Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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haltet euch zusammen, Söhne Rubens… wie es doch dunkel ist… hier voran, daß ihr die ersten seid…

      ANDERE STIMMEN:

       Was drängt ihr… unser ist die Stelle… seit Abend stehen unsere Mäuler hier gegürtet… Unser ist die Stelle… immer will Ruben voran sein…

      EIN ALTER:

       Nicht streitet… lasset Ruben voran, so will es das Gesetz…

      DIE ANDERN STIMMEN:

       Es gibt kein Gesetz mehr… verbrannt ist die Schrift… wer bist du, daß du uns gebieten willst… die Priester ruft, die Priester… Es gibt keine Priester mehr… alle raffte sie das Schwert… Hananja ist entkommen… nein, am Pfahle verdarb er… führerlos sind wir… verlassen von allen… wer wird uns gebieten… oh, Qual der Knechtschaft… wer wird die Opfer empfangen zu Babel… wer uns deuten das Wort… ausgerottet ist Aarons Geschlecht… weh uns Verwaisten… daß wir die Lade doch hätten und die Rolle des Gesetzes… sie ist verbrannt… nein, Gottes Wort verbrennt nicht… selbst sah ich sie kohlen im Feuer, wie eine Schlange sprang sie hoch… wehe, sie ist verbrannt… verbrannt das Gesetz… nein, es kann nicht wahr sein, Gottes Wort verbrennet nicht… ist sein Haus nicht verbrannt, sein Altar nicht gestürzt… ließ er nicht sinken seine heilige Stadt… Ja… ja… hat er nicht uns in Knechtschaft gegeben… ja… ja… gebrochen hat er den Bund, vernichtet die Verheißung… lästert nicht… lästert nicht… ich fürchte ihn nicht mehr… lästert nicht… wer gebietet mir… führerlos sind wir… daß doch Mose uns erstünde… daß ein Richter unter uns wäre… der König, wo ist er… der Geblendete… blind ist er immer gewesen… er hat uns hinabgestoßen… oh, Ende Israels, Ende Jerusalems… was ziehen wir aus ohne Gott und Gesetz, ohne Führer, der uns weise… oh, Simson, Simson… warum kommt er nicht, der uns ausführet mit starker Hand… nie war größer die Not… ach, er kommt nicht, verloren sind wir… Gott ist gesunken mit seinem Tempel… lästere nicht… lästere nicht… daß er doch käme, der Verkünder, der Befreier…

      EINE NEUE GRUPPE (aus dem Dunkel):

       Hier ist des Marktes Mitte… wer seid ihr… Benjamin sind wir… die Letzten, reihet euch an… nein… nein… wir wollen nicht fressen von eurem Staube… und wir nicht den euren… fort mit den Tieren, führt sie am Zaume… ihr tretet die Frauen… weichet aus… wehe, was stoßet ihr… es ist so dunkel… ach, daß es schon Morgen würde, daß ausginge diese Nacht… wehe, wie Arges wünschest du, bete, daß ewig sie währte, denn die letzte ist sie auf Zions Berge… ja… ja… segne die Nacht, sie birgt unsere Tränen, sie hüllt unsere Schmach… die Sonne von morgen wird uns entblößen und unsere Scham den Heiden zeigen… wehe… betet, daß der Morgen nie komme über unser beladen Haupt… ich kann nicht beten mehr… meine Seele ist starr geworden in Schrecken und mein Herz steinern vor Grauen… selig die unten liegen im Dunkel für ewig und Ruhe haben, selig die Toten Israels, sie dürfen weilen im Schatten der Heimat… ins Diensthaus müssen wir ziehen… ach, bräche doch nie dieser Tag über uns… wehe uns, weh unsern Kindern, den Knechten der Fremde…

      (GELÄCHTER UND TUMULT aus dem Palast. Heraus treten, beleuchtet von Fackeln, die trunkenen chaldäischen Fürsten, grölend und lachend. In ihrer Mitte haben sie einen, den sie fortstoßen, einer zum andern, daß er zwischen ihnen schwankt und immer zu fallen droht.)

      DIE CHALDÄISCHEN KRIEGER (durcheinander):

       So geh doch wider Nabukadnezar… Auf, Erstürmer Babels… nicht falle, du Säule Israels… geh… stoßt ihn weg… er ödet uns… nicht kann er tanzen, wie David, der König… nicht schlägt er die Psalter… lasset ihn… kommt zurück zum Weine… an seinen Weibern erletz ich mich lieber… lasset ihn Dunkel trinken, und trinken wir Wein… kommt… kehret… laßt ihn…

      (DIE KRIEGER kehren lachend und lärmend in den Palast zurück. Der Verlassene bleibt unsicher im Dunkel über der Treppe stehen. Ein matter Strich verwölkten Mondlichtes läßt seinen Schatten schwarz hinter ihm aufstehen, daß er groß und gespenstig scheint.) (DIE MENGE, unten in Schrecken und Staunen wogend, leise flüsternd.)

      STIMMEN:

       Wer ist es… warum haben sie ihn fortgestoßen vom Mahle… wer ist er… wie ein Felsen steht er schwarz… warum spricht er nicht… seine Blicke sind verschnürt… wie er die Hände hebt… wer ist er… nicht nahet ihm… wer mag es sein… ich will sehen…

      (EINIGE der Beherzten sind die Stufen emporgeklommen.)

      EINER (plötzlich aufschreiend):

       Zedekia!

      DIE MENGE (durcheinander):

       Der König… der Geblendete… Gottes Gericht… Zedekia…

      ZEDEKIA (unsicher):

       Wer ruft mich?…

      STIMMEN:

       Keiner ruft dich… Fluch ruft dich und Gottes Gericht… Wo sind die Ägypter… wo ist Zion…

      ANDERE STIMMEN:

       Schweiget!… Der Gesalbte ist er des Herrn… geblendet haben ihn unsere Feinde… Ehrfurcht dem Könige… ehret den Dulder…

      ANDERE STIMMEN:

       Nein, er soll nicht sitzen unter uns… wo sind meine Kinder… gib sie mir wieder… Fluch über den Mörder Israels… sein ist die Schuld… fort mit ihm… warum lebt er, da Bessere starben?

      ZEDEKIA (zu einem, der emporgestiegen ist und ihn leitet):

       Wer sind jene, die wider mich rufen? Ist es Israel, das mir feind ist?

      DER FÜHRENDE:

       Herr, Unglückliche sind es!

      STIMMEN:

       Nicht führe ihn her, gesondert sei unser Los von dem seinen!… abseits möge er sitzen… Gott hat ihn gestraft… Fluch liegt auf ihm…

      ZEDEKIA:

       Fort… führe mich fort… in den Tempel, daß er mich berge vor ihrem Hasse… ich will ihre Stimmen nicht hören… ihr Haß brennt auf meine Wunden… in den Tempel.

      DER FÜHRENDE:

       Herr, der Tempel ist nicht mehr.

      ZEDEKIA:

       Ist der Tempel gefallen… dann falle auch ich… wehe, wer tötet mich, den Blinden… geh… sage ihnen, rufe sie, die mich schmähen, daß sie ein Ende machen.

      DER ÄLTESTE:

       Weichet vom Könige! Ehrfurcht dem Gesalbten des Herrn! Was zerfleischet ihr einander, da der Feind uns würget?

      STIMMEN:

       Ein Fluchbringer ist er… er hat Gottes Haus stürzen lassen… er brach den Eid… nein, lasset ihn… man hat seine Söhne geschlagen… ein Blinder ist er… aber er soll nicht mehr König sein… nein… nein… was soll uns ein Blinder… eine Last ist er… nein, er soll nicht König sein… nein…

      ZEDEKIA (fast weinend in seiner Hilflosigkeit):

       Führ mich fort… meine Augen sind mir genommen… die Krone noch reißen sie mir ab… birg mich… verbirg mich vor ihnen.

      EINE FRAU: Hier ruhe aus… mein König, bette dich hin.

      (ZEDEKIA wird an der Treppe hingebettet, Neugierde drängt um ihn.)

      DER ÄLTESTE:

       Weichet vom Könige! Ehrfurcht dem Gesalbten des Herrn! Unser Führer ist er von Gott.

      STIMMEN:

       Nein… ein Blinder ist kein Führer… wie kann er König sein in Jerusalem, da Zion fiel… Knechte sind wir alle, wir brauchen keine Führer… oh, wir bedürfen eines Erretters… oh, daß Mose uns erstünde… ein Tröster wäre vonnöten, kein Bedrückter… ein Erleuchteter und kein Blinder… niemand kann uns helfen… rüstet zur Reise… sehet das Dämmern… wehe der Tag… oh, Auszug ins Fremde… wehe wir Vertriebenen…