Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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er schaue, wie man seine Kinder schlüge… er wehrte sich… aber sie zwangen ihn… Seine Lippen waren zwischen den Zähnen, er wollte schweigen… und er schwieg, wie sie den ersten faßten seiner Söhne… aber wie sie den zweiten griffen, da bebten sie… und da sie den dritten durchstießen, da sprangen sie auf, die Lippen, die verzerrten… aber nicht um Gnade schrie er… er schrie: »Jeremias! Jeremias!«

      (ALLE schauern zurück.)

      ZEFANJA:

       Seinen Namen schrie er in der Qual. Und da der Brandstahl seine Augen zerstieß, da schrie er nochmals… Jeremias… Jeremias… Wo bist du, Verkünder… wo bist du… mein Bruder Jeremias… ihn… ihn hat er gerufen… Er hat es gewußt…

      (ALLE weichen vor Jeremias, wie vor einem gefährlichen Tier.)

      JEREMIAS (in wirrer Qual mit sich ringend):

       Es ist nicht wahr… Ich habe es nicht gewollt… nichts, habe ich gewollt von dem allen… er darf mich nicht anklagen… er darf nicht… Das Wort ist in mich gefahren, wie das Feuer vom Steine fährt… er darf mich nicht anklagen… ich… ich wollte zu ihm… nicht ich… Gott hat mich zum Lügner gemacht… ich habe mich seiner erwehret… es ist nicht wahr… nicht ich habe es getan…

      ZEFANJA:

       Was redet er?

      EIN WEIB:

       Wahnsinn hat ihn befallen.

      EIN ANDERER:

       Ein Rasender ist er.

      EIN MANN:

       Nein… er hat es gesagt… er hat alles gewußt… ein Weiser ist er… ein Profet…

      JEREMIAS:

       Er darf nicht… er darf nicht… er darf mich nicht anklagen… mein Wort ist mein Wille nicht… Macht ist über mir… Er… Er… Der Furchtbare… Der Mitleidslose… Sein Werkzeug bin ich nur… sein Hauch… seiner Bosheit Knecht… Er hat mich beredet, und ich ließ mich bereden… denn übermächtig war er, und sein Knecht bin ich geworden… Fluch hat er in meinen Atem getan… Er… Er… der Furchtbare… die Galle in meine Rede… und das Bittere in meinen Speichel… Oh, wehe über die Gottesfaust… wen er faßt, der Furchtbare, den läßt er nicht wieder… oh, daß er mich freigäbe, den Verfluchten seines Worts… ich… ich… ich will nicht mehr reden seine Rede… schweigen will ich… schweigen… ich… ich… ich will nicht mehr, Gott… ich will nicht mehr… ich fluch deinem Fluche… laß deine Hand von mir, tu das Feuer von meinem Mund… ich… ich… ich kann nicht mehr… ich will nicht mehr…

      DIE STIMMEN:

       Tobsucht hat ihn überkommen… die Krämpfe… die Krämpfe… wie eine Gebärerin windet er sich… weichet von ihm… hört ihn nicht an… Gott hat ihn gestraft…

      (JEREMIAS bricht wie zerschmettert in sich zusammen.)

      DIE STIMMEN:

       Sehet… seht… Die Hand des Herrn hat ihn getroffen… Wahnsinn hat ihn geschlagen… weichet von ihm… weichet von ihm…

      (ALLE haben sich zusammengeschart und drängen sich von Jeremias fort, der auf der Erde liegt, wie ein gefällter Baum. Einige Augenblicke herrscht bestürztes, ratloses Schweigen. Dann plötzlich von außen ein Hörnerschall aus großer Ferne.)

      ZEFANJA:

       Wehe, sie nahen schon, die Verkünder, die Herolde des Unheils!

      ALLE (um ihn):

       Was ist… was ist geschehen… was bedeutet der Ruf… Lasset den Narren… Sprich, Zefanja… welche Botschaft…

      ZEFANJA:

       Botschaft Nabukadnezars an die Restlinge des Volkes.

      STIMMEN:

       Wehe… was haben sie vor… sollen wir gehen, sie zu hören… dürfen wirs wagen… sprich, Zefanja…

      ZEFANJA:

       Nicht eilet euch, böse Botschaft ist immer zu früh noch vernommen.

      STIMMEN:

       Nein… sprich… erzähle… sprich… was ist uns verhängt…

      ZEFANJA:

       Es ist Nabukadnezars Wille, daß die Stadt nicht mehr lebe auf Erden.

      (STIMMEN in Schreckensschreien.)

      ZEFANJA:

       Zum Denkmal der Schrecknis hat der Verruchte Gottes Stadt bestimmt! Von der Erde reißt er uns weg, wandern müssen wir, Brüder, wie einst in die Knechtschaft. Eine Nacht nur wird uns Restlingen gegeben zur Rast, daß wir die Toten begraben, dann muß ein jeder, Greis und Kind, fort von hier in der Chaldäer Land. Fremden Acker sollen wir bauen, fremde Reben aufpflanzen und fremd uns selber werden und unserm Gott. Zum letzten Male halten wir Jerusalems Erde an unserm Fuß, zum letzten glänzt heimatlich Gestirn ob unsern Häupten. Das ist jener Botschaft. Weh, wen es lüstet, sie zu vernehmen!

      (DER POSAUNENSCHALL tönt wieder von näher.)

      STIMMEN:

       Wir sollen hinaus… fort von Zion… fort von Jerusalem…

      DER ÄLTESTE:

       Ich gehe nicht… ich bleibe… ich bleibe…

      ZEFANJA:

       Wer sich weigert der Wandrung, den fällt das Schwert. Jeder soll sich rüsten zur Reise und sich sammeln auf dem Markte. Dreimal wird die Posaune tönen vor dem Morgenrot. Wer dann noch betroffen wird in der Mauern Geviert, der verfällt ihrem Schwert.

      DER ÄLTESTE:

       Möge es mich fällen, ich bleibe, ich bleibe! Ich will nicht leben ohne Jerusalem. Im Sarge lieber, denn in fremdem Geviert!

      EIN WEIB:

       Mein Bruder ist gefallen, meines Bruders Sohn und mein Gemahl. Gräber sind mein Erbe, ich will es behüten.

      EIN MANN:

       Ich bleibe! Ich bleibe! Hier ist meine Wurzel und meine Kraft. Lahm würde mein Arm, sollte ich den Pflug stoßen in fremde Erde, und blind meine Lider in fremder Welt.

      STIMMEN (begeistert):

       Wir bleiben… wir wollen sterben… lieber den Tod, als das Diensthaus… nicht in die Verbannung… sterben für Gott… sterben… lieber sterben…

      DER KRANKE (von seinem Lager rückwärts sich fiebernd aufrichtend):

       Nein… nein… ich will nicht sterben… nicht sterben… leben will ich, leben… ich will fort… fort… nur nicht sterben… wer wird mich tragen… verlaßt mich nicht… nicht… nicht sterben… leben, leben, leben!…

      DIE FRAU (zu ihm hinstürzend):

       Beruhige dich… ich trage dich.

      DER KRANKE (fiebernd):

       Ja… fort… fort von den Wahnwitzigen… nur nicht sterben… nur nicht sterben…

      DER ÄLTESTE:

       Er spricht wirr… sein Leib ist verbrannt, sein Arm zerschmettert… er weiß nicht, was er redet…

      DER KRANKE (in fiebriger Wut):

       Ich weiß… ich weiß… ich habe den Tod gespürt… nur nicht sterben… Lieber verbrennen, lieber leiden… aber doch Leben noch fühlen, Leben ist Hoffnung, und Totsein ist nichts… nur nicht sterben… leben… leben…

      EINE JUNGE FRAU:

       Ja, auch ich will leben… ich habe noch nichts geschaut, nichts gefühlt… meine Glieder blühn noch… ich spüre mich… ich will nicht ins Kalte… ich will nicht… ich gehe mit dir… überallhin… überallhin…

      EIN ANDERES WEIB:

       Metze du… Buhlerin… willst du Kebse werden der Fremden?

      DIE JUNGE FRAU: