmutzt werden, noch ist der Schneider nicht bezahlt. Überhaupt, er seufzt tief, das Beste im Leben ist vorbei, man sollte eigentlich ein Ende machen. Unwirsch klettert er (auch das Atmen wird jetzt schon seinem Kurzhals manchmal schwer) die Treppe hinauf ins oberste Stockwerk, zündet das Licht an, blättert in Papieren und Rechnungen. Triste Bilanz! Aufgezehrt das Vermögen, die Bücher tragen nichts, von »Amour« sind jetzt nach Jahren glatt siebenundzwanzig Exemplare verkauft (»Man möchte es ein heiliges Buch nennen, weil kein Mensch daran zu rühren wagt«, hatte ihm gestern sein Verleger zynisch gesagt). So bleiben fünf Franken Rente am Tag, vielleicht viel für einen hübschen frischen Jungen, aber erbärmlich wenig für einen dickleibigen älteren Herrn, der die Frauen und die Freiheit liebt. Am besten, man machte Schluß. Henri Beyle nimmt einen Foliobogen und schreibt zum viertenmal in diesem melancholischen Monat sein Testament: »Ich Unterzeichneter vermache meinem Vetter Romain Colomb, was ich in meinem Hotel, 71, Rue Richelieu, besitze. Ich wünsche direkt auf den Friedhof übergeführt zu werden, die Kosten meines Begräbnisses sollen nicht mehr als dreißig Francs ausmachen.« Und als Nachschrift noch: »Ich bitte Romain Colomb um Verzeihung für alle Unannehmlichkeiten, die ich ihm bereite, und ich ersuche vor allem, nicht traurig zu sein wegen dieses unvermeidlichen Vorfalls.«