Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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wider die Feinde, und Aussatz wird über sie fallen. Oh, seine Füße zu küssen, des Heiligen, der für uns gelitten!

      EINE ANDERE:

       Gegeißelt haben sie ihn… wie Balsam sind für uns seine Wunden… ich will knien vor ihm in den Staub…

      DIE ERSTE:

       Heilig… heilig… heilig ist er, Jeremia!

      STIMME (von oben):

       Seile… Bringt ein Seil… daß wir ihn heben!

      DAS WEIB:

       Oh, er naht! Rettung naht, wir werden leben, mein Kind! Der Heilige naht.

      DIE ANDERE:

       Daß ich doch schon schauen könnte sein seliges Antlitz. Leuchten wird davon Jerusalem.

      (JUBELGESCHREI von oben aus der Tiefe.)

      DIE MENGE UNTEN:

       Sie haben ihn gefunden!… Rettung… Rettung… Gottes Gnade… Jeremia… Jeremia…

      DAS WEIB:

       Oh, ihn schauen, ist schon genesen, mein Herz brennt loh, ihn zu sehen! Oh, du Heiliger, du Erlöser, nahe deinem Volke, nahe deinen Mägden, rette, rette Jerusalem! Gehe auf, du Sonne unserer Nacht, erglühe, du Stern unseres Dunkels! Rette! Rette Jerusalem!

      DIE MENGE (wild ekstatisch):

       Jerusalem!… Rette die Stadt… Jeremia… Jeremia…

      DAS WEIB:

       Er naht! Oh, ich sehe ihn, ich sehe, ich sehe sein seliges Antlitz. Wie die Sonne ist es zu schauen, da sie über den Libanon steigt. Oh, sieh nieder, du Gebenedeiter! Sieh nieder auf unser Elend! Hebe uns auf!

      (DIE MENGE hat unter wildem Getöse Jeremias im Triumph aus dem Tore geschleppt. Er steht an der obersten Stufe, die Augen verhüllend vor dem Licht, das so plötzlich auf ihn eindringt. Um ihn tost die Ekstase der Menge.)

      STIMMEN:

       Heiliger! Meister!… Samuel… Elia… Elia… Oh, Verkünder… Jeremia… errette… errette uns… Jeremia… König… Gesalbter du… Jeremia… Höre ihn, Israel… Jeremia…

      DAS WEIB (zu seinen Füßen sich werfend):

       Was verhüllst du dein Antlitz? Labsal ist dein Blick! Oh, sieh, Gesegneter, auf das Kind, damit es genese, sieh auf uns, daß wir auferstehen vom Tode!

      JEREMIAS (langsam die Hände von den Augen nehmend. Er ist sehr ernst und düster, wie er in die wilde Erwartung blickt): Fremd ist das Licht meinen Augen, es brennet mich, und ungewohnt diese Liebe meiner Seele: auch sie brennet mich! Was heischt ihr von mir?

      DIE MENGE:

       Heiliger… Jeremias… rette uns… Gesalbter… rette die Stadt… Unser König sei… tue ein Wunder…

      JEREMIAS:

       Ich verstehe eure Worte nicht. Was wollt ihr von mir?

      DIE MENGE (chaotisch durcheinander):

       Moria… die Burg… rette Jerusalem… ein Wunder… wir sind verloren… Unser Hort bist du… errette uns… rette Jerusalem…

      JEREMIAS:

       Einer rede, nicht alle!

      DAS WEIB (hinstürzend zu seinen Füßen):

       Heiliger! Gesalbter Gottes, Stern unserer Hoffnung, tu auf deine Hände, die gebenedeiten! Rette uns, rette uns, rette Jerusalem! Was du geschaut, hat sich erfüllet, die Chaldäer sind über uns!

      EINE STIMME:

       Sie stürmen die Mauer von Moria!

      EINE ANDERE STIMME:

       Unsere Männer sind geschlagen…

      EINE ANDERE STIMME:

       Vor dem Tempel schon kämpfen sie.

      EINE DRITTE STIMME (verzweifelt):

       Rette, rette Jerusalem!

      DIE MENGE (frenetisch):

       Rette, rette Jerusalem!

      (JEREMIAS bleibt unbeweglich und birgt sein Gesicht in den Händen.)

      DAS WEIB:

       Wir wollen dich rächen an deinen Feinden, mit den Nägeln zerreißen das Antlitz deiner Widersacher. Aber erbarme dich unser, erbarme dich! Unser Hort bist du und unsere Hoffnung.

      EINE STIMME:

       Wer errettet uns, wenn nicht du?

      DIE AUFREIZENDE STIMME:

       Die Priester haben uns verraten, der König uns verkauft.

      JEREMIAS (auffahrend):

       Das ist nicht wahr! Was schmäht ihr den König?

      STIMMEN:

       Er hat uns verlassen… Wo ist er… warum hilft er nicht… er ist geflüchtet… er ist geflohen…

      JEREMIAS (stark):

       Das ist nicht wahr.

      STIMMEN:

       Es ist wahr… Sie haben uns in diesen Krieg geführt… sie haben uns geopfert… Wir haben diesen Krieg nicht gewollt… Friede wollten wir… Friede… Mache Friede mit ihnen… Friede… Friede…

      JEREMIAS:

       Spät wollt ihr den Frieden! Was werft ihr Blutes Schuld von euch fort auf den König? Auch ihr habt diesen Krieg gewollt.

      STIMMEN:

       Ich nicht… nein… ich nicht… ich nicht… Der König hat ihn gewollt… ich nicht… keiner von uns…

      JEREMIAS:

       Alle habt ihr ihn gewollt, alle, alle! Wankelmütig sind eure Herzen und schwanker denn Rohr. Die jetzt Friede schreien, hörte ich toben nach dem Kriege, und die jetzt den König schmähen, jauchzeten ihm zu. Wehe, du Volk! Doppelzüngig ist deine Seele, und jeder Wind wendet deine Meinung! Ihr habt gehurt mit dem Kriege, nun traget seine Frucht! Ihr habt gespielt mit dem Schwerte, nun fühlet seine Schärfe. Wider euch schlaget mit den Fäusten, wider euch mit den Worten!

      STIMMEN:

       Wehe… er zürnt uns… Jeremias… sieh unsere Not… hilf uns… was sollen wir tun…

      JEREMIAS:

       Es tue jeder nach seinen Kräften. Wer ein Schwert fassen kann, fasse das Schwert und diene mit seinem Blute, und wem der Arm lahmt, der gehe ein in sein Haus und diene mit seinen Tränen. Aber rottet euch nicht und murret nicht!

      DIE MENGE:

       Nein… Rettung… Hilf uns… Sieg, gib uns Sieg… Laß uns nicht ohne Hoffnung… Siehe, wir vergehen… Jerusalem… rette uns… rette Jerusalem… Heiliger… Gütiger… hilf uns… ein Wunder tu, laß es nicht geschehen… ein Wunder… recke aus deinen Arm, wie Jesaja tat… wie Elia… wie Aaron… hilf uns…

      JEREMIAS:

       Niemand kann helfen, so Gott euch nicht hilft.

      DIE AUFREIZENDE STIMME:

       Gott hat uns verlassen!

      DIE MENGE:

       Ja… Gott hat uns verlassen… wo ist er… wo ist der Bund, den er geschlossen mit uns… Gott hilft nicht…

      JEREMIAS (zornig):

       Was zischt ihr wider Gott aus eurem Elend, ihr Gewürm der Erde, wollt ihr, daß er euch zertrete mit seiner Ferse? Da er euch gnädig war, brüstetet ihr euch mit seiner Liebe und prangertet mit seiner Güte, und meinet ihn nun wegspeien zu dürfen am Tage des Gerichts! Wehe, welch ein Volk seid ihr. Stein ist eure Stirne und eine eiserne Ader euer Nacken, aber ich sage euch: Nicht stemmet die Stirn wider Gottes Stärke, beuget euch, beuget euch, ehe ihr zertreten werdet!

      STIMMEN:

       Wehe… wie unbarmherzig… er verläßt