Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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Tausend gab er uns Stärke,

       Wider Zehntausend gab er uns Sieg.

      JAUCHZENDE STIMMEN:

      Posaunen bliesen, es stürzten die Mauern,

       Moab zerknickte, Amalek verging.

       Mit dem Schwerte schlugen wir Wege

       Durch den Zorn der Völker und Zeiten,

       Bis unser Herz die Prüfung bestand,

       Bis wir ihn fanden, den Acker der Ruhe,

       Kanaan, unser verheißenes Land.

       Heimat durften die Schweifenden haben,

       Segnend lösten wir Gürtel und Schuhe,

       Rebe entgrünte dem Wanderstabe,

       Israel blühte, und Zion erstand.

      ALLE STIMMEN:

      Immer waren wir Pflüger im Joche,

       Immer gebeugt und in Dienstbarkeit,

       Doch ewig hat er das Joch uns zerbrochen,

       Aus allen Kerkern uns heimbefreit,

       Wo immer sie Not und Drängung uns schufen,

       Immer hat er uns heimgerufen,

       Und unsern Samen zur Blüte erneut!

      JEREMIAS:

      Und nie wird geschehn, daß er unser vergißt.

       Bedenket, bedenket,

       Daß, wenn er uns niedrigt, daß, wenn er uns kränket,

       Dies Leiden nur Brand seiner Liebe ist.

       So beugt euch, ihr Brüder, dem Joch in Ergebung,

       Segnet die Schickung, so uns geschah,

       Leiden ist Prüfung und Prüfung Erhebung,

       Erniedrigung macht uns nur gottesnah,

       Jeder Sturz führt höher in seine Reiche,

       Denn nur die Besiegten wissen um ihn:

       Ihr Brüder, auf denn! Auf, ihn zu erreichen!

       Auf, Brüder, lasset uns gotteswärts ziehn!

      STIMMEN (ekstatisch):

       Ja, auf, zur Wanderschaft… führe uns an… wie die Väter wollen wir leiden… oh, Auszug und ewige Wiederkehr… auf… auf… hebet an… es ist nahe gen Tag… ziehen wir aus… ziehen wir aus in die Knechtschaft… Gott wird uns erlösen, wie er immer uns erlöset… Alle wollen wir gehen… alle… ja, wir alle…

      DIE STIMME ZEDEKIAS:

       Wehe, wehe! Wer wird mich führen? Nicht lasset mich zurück! Wehe, wehe, wer hebet mich auf?

      JEREMIAS:

       Wes Ruf ist dies?

      STIMMEN:

       Laß ihn… er bleibe… Spreu ist er und verworfen… Du führe uns an, du, Gesegneter… Du sei uns Herr… Laß den Verworfenen…

      JEREMIAS:

       Keiner ist verworfen! Wer rufet, muß erhört werden um unserer aller willen!

      STIMMEN:

       Nicht er… nicht er… Aussatz ist er unseres Volkes… alles Unheils Quelle… Laß den Verstoßenen Gottes… Laß den Verfluchten!

      JEREMIAS:

       Auch ich war ein Verstoßener Gottes, und er hat mich erhört; auch ich war ein Verfluchter, und er hat mich gesegnet! Wo ist er, der aufschrie aus seiner Not, daß ich ihn tröste, wie ich selber getröstet ward?

      STIMMEN:

       Im Dunkel ist er… auf den Stufen… dort, sieh den Gebückten… Gottes Zorn ist auf seinen Hochmut gefallen.

      JEREMIAS:

       Warum naht er nicht? Warum weilet er abseits?

      STIMMEN:

       Sieh doch… seine Sterne sind erloschen… seine Schritte sind irr… er weiß nicht seinen Weg mehr, blind ist er, der Verblendete…

      JEREMIAS (näher tretend, in heißem Erschrecken):

       Zedekia! Mein König!

      ZEDEKIA:

       Bist du es, Jeremias, der mir nahet?

      JEREMIAS:

       Ich bin es, mein König, dein Knecht und Diener Jeremias! (Er beugt sich in die Knie vor dem Könige.)

      ZEDEKIA:

       Wehe, nicht höhne mich, nicht stoße mich fort, wie ich dich von mir stieß! Zu Asche hat dein Wort mich gebrannt, du Gewaltiger, nun schone mein; nicht wirf mich fort, nicht laß mich allein in der Stunde des Schreckens! Sei bei mir, wie du geschworen vor Gottes Antlitz in der Stunde, der letzten, die ich schaute auf Erden.

      JEREMIAS (zu seinen Füßen):

       Ich bin bei dir… mein König Zedekia.

      ZEDEKIA (nach ihm ins Leere tastend):

       Wo bist du? Ich fühle dich nicht!

      JEREMIAS:

       Zu deinen Füßen bin ich, dein Diener und dein Knecht.

      ZEDEKIA (zitternd):

       Nicht höhne mich vor dem Volke, nicht beuge dich dem Gebeugten! Das Salböl ward zu Blut auf meiner Stirne und meine Krone zum Staube.

      JEREMIAS:

       Doch des Leidens König bist du geworden, und nie warst du mehr königlich! Zedekia, mein Herr und König, starr stand ich vor dir, da die Macht in dir war und die Stärke, doch dem Gebeugten Gottes beuge ich mich, des Leidens niederster Knecht. Der Erste hast du getrunken den Kelch unserer Bitternis, der Erste wärest du des Duldens, so mögest du der Erste sein unseres Volkes in alle Ewigkeit und seiner Erlösung Anbeginn. Oh, du König der Leiden, Gesalbter der Prüfung, Israels Herr, erheb deine Stirne, daß sie uns glänze, führe, der du Gott nur schauest und nicht mehr die Erde, führe, führe dein Volk!

      JEREMIAS (aufstehend, zum Volke):

      Sehet, sehet,

       Leidensvolk, Gottesvolk,

       Gott erhörte euer Begehr,

       Er hat euch einen Führer gesandt!

       Der Schmerzengekrönte,

       Der Menschenverhöhnte,

       Wer mag wie er,

       König der selig Besiegten sein?

       Gott hat ihm den irdischen Blick verschlossen,

       Daß er besser schaue sein ewiges Reich,

       Oh, Brüder, wer war je von Davids Sprossen

       Diesem als König der Duldenden gleich?

      ZEDEKIA:

       Wohin führest du mich? Was geschieht mir?

      JEREMIAS:

      Hebet ihn auf,

       Den Hingesenkten,

       Ehrt den Gekränkten

       Mit sorgender Liebe!

       Hüllet um ihn

       Königsgewande

       Und erneuet

       Der Zeichen Gewalt,

       Ehret, oh ehret

       In ihm euer Leiden,

       Als der Erste schreite er aus.

       Zäumet die Rosse,

       Rüstet die Sänfte,

       Fürchtigen Armes

       Hebet ihn hoch,

       Denn er ist

       Heiligste Bürde,

       Israels Hort und königlich Haus.

      (EINIGE führen mit allen Zeichen der Ehrfurcht den