Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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es jauchzen unsere Feinde… oh, Schmach… oh, Qual…

      (DAS LAUTE KLINGENDE TÖNEN kommt näher.)

      STIMMEN:

       Pauken und Zimbeln… sie rufen… sie jauchzen… sie kommen, uns fortzutreiben… Gesang schwillt her… wehe, wehe, wenn unsere Feinde jauchzen… ihren Sieg jubeln sie… verschließet die Ohren… weh, ihrer ist das Frohlocken und unser die Trauer… Schmach, es hören zu müssen… wohin flüchten vor ihrem Hohn… sie danken ihrem Gotte… wem sollen wir klagen?

      (DAS TÖNEN ist ganz nah, man hört einzelne Rufe und Zimbelschläge. Aus dem Dunkel sieht man eine Gruppe Menschen schreiten, die sich jubelnd um eine hohe Gestalt drängen.)

      EINER (aus der Menge):

       Sehet… sehet… der Unseren welche sind es, die nahen…

      STIMMEN:

       Es ist nicht wahr… wie könnten sie jauchzen… Fluch dem Sohn Israels, der frohlockte an diesem Tag… Trunkene müssen es sein… die Unsern sind es… ich erkenne sie… Wer ist es, den sie umschreiten… was geschieht hier… was jauchzen sie… was schlägt die Zimbel das rasende Weib…

      (DIE GRUPPE der Nahenden, mit Jeremias in der Mitte, ist aus der Tiefe ins fahle Morgenlicht getreten. Sie schreiten wie die Trunkenen einher im Taumel, einige ekstatisch, andere wieder ernst und feierlich.)

      STIMMEN DER NAHENDEN:

       Hosianna… Verkündigung… ewig währet Jerusalem… oh, selige Heimkehr, oh, ewige Wiederkehr!… Gesegnet der Tröster, gesegnet die Tröstung… Hosianna… ewig währet Jerusalem…

      STIMMEN DER MENGE (in wilder Erregung):

       Sie sind rasend… was ist geschehen… höret… höret! Hosianna rufen sie… was bringet er… was ist seine Botschaft… er rede auch zu uns… wer ist es… auch zu uns sprich, Verkünder… Oh, Tröstung, wer gibt uns Tröstung…

      EINER:

       Sehet, ist dies Jeremia nicht, den sie umschreiten?

      STIMMEN:

       Ja… nein… dunkel war jenes Gesicht… ein Leuchten ist aber um diesen… doch, sehet, er ist es… er ist es… wie ist er gewandelt… wehe der Flucher… wie kann Süßes kommen von dem Bittern… was folget er uns, der uns verfolgte…

      BARUCH:

       Höret die Tröstung, Brüder, lasset euch speisen mit dem Worte Gottes, mit dem Brote des Lebens!

      STIMMEN:

       Wie kann Tröstung kommen von dem Verfluchten… wie die Geißel schlägt er zu… er wird uns würgen mit dem Wort… genug der Profeten, sie haben uns verredet mit ihren Worten… nein, dieser hat gewarnet… hart ist sein Mund wie ein Schwert… Salz streut er in unsere Wunden… hebe dich fort, Unbarmherziger!

      BARUCH:

       Nein, höret ihn! Das Herz hat er uns erhoben, oh, lasset euch trösten, ihr Gottesbrüder!

      DER KRANKE:

       Ich zeuge für ihn, ich bezeuge ihn! Im Brand meiner Wunde lag ich, ein Siecher, und er hat mich erhoben. Ich zeuge für ihn, ich zeuge…

      STIMMEN:

       Wer ist dieser… höret ihn an… Wunder verheißet er, und wir bedürfen der Wunder… Tröstung will mein Herz… mich trösten einzig Zions Tale… wie kann er trösten… kann er wecken die Toten, kann er aufbaun die zederne Burg… nein, höret ihn… wehe uns…

      DAS WEIB:

       Bileam! Bileam! Bileam! Heil dir, der du kamest zu fluchen Israel, und dreimal hast du uns gesegnet.

      BARUCH:

       Meister, sieh ihren Widerstreit! Mache einig ihr Herz, mache fruchtbar ihre Seelen, hebe auf, hebe auf zu Gott ihre Trauer!

      JEREMIAS (aus dem Kreise vortretend an die höchste der Stufen):

       Meine Brüder, im Dunkel fühle ich eure Nähe und des Dunkels voll eure Seelen. Aber, meine Brüder, warum verzaget ihr, warum klaget ihr?

      STIMMEN:

       Hört ihr den Lästerer… ich habe gewarnt vor ihm… er höhnt uns… er fragt, warum wir klagen… Salz streut er in unsere Wunden… sollen wir jauchzen am Tage unseres Ausgangs… sollen wir vergessen der Toten… er spottet unserer Tränen… schweige… nein, höret ihn… lasset ihn reden…

      JEREMIAS:

       Oh, höret mich, ihr Brüder, höret mich an! Ist denn alles verloren, daß ihr klaget? Sehet und fühlt es mit den Sinnen: das Leben ist euch geschenkt…

      EINE STIMME:

       Wehe, welch ein Leben!

      JEREMIAS:

       Und ich sage euch, wes das Leben ist, dessen ist auch Gott. Nur der Toten ist es, zu schweigen und zu klagen derer, die zur Grube fahren, doch der Lebendigen ist es, zu hoffen. Oh, meine Brüder, nicht klaget und verzaget, solange euch Atem vom Munde fließt, nicht tut auf euren Mund der Empörung und nicht schließet euer Ohr der Tröstung!

      STIMMEN:

       Ach, Trost der Worte, er wärmet nicht… willst du uns aufrichten, so richte auf die Mauern Jerusalems… baue Zions Burg… wehe, er sieht unsere Not nicht… er erkennet unsere Leiden nicht…

      JEREMIAS:

       Ich schaue, meine Brüder, in euer Leiden wie in ein geöffnet Buch, und eurer Schmerzen Schrift ist mir aufgetan; doch, meine Brüder, auch unseres Leidens Sinn sehe ich: ich sehe den Gott darin. Seine Prüfung nur ist diese Stunde, so lasset sie uns bestehen!

      STIMMEN:

       Warum prüfet uns Gott… Warum gerade uns, seine Auserwählten… warum ist so hart diese Prüfung…

      JEREMIAS:

       Damit wir ihn erkennen, sendet Gott uns die Prüfung. Andern Völkern ist klein Zeichen und gering Erkennen gegeben, in Hölzern und Steinen meinen sie des Ewigen Gesicht zu erschauen. Doch unser Gott, unserer Väter Gott, ein verborgener Gott ist er, und erst in der Tiefe des Leidens werden wir seiner gewahr, nur in der Prüfung tut er sich auf seinen Erwählten. Segen, wem sie begegnet, denn was wäre Israel unter den Völkern, prüfte es nicht ewig sein Gott? Wen er liebet, den stößt er hinab in die Tiefe des Lebens, daß er ihn erprobe, und, ihr Brüder, immer hat Gott sein Volk geliebt, immer hat er es hinabgestoßen.

      STIMMEN:

       Ja, er redet recht… nein, gütig ist Gott… verstehet ihn recht… ja, es steht geschrieben: »Selig der Mensch, den Gott strafet, darum weigert euch der Züchtigung des Allmächtigen nicht«… Ja, ja… so steht es geschrieben… nur die Sünder strafet er… was haben wir getan… Vergessen haben wir seiner in Hoffart… nie rief ich ihn an wie jetzt in der Not… wahr redet er… Tröstung ist in seinen Worten…

      JEREMIAS:

       Nur die Geprüften hat er erwählet, und nur den Leidenden gilt seine Liebe. So lasset uns die Geprüften sein und lieben sein Leid, ihr Brüder! Er hat uns brüchig gemacht, daß er tiefer sich senke in unseres Herzens Scholle und wir fruchtend würden seines Samens, er hat uns geschwächet am Leibe, daß er uns stärkte in der Seele. Oh, willig lasset uns eingehen in die Schmelzfeuer seines Willens um der Läuterung willen. Tut, wie eure Väter taten, und weigert euch der Züchtigung des Allmächtigen nicht!

      STIMMEN:

       Geben wir uns hin seinem Willen… gepriesen die Prüfung… ich will die Klage zerschlagen in meinem Munde… ja… auch sie waren in Knechtschaft, und er hat sie erlöset… auch uns wird er hören… ja… ja… oh, daß er unser sich erbarmte… sage, du Verkünder, wird er uns wieder aufnehmen… gibt er uns Erhebung… erlöst er uns von Babel… laß es uns glauben…

      JEREMIAS:

       Glaubet an die Erstehung, ihr Brüder, und ihr seid schon erstanden. Denn wer sind wir, wenn wir nicht gläubig sind? Nicht ward uns wie