Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


Скачать книгу

»den Begriff des Heldenmuts unverweigerlich mit dem Tambourmajor verbindet«, schildert er Waterloo als ein unübersichtliches Durcheinander chaotischer Kräfte; er bekennt hemmungslos ein, daß er sich während des Russischen Feldzuges (den die Historiographen als Epopöe der Weltgeschichte preisen) persönlich gräßlich gelangweilt habe. Er scheut sich nicht, festzustellen, daß ihm eine Reise nach Italien, um seine Geliebte wiederzusehen, wichtiger war als das Schicksal seines Vaterlandes, und eine Arie Mozarts interessanter als eine politische Krise. »II se fiche d’être conquis«, er schert sich den Teufel darum, daß Frankreich von fremden Truppen besetzt wird, denn, längst Wahleuropäer und Kosmopolit, kümmert er sich nicht eine Minute lang um die tollen Pirouetten des Kriegsglücks, um die modischen Meinungen, um Patriotismen (»le ridicule le plus sôt«) und Nationalismen, sondern einzig um die Verwahrheitlichung und Verwirklichung seiner geistigen Natur. Und dies sein Persönliches betont er so selbstherrlich und zärtlich inmitten der furchtbaren Lawinenstürze der Weltgeschichte, daß man, seine Tagebücher lesend, manchmal bezweifelt, ob er tatsächlich mit seiner Person bei all diesen historischen Kalendertagen Zeuge gewesen. Aber in gewissem Sinn war auch Stendhal gar nicht dabei, selbst wenn er quer durch den Krieg ritt oder im Amtssessel saß, er war immer nur bei sich selbst; niemals fühlte er sich aus Mittuerei, aus Mitdenkerei zur seelischen Teilnahme an Geschehnissen verpflichtet, die ihn seelisch nicht bewegten, und ebenso wie Goethe in seinen Annalen an welthistorischen Tagen nur die Lektüre aus dem Chinesischen, so notiert Stendhal in den welterschütterndsten Stunden seines Zeitalters einzig seine privatesten Wichtigkeiten: die Geschichte seiner Zeit und die seine haben gleichsam ein anderes Alphabet und andere Vokabeln. Darum wird Stendhal ein ebenso unzuverlässiger Zeuge für seine Umwelt wie ein unübertrefflicher für seine Eigenwelt; für ihn, den vollkommenen, den preiswürdigsten und unübertrefflichen Egotisten reduziert sich alles Geschehnis ausschließlich und einzig auf den Affekt, den das einmalige und unwiederbringliche Individuum Stendhal-Beyle vom Weltlauf erfährt und erleidet; nie vielleicht hat ein Künstler für sein Ich beharrlicher, radikaler und fanatischer gelebt und es kunstvoller zum Eigen-Ich entwickelt als dieser heroische Selbstling und überzeugte Egotist.

      Aber gerade durch diese eifersüchtige Abschließung, dies sorgfältige Abgekorkte und hermetisch Verstöpselte ist die Essenz Stendhal so unvermindert und unvermischt mit ihrem eigennatürlichen Arom uns erhalten geblieben. In ihm, der nicht angefärbt ist vom Farbstoff seiner Epoche, können wir den Menschen par excellence, das ewige Individuum in einem raren und subtilen Exemplar psychologisch vollkommen losgelöst beobachten. Tatsächlich hat aus seinem ganzen französischen Jahrhundert kein Werk und Charakter sich so formelhaft frisch, so neu und unberührt erhalten; weil er die Zeit von sich abwehrte, wirken seine Werke zeitlos, weil er nur sein innerstes Leben lebte, wirkt er so lebendig. Je mehr ein Mensch seiner Zeit lebt, um so mehr stirbt er mit ihr. Je mehr ein Mensch in sich von seinem wahren Wesen verhält, um so mehr bleibt von ihm erhalten.

      Der Künstler

       Inhaltsverzeichnis

       A vrai dire, je ne suis moins que sûr d’avoir quelque talent pour me faire lire. Je trouve quelquefois beaucoup de plaisir à écrire. Voilà tout.

      Stendhal an Balzac

      An nichts gibt Stendhal, der eifersüchtigste Selbstbewahrer der Literatur, sich vollkommen hin, keinem Menschen, keinem Beruf, keinem Amt. Und wenn er Bücher, Romane, Novellen, psychologische Werke schafft, so schreibt er einzig sich in diese Bücher hinein: auch diese Leidenschaft dient ausschließlich seiner Eigenlust. Stendhal, der in seinem Nachruf als größte Leistung seines Lebens rühmt, »nie etwas getan zu haben, was ihm nicht Vergnügen machte«, war Künstler nur genau so lange, wie dieses Metier ihm Anregung bot, er dient der Kunst nur insoweit, wie sie seinem letzten Zwecke dient: seinem »diletto«, seinem Behagen, seiner Selbstfreude. Es irren also alle jene gröblich, die, weil Stendhal der Welt inzwischen als Dichter wichtig geworden, bei ihm selbst ein ähnliches Wichtignehmen seiner Kunst vermuten: mein Gott, wie hätte dieser Unabhängigkeitsfanatiker sich entrüstet, als einer vom dichterischen Clan, als Berufsschriftsteller zu gelten; und nur vollkommen eigenmächtig und in absichtlicher Entstellung von Stendhals Letztem Willen hat sein Testamentsvollstrecker diese literarische Überwertung in Stein gemeißelt. »Scrisse, amò, visse«, hämmerte er in den Marmor, indes das Testament ausdrücklich andere Reihenfolge verfügte: »visse, scrisse, amò«, denn Stendhal, seinem Wahlspruch getreu, hatte mit dieser Reihenfolge verewigt wissen wollen, daß er das Leben dem Schreiben voransetzte; ihn dünkte Genießen wichtiger als Schaffen und die ganze Schriftstellerei nichts als eine amüsante Komplementärfunktion seiner Selbstentfaltung, irgendeines von den vielen tonischen Mitteln gegen die Langeweile. Man kennt ihn schlecht, wenn man nicht erkennt: Literatur war diesem passionierten Lebensgenießer nur eine gelegentliche, keineswegs die entscheidende Ausdrucksform seiner Persönlichkeit.

      Freilich, als junger Mensch, frisch angelangt in Paris, idealisch tumb, hatte auch er einmal Dichter werden wollen, natürlich ein berühmter Dichter, aber welcher Siebzehnjährige will das nicht? Er bosselt damals ein paar philosophische Aufsätze, schreibt an einer nie vollendeten Komödie in Versen; dann vergißt er vierzehn Jahre lang vollkommen die Literatur, sitzt im Sattel oder am Schreibtisch, promeniert auf den Boulevards, hofiert melancholisch vergebens geliebte Frauen und kümmert sich bei weitem mehr um Malerei und Musik als um die Schreiberei. 1814, in einem Augenblick der Geldknappheit, ärgerlich, daß er sogar seine Pferde verkaufen muß, felbert er hastig unter fremdem Namen ein Buch hin: »Das Leben Haydns« oder vielmehr, er stiehlt den Text frech seinem italienischen Verfasser, dem armen Carpani, der später Zeter und Mordio schreit gegen diesen unbekannten Herrn Bombet, von dem er sich dermaßen überraschend geplündert sieht. Dann klittert er wieder eine Geschichte der italienischen Malerei, gleichfalls aus andern Büchern, zusammen, streut ein paar Anekdoten hinein, und teils weil es ihm Geld bringt, teils weil er daran Spaß findet, die Feder laufen zu lassen und die Welt mit allerhand Pseudonymen zu narren, improvisiert er heute als Kunsthistoriker, morgen als Nationalökonom (»Un complot contre les industrielles«), übermorgen als Literarästhetiker (»Racine et Shakespeare«) oder als Psychologe (»De l’amour«) ein paar Bücher. Schreiben, so erkennt er bei diesen zufälligen Versuchen bald, ist gar nicht so schwer. Wenn man klug ist und einem die Gedanken flink an die Lippe schießen, besteht zwischen Schreiben und Konversieren eigentlich wenig Unterschied, noch weniger zwischen Reden und Diktieren (denn die Form läßt Stendhal dermaßen gleichgültig, daß er seine Bücher entweder mit Bleistift hinschmiert oder locker aus dem Handgelenk diktiert) – er empfindet also Literatur bestenfalls als ein nettes Sonderlingsamüsement. Schon daß er sich niemals bemüßigt fühlt, seinen wahren Namen Henri Beyle über seinen Produkten figurieren zu lassen, beweist zur Genüge seine Gleichgültigkeit gegen alle Ambition.

      Erst mit vierzig Jahren setzt er sich häufiger zur Arbeit hin. Warum? Weil er ehrgeiziger geworden ist, leidenschaftlicher, kunstverliebter? Nein, durchaus nicht, nur weil man korpulenter wird, weil man – leider! – weniger Erfolg hat bei den Frauen, bedeutend weniger Geld und bedeutend mehr überflüssige, unausfüllbare Zeit; kurzum, weil man Surrogate braucht: »Pour se désennuyer«, um sich nicht zu langweilen. Wie die Perücke das einstmals dichte und wirrige Haar, so ersetzt jetzt für Stendhal der Roman das Leben, er kompensiert die Verminderung der realen Abenteuer durch allerhand gestaltete Träumereien; schließlich findet er das Schreiben sogar amüsant und sich selbst einen angenehmeren und geistvolleren Gesprächspartner als alle Plattredner in den Salons. Ja, Romaneschreiben ist wirklich, vorausgesetzt, daß man es nicht allzu ernst nimmt und sich nicht die Finger mit Schweiß und Ehrgeiz schmutzt wie diese Pariser Literaten, ein sehr munteres, sauberes, nobles Vergnügen, würdig eines Egotisten, ein elegant unverbindliches Geistspiel, an dem der alternde Mann mehr und mehr Reiz findet. Sehr mühevoll ist die Sache ja nicht: man diktiert einen Roman in drei Monaten ohne Konzept irgendeinem billigen Kopisten in die Feder, vergeudet also nicht allzuviel Mühe und Zeit. Außerdem kann man sich dabei den Spaß machen, seinen Feinden heimlich Spottschweife anzubinden, die Pöbelhaftigkeit der Welt zu ironisieren; man kann hinter einer Maske, ohne sich zu verraten, die zartesten Regungen seiner Seele beichten, indem man sie fremden Jünglingen zuschiebt. Man kann leidenschaftlich sein, ohne sich zu kompromittieren,