Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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Nein, sich nicht schämen, daß man in einer derart entcanaillierten, einer so vulgären Welt keinen Erfolg hat; »l’égalité est la grande loi pour plaire«, man muß über den gleichen Leisten gespannt sein, um diesem Pack sich anzupassen, aber Gott sei Dank, man ist ein »être extraordinaire«, ein »être supérieur«, ein einzelner, ein Sonderfall, ein Individuum, ein differenziertes Wesen und kein Herdenhammel. Alle die äußeren Erniedrigungen, das Zurückbleiben in der Karriere, die Blamagen bei den Frauen, die vollständige Erfolglosigkeit in der Literatur, das genießt Stendhal seit der Entdeckung seiner Sonderheit als Beweis seiner Überlegenheit. Sieghaft schlägt sein Minderwertigkeitsgefühl um in hellen Hochmut, jenen herrlich, heiteren und sorglosen Hochmut Stendhals. Mit Absicht hält er sich jetzt immer weiter weg von jeder Gemeinschaft und kennt nur noch eine Sorge, »de travailler son caractère«, seinen Charakter, seine seelische Physiognomie markanter herauszuarbeiten. Nur Besonderheit hat Wert in einer so amerikanisierten, einer solchen Taylor-System-Welt, »il n’y a pas d’intéressant que ce qui est un peu extraordinaire«: also seien wir besonders, beharren, bestärken wir gerade das Korn Seltsamkeit in uns! Kein holländischer Tulpennarr hat jemals eine Kreuzung kostbarster Art behutsamer gezüchtet als Stendhal seine Zwiespältigkeit und Sonderheit; er konserviert sie in einer eigenen geistigen Essenz, die er den »Beylismus« nennt, einer Philosophie, die nichts anderes meint als die Kunst, den Henri Beyle im Henri Beyle unverändert zu erhalten. Nur um sich stärker zu isolieren von allen andern, tritt er in bewußte Opposition zu seiner Zeit und lebt wie sein Julien: »en guerre avec toute la société«. Als Dichter verachtet er die schöne Form und proklamiert das Bürgerliche Gesetzbuch zur wahren ars poetica, als Soldat höhnt er den Krieg, als Politiker ironisiert er die Geschichte, als Franzose verspottet er die Franzosen: überall zieht er Gräben und Stacheldrähte zwischen sich und die Menschen, nur damit sie nicht nahe an ihn herankommen können. Selbstverständlich bringt er sich damit um jede Karriere, er versäumt als Soldat, als Diplomat, als Literat jeden Erfolg, aber das mehrt nur seinen Stolz; »Ich bin kein Herdenvieh, also bin ich nichts«; nein, nur nichts sein für diese Pöbelgeister, ein Nichts bleiben vor diesen Nichtsen. Er ist glücklich, nirgends hineinzupassen, in keine ihrer Klassen, ihrer Rassen, ihrer Stände und Vaterländer, begeistert, als zweibeiniges Paradox auf seinen eigenen Füßen seinen eigenen Weg zu wandern, statt inmitten dieser servilen Diensthammel die breite Straße zum Erfolg zu trotten. Lieber zurückbleiben, lieber außen stehen, allein stehen. Aber frei bleiben. Und dieses Freibleiben, Sich-frei-Machen von allen Zwängen und Beeinflussungen hat Stendhal genial verstanden. Muß er ab und zu aus Notdurft einen Beruf annehmen, eine Uniform tragen, so gibt er von sich nur genau das her, was unumgänglich nötig ist, um nicht von der Krippe gejagt zu werden, und keinen Zoll und kein Quentchen mehr. Wirft ihm sein Vetter den Husarenrock um, er fühlt sich deswegen keineswegs als Soldat; schreibt er Romane, so verschreibt er sich darum noch nicht der fachmännischen Schriftstellerei; muß er die gestickte Borte des Diplomaten tragen, so setzt er innerhalb der Amtsstunden irgendeinen Herrn Beyle an den Schreibtisch, der mit dem wirklichen Stendhal nur die Haut, den runden Bauch und die Knochen gemein hat. Aber weder an die Kunst noch an die Wissenschaft und am wenigsten an das Amt gibt er jemals einen Teil seines wirklichen Wesens her, und tatsächlich hat zeitlebens nie einer seiner Dienstkameraden geahnt, daß er in der gleichen Kompanie mit dem größten Dichter Frankreichs exerzierte oder am gleichen Schreibtisch Akten schob. Und selbst seine illustren Kollegen der Literatur (außer Balzac) sahen in ihm nichts als einen amüsanten Causeur, einen Exoffizier, der gelegentliche Sonntagsritte über ihre Äcker unternahm. Vielleicht hat nur Schopenhauer von all seinen Zeitgenossen in einer ähnlich hermetisch geistigen Isoliertheit gewirkt und gelebt wie sein großer Bruder in psychologicis, Stendhal.

      Ein letzter Teil jener einzigartigen Substanz Stendhals bleibt also immer abseits, und dieses merkwürdige Element chemisch zu ergründen, bedeutet Stendhals einzig wirkliche und intensive Betätigung. Niemals hat er das Eigensüchtige, das Autoerotische solcher introvertierten Lebenseinstellung geleugnet, im Gegenteil, er rühmt sich seiner Selbstischkeit und tauft sie demonstrativ mit einem neuen herausfordernden Namen: Egotismus. Egotismus – kein Druckfehler dies und beileibe nicht zu verwechseln mit seinem plebejischen, derbfäustigen Bastardbruder, dem Egoismus. Denn Egoismus will grob alles an sich raffen, was andern gehört, er hat gierige Hände und die verzerrte Fratze des Neids. Er ist mißgünstig, ungroßmütig, unersättlich, und selbst die Beimischung geistiger Triebe vermag ihn nicht zu erlösen von seiner phantasielosen Gefühlsbrutalität. Stendhals Egotismus dagegen will niemandem etwas nehmen, er läßt mit einer aristokratischen Hochmütigkeit den Geldraffern ihr Geld, den Ehrgeizigen ihre Ämter, den Strebern ihre Orden und Fähnchen, den Literaten die Seifenblasen ihres Ruhms – mögen sie damit glücklich sein! Er lächelt ihnen von oben herab verächtlich zu, wie sie um Katzengold ihre Hälse recken und servil ihre Rücken biegen, sich mit Titeln behängen und mit Würden bespicken, wie sie sich zusammenplustern zu Gruppen und Grüppchen und vermeinen, die Welt zu regieren – habeant! habeant! lächelt er ironisch ihnen zu, ohne Neid, ohne Habgier: mögen sie sich die Taschen vollsacken und die Bäuche füllen! Stendhals Egotismus ist nur leidenschaftliche Defensive, er betritt niemandes Revier, aber läßt auch niemanden über die eigene Schwelle, er hat einzig den Ehrgeiz, innerhalb des Menschen Henri Beyle einen vollkommen isolierten Raum zu schaffen, eine Brutzelle, in der die tropisch seltene Pflanze der Individualität sich ungehemmt entfalten kann. Denn Stendhal will seine Ansichten, seine Neigungen, seine Entzückungen einzig nur aus sich selber züchten und einzig für sich allein; ihm erscheint völlig gleichgültig und gewichtslos, wieviel ein Buch, ein Geschehnis allen andern gilt; er ignoriert hochmütig, wie sich ein Faktum auswirkt ins Zeitgenössische, Welthistorische oder gar in die Ewigkeit: schön nennt er ausschließlich, was ihm gefällt, richtig, was er augenblicklich als zugemessen erachtet, verächtlich, was er verachtet; und ihn beunruhigt keineswegs, mit dieser seiner Meinung vollkommen vereinzelt zu stehen, im Gegenteil, Einsamkeit beglückt und bestärkt sein Selbstgefühl: »Que m’importent les autres!« Die Devise Juliens gilt auch in aestheticis für den echten und gelernten Egoisten.

      »Aber«, unterbricht hier vielleicht ein unbedachter Einwand – »wozu ein so pompöses Wort Egotismus für diese Selbstverständlichkeit aller Selbstverständlichkeiten? Das ist doch das Allernatürlichste, daß man schön nennt, was man für schön befindet, und sein Leben einzig nach seinem persönlichen Gutdünken zurechtmacht!« Gewiß, so möchte man meinen, aber genau gesehen, wem gelingt es, restlos unabhängig zu fühlen, unabhängig zu denken? Und wer selbst von jenen, die ihre Meinung über ein Buch, ein Bild, ein Ereignis aus scheinbar eigener Wertung formen, hat dann noch den Mut, sie konsequent zu wagen gegen eine ganze Zeit, gegen eine ganze Welt? Wir sind alle in höherem Maße unbewußt beeindruckt, als wir uns zugestehen: die Luft der Zeit steckt in unseren Lungen, in der Herzkammer selbst, unsere Urteile und Ansichten reiben sich an unzählig viel gleichzeitigen und schleifen an ihnen unmerklich ihre Spitzen und Schärfen ab, durch die Atmosphäre schwingen unsichtbar wie Radiowellen die Suggestionen der Massenmeinung. Der natürliche Reflex des Menschen ist also keineswegs die Selbstbehauptung, sondern die Anpassung der eigenen an die Zeitmeinung, Kapitulation an das Majoritätsgefühl. Wäre die Mehrheit, die überwältigende, der Menschheit nicht pflaumenweich anpasserisch, verzichteten ihre Millionen nicht aus Instinkt oder Trägheit auf private, persönliche Anschauung, längst stände die gigantische Maschinerie still. So bedarf es jedesmal ganz besonderer Energien, eines empörerisch emporgestrafften Mutes – und wie wenige kennen ihn! –, um diesem geistigen Druck von Millionen Atmosphären seinen isolierten Willen entgegenzustemmen. Ganz seltene und wohlgeprobte Kräfte müssen schon in einem Individuum zusammenwirken, damit es sich seiner Eigenheit erwehre: eine sichere Weltkenntnis, eine rapide Scharfsichtigkeit des Geistes, eine souveräne Verachtung aller Rudel und Rotten, eine kühne und amoralische Unbedenklichkeit und vor allem Mut, dreimal Mut, eine unerschütterliche, fest im Sattel sitzende Courage zur eigenen Überzeugung.

      Diesen Mut hat Stendhal gehabt, der Egotist aller Egotisten: es tut der Seele wohl, zu sehen, wie kühn er vorprellt gegen seine Zeit, einer gegen alle, wie er mit flirrenden Finten und brüsken Attacken ohne andern Panzer als seinen blitzenden Hochmut sich durch ein halbes Jahrhundert schlägt, oft verletzt, aus vielen heimlichen Wunden blutend, aber aufrecht bis zum letzten Augenblick, und ohne ein Zollbreit Eigenheit und Eigenwilligkeit preiszugeben. Opposition ist sein Element, Selbständigkeit seine Wollust. Man lese nur an hundert Beispielen nach, wie verwegen, wie frech dieser