Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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grenzenlose Ferne.

      Der alte Mann fühlte die Wandlung mit der ganzen Fülle seines wissenden Herzens. Er spürte, daß er ihr ferner wurde, nicht fremder, und daß er nicht mehr in ihrem Wunsche stand, sondern schon abseits, wie eine milde Erinnerung. Und er freute sich dieses Umschwungs, so sehr er auch Esther liebte, denn er sah junge starke und gütige Triebe in ihr, von denen er hoffte, daß sie schneller die Trotzigkeit und Verschlossenheit ihrer ererbten Art zerbrechen würden als sein Bemühen. Und er wußte, daß ihre Liebe an ihn, den Alten, Absterbenden Verschwendung war, während sie in junges Leben Segnung und Verheißung tragen konnte.

      Wunderbare Stunden verdankte er dieser erwachten Zärtlichkeit Esthers zu dem Kinde. Viele Bilder von bezwingender Schönheit formten sich vor ihm, alle Paraphrasen eines einzigen Gedankens und doch alle verschieden. Bald war es ein zärtliches Spiel: Esther mit dem Kinde tändelnd, selbst ganz Kind in ihrer unbändigen Mitfreude, geschmeidige Bewegungen ohne Härte und Leidenschaft, milde Farben in sanfter Vereinung, zärtliches Zusammenfließen zarter Formen. Und dann wieder Augenblicke der Stille, wenn das Kind träge auf dem weichen Schoße eingeschlafen war und die schmalen Hände Esthers über ihm wachten wie zwei Engel, wenn in ihren Augen jene zärtliche Freude seligen Besitzes aufglänzte und die verschwiegene Leidenschaft, das schlafende Antlitz mit Zärtlichkeiten zu erwecken. Dann wieder Sekunden, da sich die vier Augen ineinander einsenkten, unwissend, unbewußt und suchend die einen, innig hingebend und selig leuchtend die andern. Dann waren wieder Momente entzückender Verwirrungen, wenn das Kind mit seinen unbehilflichen Händen an der Brust des Mädchens emportastete, von der es die mütterliche Spende erwartete; dann rötete wieder die Scham Esthers Wangen wie rosiges Licht, aber es war keine Angst mehr, die sie erfüllte, und kein Unwille, sondern nur eine verlegene Aufwallung, die in ein beglücktes Lächeln zerrann.

      Und diese Tage wurden die Schöpferstunden des Bildes. Aus tausend Zärtlichkeiten schuf er eine, aus tausend tändelnden, beseligten, ängstlichen, glücklichen, innigen Blicken einen Mutterblick. Ein stilles großes Werk wuchs empor. Ganz schlicht war es. Ein spielendes Kind und eines Mädchens sanft sich niederneigendes Haupt. Aber die Farben waren mild und klar, wie er sie nie gefunden, und die Formen standen so scharf und klar, wie dunkle Bäume gegen die heilige Glut des Abends. Es war, als müßte irgend ein inneres Licht verborgen sein, von dem sich jene geheime Helle entzünde, eine Luft in ihm weben, die weicher, umschmeichelnder und klarer sei als die aller irdischen Welt. Nichts Überirdisches war darin und doch eine heimliche Mystik des Lebens, das es geschaffen. Denn zum ersten Mal fühlte der alte Mann, der in seiner langen emsigen Schaffenszeit stets sorglich Strich an Strich gesetzt, ein inneres Wachsen und Werden an seinem Bilde, von dem er nichts wußte. Wie in der alten Volksmäre die zauberischen Geister ihre Werke erschufen, verborgen und doch mit so schaffender Eile, daß des Morgens die Menschen mit staunenden Augen die nächtige Vollendung schauten, so fühlte der Maler, wenn er nach Minuten schöpferischen Rausches vom Bilde zurücktrat und es mit prüfendem Auge betrachtete. Wieder pochte der Gedanke des Wunders an sein Herz, das kaum noch zögerte, ihm Einlaß zu gewähren. Denn dieses Werk schien ihm nicht nur seines ganzen Ringens leuchtende Blüte, sondern etwas viel Ferneres und Höheres, das sein niederes Werk nicht würdig sei zu tragen, wenn auch als seine Krönung. Und seines Schaffens Heiterkeit senkte sich tiefer und wurde fürchtige Stimmung, ein Bangen vor diesem eigenen Werk, in dem er sich nicht mehr wieder zu erkennen wagte.

      So wurde auch er Esther ferner, denn sie schien ihm nur die Mittlerin des irdischen Wunders, das er vollbracht. Mit alter Güte behütete er sie, aber seine Seele erfüllte sich wieder mit den frommen Träumen, die er schon ferne geglaubt. Die schlichte Kraft des Lebens ward ihm mit einem Male so wunderbar. Wer konnte ihm Antwort geben? Die Bibel war alt und heilig, sein Herz aber irdisch und stand noch tief im Leben. Durfte er da fragen, ob die Schwingen Gottes hinabrauschten bis in diese Welt? Gingen noch heute Zeichen Gottes durch die Welt, oder waren es nur schlichte Wunder des Lebens?

      Der alte Mann überhob sich nicht, da Antwort wissen zu wollen, so Seltsames auch in seinem Leben geschah. Aber er war seiner selbst nicht mehr so sicher wie einst, da er an das Leben glaubte und an Gott und nicht nachsann, wer die Wahrheit war. Und jeden Abend umhüllte er sorglich das Bild. Denn einmal in diesen Tagen, als er heimgekehrt war und der silberne Schein des Mondes segnend über dem Bilde hing, da war es ihm, als hätte die Gottesmutter ihm ihr Antlitz enthüllt. Und wenig fehlte, daß er sich betend hingeworfen hätte vor seinem eigenen Werk…

      In diesen Tagen aber geschah noch ein anderes im Leben Esthers, das nichts Seltsames und Unwahrscheinliches war, aber doch wie ein aufwirbelnder Sturm bis in die Tiefen ihres Lebens hinabgriff, daß sie erschauerten in wildem und unverständlichem Schmerz. Sie fühlte die ersten Mysterien der Reife und ward Weib aus einem Kinde. Viel ratlose Verwirrung erfüllte ihre Seele, die niemand führte und unterwies, die einsam einen wundersamen Weg zwischen tiefen Dunkelheiten und mystischem Leuchten ging. Und viel Sehnsucht ward wach, die keinen Weg wußte. Ihr unbändiger Trotz, der früher allen Gespielen abweisend ausgewichen war und jedes unnötige Wort mit ihrer Umgebung vermieden hatte, brannte wie ein Fluch in diesen Tagen dunkler Verlorenheit. Denn so fühlte sie nicht die heimliche Süße, die in diesem Werden sich birgt, wie eine Saat, deren Fülle noch ferne ist, und nur der dumpfe, irre und so einsame Schmerz blieb zurück. Und in diese Unwissenheit glänzten die Legenden und Wunder, von denen der alte Mann ihr erzählt, wie verführerische Lichter, denen ihre Träume in die unsinnigsten Möglichkeiten gierig folgten. Die Erzählung von der milden Frau, deren Bild sie gesehen, die Mutter ward nach wundersamer Verkündigung, durchbebte sie mit einer jähen und fast freudigen Angst. Und doch wagte sie nicht zu glauben, denn noch von anderem war da gesprochen worden, das sie nicht verstand. Aber sie meinte, daß in ihr selbst irgend ein Wunder wirke, weil sie sich so verändert fühlte in ihrem ganzen Empfinden, weil die Welt und alle Menschen um sie mit einem Male anders zu sein schienen, tiefer, seltsamer und voll geheimer Triebe. Alle Dinge schienen zusammen zu gehören und ein inneres Leben zu haben, das sich entgegendrängte und wieder zurückstieß, eine Gemeinsamkeit, von der sie nicht wußte, wo sie sich berge; ihr schien alles zusammenzuhalten, was so vereinzelt stand. Und sie selbst fühlte diese innere Kraft, die sie hineinzog in das Leben und zu den Menschen, aber sie war unsinnig und wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte und hinterließ nur diesen gleichen drängenden, pressenden und quälenden Schmerz unverbrauchter Sehnsucht und unterbundener Kraft.

      Was Esther bisher unmöglich erschienen, versuchte sie jetzt in verzweifelten Stunden, wenn ihre Verlorenheit sich erkannte und die Sehnsucht nach einem Dinge, an das sie sich anklammern könnte, ihr Herz überwältigte. Sie sprach mit ihrem Ziehvater. Bisher war sie ihm ausgewichen, instinktiv, weil sie die Ferne fühlte, die zwischen ihnen war. Aber nun stieß sie dieser blinde Drang über die Schwelle. Sie sprach mit ihm von allen Dingen, erzählte ihm von dem Bilde, griff tief in sich hinein, um aus diesen Stunden etwas emporraffen zu können, was ihm von Wert sein könnte. Und der Wirt, sichtlich erfreut über diese Wandlung klopfte ihr derb begütigend auf die Wangen und hörte zu. Manchmal warf er ein Wort drein, aber es war so lässig und unpersönlich wie die Gebärde, mit der er den zerkauten Tabak zur Erde spuckte. Schließlich erzählte er selbst in seiner ungeschickten Weise, was gerade vorgegangen war, aber Esther horchte vergebens. Er wußte ihr nichts zu sagen, er versuchte es gar nicht. Alle Dinge schienen nur bis an seinen Körper heranzukommen und nichts nach innen zu fließen, eine Gleichgültigkeit gegen alles schlug ihr aus seinen Worten entgegen, die sie mit Ekel erfüllte. Was sie früher nur dumpf geahnt, wußte sie jetzt: es gab keinen Weg von solchen Menschen zu ihr und ihrer Seele. Es gab ein Nebeneinandersein, aber kein Erkennen, eine Öde und kein Verständnis. Und er schien ihr noch der beste von all den Menschen, die in dieser traurigen Kneipe aus und ein gingen, weil eine gewisse biedere Derbheit in ihm war, die in manchen Augenblicken sogar Herzlichkeit werden konnte.

      Diese Enttäuschung aber konnte die drängende Kraft dieser unbändigen Sehnsucht nicht zerbrechen und die ganze Wucht strömte wieder zu den beiden Wesen zurück, die Aufgang und Niedergang ihres Tages umspannten. Sie zählte die einsamen Stunden der Nacht, die sie noch vom Morgen entfernten, mit Inbrunst und die Stunden des Tages, die vor ihrem Besuche bei dem Maler lagen, mit fiebernder Glut, die sich auf ihrem Antlitz verriet. Und einmal auf der Gasse warf sie sich ganz in den Arm ihrer Leidenschaft, wie ein Schwimmer in eine aufschäumende Flut, und stürmte wie verzweifelt durch die ruhig vorwärtsstrebenden Menschen, um