Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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hatte in dieser Zeit der Umformung Gewalt über sie gewonnen und gab ihr eine wilde begehrliche Schönheit.

      Und diese gierige, fast verzweiflungsvolle Art ihrer Zärtlichkeit ließ sie das Kind vor dem alten Manne bevorzugen, in dessen freundlicher inniger Milde etwas Ablehnendes, Abgeklärtes gegenüber aller stürmischen Leidenschaft lag. Er wußte nichts von der fraulichen Wandlung Esthers, aber er ahnte sie aus ihrem ganzen Wesen, dessen so jäh erwachte Ekstatik ihn befremdete. Ihr Schranken zu setzen, versuchte er nicht, weil er die elementare Kraft spürte, die sie vorwärts trieb in diese zähe Leidenschaft. Und er verlor darum nicht die väterliche Liebe zu diesem einsamen Kinde, wenngleich auch sein Sinn sich ganz wieder dem fernen Spiel der geheimen Lebenskräfte zugewandt hatte. Er freute sich ihrer Gegenwart und suchte sie sich zu bewahren. Das Bild war schon vollendet, er sagte es aber Esther nicht, weil er sie nicht trennen wollte von dem Kinde, das sie mit Zärtlichkeit gleichsam überflutete. Ab und zu tat er noch einen Pinselstrich, aber es waren immer nur unwichtige Äußerlichkeiten, ein Faltenwurf, eine leichte Schattierung des Hintergrundes oder eine flüchtige Nuance im Spiel des Lichtes. Dem eigentlichen Gedanken des Bildes und seiner innerlichen Empfindung wagte er nicht mehr zu nahen, denn der Zauber der Wirklichkeit war langsam gewichen und das Doppelantlitz des Bildes schien ihm das vergeistigte Wesen jenes wundervollen Schöpfertraumes, der ihm immer weniger Vollführung irdischer Kraft schien, je weiter zeitlich die Erinnerung jenes Augenblickes zu verdämmern begann. Jeder Versuch der Verbesserung schien ihm nicht nur Torheit, sondern Sünde. Und im Innersten beschloß er, nach diesem Werke, da seine Hand offenbarlich geleitet war, nicht weiteres Stümperwerk zu schaffen, sondern seine Tage in tieferer Frömmigkeit und in Erspähung der Pfade zu verbringen, die sein Leben emporführen könnten in jene Höhen, deren goldenes Abendleuchten er in diesen späten Lebensstunden noch verspürt hatte.

      Esther spürte mit dem feinen Instinkte, den die Verwaisten und Zurückgestoßenen in ihren Seelen wie ein geheimes Netzwerk empfindsamer Fäden haben, das alle Worte und auch die verschwiegenen umspannt, die leichte Entfernung des alten und ihr so lieben Mannes, und sie litt beinahe unter seiner gleichen milden Zärtlichkeit; sie fühlte, daß sie gerade jetzt seines ganzen Wesens und der befreiten Fülle seiner Liebe bedurft hätte, um ihre Seele mit ihren wachsenden Schmerzlichkeiten offenbaren zu können und Antwort zu verlangen von den Rätseln, die sie umringten. Sie horchte auf den Augenblick, da sie die Worte aus sich befreien konnte, die in ihr drängten und überschäumten, aber das Erwarten ward endlos und machte sie müde. Und da wandte sie ihre ganze Zärtlichkeit dem Kinde zu. Ihr ganzes Empfinden formte sie in diesen kleinen unbeholfenen Körper, den sie mit heißer Gewalt umfing und küßte, so ungestüm und vergessend, daß das Kind oft nur den Schmerz der Umarmung spürte und zu klagen begann. Dann wurde sie zurückhaltend, behütend, beruhigend, aber auch diese Ängstlichkeit war Ekstase, sowie ihr Empfinden kein mütterliches war, sondern ein ängstlich-suchendes Emporwallen erotischer und dumpf sehnsüchtiger Triebe. Eine Kraft in ihr drängte empor, und ihre Unwissenheit ließ sie an diesem Kinde verschäumen. Es war ein Traum, den sie lebte, und eine schmerzliche Betäubung; sie hielt sich nur krampfhaft an dieses Wesen, weil es ein warmes Herz hatte, das pochte, so wie das ihre, weil sie alle Zärtlichkeiten, die in ihr glühten, an diese stummen Lippen verschenken konnte, weil ihre Arme, in denen eine unbewußte Sehnsucht war, ein Lebendes umklammern konnten, ohne den Augenblick der Beschämung fürchten zu müssen, der sie überfiel, wenn sie sich nur mit einem einzigen Worte einem Fremden anvertraut hätte. Stunden und Stunden verbrachte sie so, ohne zu ermüden und ohne zu fühlen, wie sie sich selbst betrog.

      Dieses Kind umschloß nun für sie den Begriff des Lebens, nach dem sie sich so wild gesehnt. Rings um sie verwölkten sich die Zeiten, sie merkte es nicht. Abends standen die Bürger zusammen und sprachen von der alten Freiheit und dem guten König Karl, der sein Flandern so sehr geliebt, mit Bedauern und heimlichem Zorn. Unruhe wühlte in der Stadt. Die Protestanten einten sich insgeheim, lichtscheues Gesindel rottete sich zusammen, kleine Aufstände und Zusammenstöße mit den Soldaten häuften sich, getragen von drohenden Botschaften aus Spanien; und in diesem unruhigen Gezänke wetterleuchteten schon die ersten Flammen von Krieg und Rebellion. Die Vorsichtigen begannen schon jetzt ihren Blick gegen das Ausland zu richten, die andern trösteten und beruhigten sich, aber das ganze Land war mitgerissen in eine fröstelnde Erwartung, die sich in jedem einzelnen spiegelte. In der Schenke setzten sich die Männer in den Ecken zusammen und sprachen mit gedämpfter Stimme, und zwischen ihnen durch scherzte der Wirt in seiner derben Weise von Krieg und seinen Schrecknissen, doch das Lachen wollte allen nicht recht aus der Kehle. Die sorglose Fröhlichkeit der üppigen Menschen verlosch in Angst und unruhiger Erwartung.

      Esther fühlte nichts von dieser Welt, nicht ihre gedämpfte und furchtsame Art und nicht ihr geheimes Fieber. Das Kind war still wie immer und lachte sie in seiner unbeholfenen Weise an, – so merkte sie keine Veränderung in ihrer Umgebung. Ihr Leben trieb einer einzigen Strömung nach in eine unselige Verwirrung; die Dunkelheit um sie ließ die phantastischen Träume ihrer leeren Stunden ihr als Wirklichkeit erscheinen, so ferne und fremd, daß sie für immer verloren war für die kühle besonnene Verständigkeit der Welt. Ihre erwachte Weiblichkeit schrie nach einem Kinde, aber dieses bange Mysterium wußte sie nicht, sondern sie erträumte es sich in tausend Formen, in der schlichten Wunderbarkeit der biblischen Legende, wie in der zauberischen Möglichkeit einsamer Phantasieen. Hätte ihr jemand dieses Rätsel des Alltags in einfachen Worten erklärt, so hätte sie vielleicht mit jenem verschämt betrachtenden Blicke wie sie Mädchen in dieser Zeit haben, die Männer gemustert, die an ihr vorbeigingen. So aber dachte sie ihrer nicht, sondern sah nur die Kinder auf den Straßen spielen und dachte träumerisch jenes seltsamen Wunders, das ihr vielleicht auch eines Tages ein solches rosiges spielendes Kind schenken könne, ein Kind, das ganz ihr gehörte und ganz ihre Seligkeit wäre. Und so unbändig war der Wunsch in ihr, daß sie sich vielleicht dem ersten besten hingegeben hätte, alle Scham und Ängstlichkeit vernichtend, nur um dieses ersehnten Glückes willen; aber sie wußte nichts von dieser schöpferischen Einung, und ihre Sehnsucht ging blinde und nutzlose Pfade in die Irre. Und so kehrte sie immer und immer wieder zu diesem fremden Kinde zurück, das ihr schon wie ein eigenes schien, so innig war ihre Zärtlichkeit geworden.

      So kam sie eines Tages zu dem Maler, der mit geheimer Unruhe ihre übertriebene und fast krankhafte Leidenschaft zu dem Kinde bemerkt hatte, mit ihrem leuchtenden Gesicht und der funkelnden Unrast in den Augen. Das Kind war nicht, wie gewohnterweise, zur Stelle. Das beunruhigte sie, aber um es nicht einzugestehen, trat sie auf den alten Mann zu und fragte ihn nach dem Fortgang des Bildes. Das Blut stieg ihr in die Wangen bei dieser Frage, denn mit einem Male fühlte sie die stumme Beleidigung aller dieser Stunden, in denen sie nie Aufmerksamkeit weder ihm noch seinem Werke geschenkt. Die Vernachlässigung dieses so gütigen Menschen drückte sie wie eine Schuld. Aber er schien nichts zu bemerken.

      »Es ist fertig, Esther«, sagte er mit einem leisen Lächeln, »und sogar schon lange. Nächster Tage werde ich es übergeben.«

      Sie wurde blaß. Eine böse Ahnung befiel sie, die sie nicht auszudenken wagte. Ganz leise und verschüchtert fragte sie. »Und ich darf dann nicht mehr zu Euch kommen?«

      Er streckte ihr beide Hände entgegen. Es war die alte milde bezwingende Gebärde, die sie immer wieder gefangen nahm. »So oft du willst, mein Kind. Und je öfter, desto lieber. Du siehst ja, daß ich hier einsam bin in meiner alten Stube und, wenn du da bist, dann ist es allein fröhlich und hell den ganzen Tag. Komm oft, recht oft, Esther.«

      Ihre ganze alte Liebe zu diesem Manne flutete auf, wie wenn sie nun alle Dämme überrauschen wollte und sich in Worten ergießen. Wie groß und gut war er! War seine Seele nicht wahr und die des Kindes nur ihr eigener Traum? Ihr Vertrauen war wieder groß in diesem Augenblick, aber der Gedanke ihres Lebens hing noch lastend über dieser reifenden Saat wie eine Gewitterwolke. Der Gedanke an das Kind peinigte sie. Sie wollte diese Qual unterdrücken, sie preßte das Wort immer hinab und hinab, aber es quoll auf, ein wilder verzweifelter Schrei. »Und das Kind.«

      Der alte Mann schwieg. Aber seine Züge wurden härter, beinahe unbarmherzig. Daß sie in diesem Augenblicke, da er ganz ihre Seele sein Eigen hoffte, seiner vergaß, das stieß ihn zurück wie ein zorniger Arm. Kalt und gleichgültig sagte er: »Das Kind ist fort.«

      Er fühlte ihre Blicke gierig und in einer rasenden Verzweiflung an seinem