Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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die meine. Geh hin zu dem, von dem du gekommen, und sage ihm, wie ich dir sage: »Also spricht Jeremias zu Nabukadnezar. Meine Bitternis hat keine Süße für dich und meine Lippen keine Verheißung für deinen Stolz. Und wenn du riefest mit aller Engel Stimme, mein Herz wird dich nicht hören, und wägtest du alle Steine Jerusalems mir mit Gold, so spricht dir nicht zur Süße mein Mund. Ob du mich gleich ehrest, ich ehre dich nicht, und ob du mich suchest, ich will dich nicht finden.«

      DER GESANDTE:

       Besinne dich, der Könige König ist es, der dich vor sein Antlitz fordert!

      JEREMIAS:

       Ich weigere mich ihm! Ich weigere mich!

      DER GESANDTE:

       Noch nie ward Weigerung ihm geboten.

      JEREMIAS:

       Ich biete sie ihm, ich, der Letzte Israels. Wer ist er, daß ich ihn fürchten soll? Ein Strohhalm ist seine Macht und ein Windhauch sein Zorn.

      DER GESANDTE:

       Verwegener, wen lästerst du? Des Herren geheiligten Namen sprichst du liederlich aus. Hüte deine Zunge, hüte dein Leben!

      JEREMIAS (entbrennend):

       Wer ist er, daß ich ihn fürchten soll? Viele waren, die einst solch Stirnband trugen von Gold und sich Pharao nannten, und ist doch keiner mehr, der ihnen nachfragte und einen Stift faßt, ihr Gedächtnis zu schreiben in die Bücher der Zeit. Mächtigere waren denn er, und die Geschlechter der Erde vergaßen ihrer, ehe die Bäume morschten, die sie gepflanzt. Wer ist Nabukadnezar unter den Sternen, daß ich ihn fürchten soll? Ist er ein Menschwurm nicht und wartet nicht Tod hinter seinem Schlaf und Fäulnis in seinem Leibe? Ist er dem Wandel enteilt schon und dem Umschwung der Stunde? Meinst du, er halte schon, was er habe, und mag sich des Ausgangs berühmen inmitten des Wegs?

      DER GESANDTE:

       Ewig währet Nabukadnezars Macht, ewig hält er den Sieg.

      JEREMIAS:

       Hast du es gelesen im Buche des Schicksals, haben die Magier ihm die Siegel gelöst vom Zukünftigen und die Sterngucker es bedeutet? Weiß er seinen Ausgang schon, daß ihr ein Prahlen um ihn anhebt, und kennet er sein Los, daß er sich erfrechet? Ich aber, Jeremias, sage dir: gebrochen ist der Stab über Nabukadnezar und zerrissen das Kleid seiner Macht. Tief hat er Israel geknechtet, aber siebenmal tiefer wird er geknechtet werden. Schon keimet sein Sturz, und seine Stunde, sie ist nah, sie ist da, schon erstanden ist der Rächer für Israel, erstanden der Rächer für Jerusalem!

      (DER GESANDTE schrickt zurück.)

      DER ÄLTESTE (aus dem Dunkel ist plötzlich aufgestanden und schreit begeistert): Erfülle, erfülle sein Wort! Erhöre es, Gott, erhöre es!

      JEREMIAS (ganz in Glut):

       Geh hin zum Könige, geh hin! Hat er doch gesendet um Botschaft und gefordert das Verhüllte, geh hin, geh hin, sage ihm Verkündigung, daß die Ohren ihm gellen, geh hin, du Gesandter, geh hin und sage, wie ich es ihm sage: »Weh dem Verstörer, denn er wird verstöret werden, und weh dem Räuber, denn er wird beraubet werden! Der Blut getrunken in Scheffeln, wird darin ersaufen; und der sich gemästet vom Fleische der Völker, bald wird er Fraß sein der Würmer! Horch! Ein scharfer Wind wacht auf wider Babel und ein Sturmwind gen Ninive! Gezählt sind die Tage Assurs und gezückt das Schwert – Schwert wider Babel, Schwert wider dich, Schwert über deine Männer, Schwert über Volk und Gefild! Gezückt, gezückt ist das Schwert, Blut will es trinken, es ist gezückt, es ist gezückt! Wisse es, du Neugieriger, erfahr es, du Vorwitziger, reif ist dein Assur zur Grube, voll sind die Kelter deiner Missetaten und die Kufen deines Frevels, Nabukadnezar.«

      (DIE GESANDTEN haben sich scheu vor dem Ausbruch geflüchtet und halten die Hände abwehrend vor sich.)

      DER ÄLTESTE (in Ekstase):

       Erhöre ihn, Herr! Erhöre ihn! Mache wahr seine Rede, mache wahr seine Zunge! Sei du, der es sendet, sein Wort!

      EINIGE DER FRAUEN UND MÄNNER (haben sich aus dem Dunkel gewagt und um ihn gesammelt. Flehentlich): Erhöre ihn, erhöre ihn, Gott Zebaoth! Erhöre ihn!

      JEREMIAS:

       Schon ist er wach, der Rächer, er ist wach, denn der Herr des Tempels hat ihn erweckt und mit Stärke geschienet! Und er kommt, er naht, er ist da, gewaltig sind seine Fäuste, sie werden Babel zerdrücken wie ein Vogelnest und sein Volk jagen wie Spreu! Setze nur Wächter auf die Türme, daß sie warnen, rüste geharnischte Männer, daß sie ihm wehren, schärfe die Speere; doch so wenig du die Wolke kannst scheuchen am Himmel mit deinem Hauche, kannst du scheuchen seinen Sturm, denn als ein Rächer kommt er gefahren, und ein Segen ist auf seinem trunkenen Schwert.

      DER ÄLTESTE (ekstatisch):

       So lasse es geschehen, Gott! Lasse es geschehen!

      DIE ANDERN (um ihn haben sich gesammelt, auch sie ergreift die Begeisterung): Stürze nieder auf sie, wie er gesprochen… erfülle, erfülle sein Wort… oh, Verheißung… sende den Rächer… sende den Rächer… fälle Babel, wie er gekündet… erhöre ihn, Gott… erhöre ihn…

      (DIE GESANDTEN weichen verstört zum Ausgange.)

      JEREMIAS (in einem wilden Gemenge von Jubel und Ekstase):

       Oh, du Irrwitziger der Irrwitzigen, hast du wahrhaft gemeint, uns zu knechten, hast du gemeint, Gott vergäße unser, Gott vergäße Jerusalem? Sind wir denn sein Kind nicht und seines Namens Vermächtnis, seine Erstgeburt und Erbe, ist sein Geist nicht auf uns und sein Segen auf Abrahams Scheitel? Er hat uns gezüchtigt in unsern Sünden, doch er wird unser sich erbarmen, er hat zerstört, doch er wird wieder aufbauen, er hat uns zerstreut, doch seine Liebe wird uns wieder sammeln, und wären wir zerstreut bis an die Enden der Erde. Was seine Linke genommen, wird die Rechte uns heimgeben tausendfach, denn, ihr Brüder, ihr Brüder, eher mögen Berge stürzen und aufwärts fließen die Flüsse und verdunkeln des Himmels Gezelt, als daß Gott vergäße seines Bundes, daß er vergäße Israel, daß er versäumte Jerusalem!

      (DIE GESANDTEN sind mit ratlosen Gebärden entschwunden.)

      DER ÄLTESTE UND DIE ANDERN (umdrängen Jeremias von nah und begleiten seine Rede mit hymnischem Zuruf): Segen auf dein Wort… Segen über dein Haupt… Gott vergißt nicht Jerusalem… Oh, Verkündigung, selige Botschaft… Segen auf dein Wort… Segen über dich!

      JEREMIAS (immer jauchzender, ohne ihrer zu achten):

       Oh, wie dunkel doch waren die Tage der Erde, da dräuend die Brauen Gottes sich ballten und sein Antlitz sich hüllte seinem Kindern! In Finsternis waren wir zergangen, schon meinten wir zu ersterben in den Kerkern der Ängste. Aber, meine Brüder, seines Ingrimms Ende war seiner Liebe Anfang schon. Ein Wetter ist er hingefahren über unsern Häupten und hat uns zerschlagen, wie Rohr brach er die Kraft unseres Leibes, aber neu glänzt bald die Sonne seiner Gnade. Er wirft die Blitze aus den Händen, er heißt seine Donner schweigen, und im sanften Säuseln klingt seine Stimme. Oh, sie klingt, sie hebt an, süß zu vernehmen über Länder und Meere, mildiglich hebt sie an, und sie wird sprechen zu ihrer Stunde:

      Stehe auf, Jerusalem,

       Stehe auf, du Gekränkte,

       Und fürchte dich nicht,

       Denn ich erbarmte mich dein.

       Ich habe dir gezürnet

       Und dich einen kleinen Augenblick verlassen,

       Aber nicht immerdar will ich mit dir hadern,

       Und ich zürne nicht ewiglich.

       Und darum, daß du die Verlassene gewesen bist

       Und die Verstoßene einen Tag,

       Sollst du die Prächtige sein für und für

       Und die Erhobene in aller Ewigkeit.

       Ich will dich schmücken mit meiner Liebe

       Und gürten mit meinem Frieden,

       Mein Antlitz hat sich dir zugewendet,

       Und mein Segen ist deinem Scheitel gesenkt.