Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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war, und kehrte mit Schritten zurück, die wie Aufstampfen klangen, und einem Gesicht, in dem bittere Entschlossenheit wetterleuchtete.

      Zu bittere Entschlossenheit, so bitter, daß der Trotz dieses herrischen Antlitzes mir wie der Schmerz des eigenen jungen Herzens wehtat und eine Bekümmernis über mich kam, an der ich nach dem Zubettgehen stundenlang litt, weil mir nichts Rechtes einfiel, wie ihr abzuhelfen und meinem Vater die alte frohe Kühnheit wiederzugeben sei. Ich lag und blickte den blassen Strahl entlang, den der Mond durch das Dachfenster in die tiefe Finsternis der Kammer spielen ließ und baute ruhelos abenteuerliche Pläne zur Errettung meines Vaters, den in meiner leidenschaftlichen Phantasie ein Heer ekler Feinde umgab; oder kroch unter die Decke und verfiel in schmerzvolles Hinschummern, das in stummem Weinen endete.

      Dann kam die Nacht, die über meines Vaters Schicksal entschied. Sie stand in mitternächtiger Bläue draußen und sah mit einem gelben, blinzelnden Stern durch die Dachluke auf mich. Da knisterte es in der Kammertür, und bald darnach wurde der hölzerne Riegel weggezogen, fiel herunter und baumelte einigemal an seiner Schnur hin und wieder. Ich streifte erschrocken das Deckbett ein wenig von der Brust und richtete mich halb auf, um den späten Eindringling zu erkennen. Aber es war plötzlich wieder ganz still, und ich sah nichts als schwere Ballen, die auf mich zurollten und dahinter ein Etwas, das, hochaufgerichtet, stutzte und mit unsichtbaren, zwingenden Augen mich betrachtete. In lähmendem Schrecken rief ich nach meiner Mutter und sank dann zurück. Und wahrend ich in Angst alle mir bekannten Gebete durcheinanderwirbelte, näherte es sich mit streichenden Schritten meinem Bette, blieb stehen, schob die Decke von meinem Leibe, ergriff die kraftlos herunterhängende Hand, drückte sie gebietend und entfernte sich mit denselben über die Diele wehenden Schritten. Die Tür ging knisternd, der Riegel klappte gegen das Holz. Darauf war wieder nichts als die stille Finsternis um mich, aus der eine Erwartung auf mich einfloß, der stürmisch atmend auf seinem Lager lauerte und beklommen grübelte, was das zu bedeuten habe. Auf einmal fiel eine Hülle in mir nieder, ein Schatten, und ich wußte, daß ich hinunter müsse, um unser Haus zu bewachen. Jede Angst war in diesem Augenblicke aus meiner Seele geblasen. Ruhig stieg ich aus dem Bett, kleidete mich an, tastete nach den Streichhölzern und schlich auf den Socken durch die Tür, die durch den Riegel verwahrt war, wie immer. Es fiel mir gar nicht ein, darin einen Widerspruch gegen die Tatsächlichkeit des geheimnisvollen Vorganges zu finden, so sehr wirkte er in meinem Innern schon gleich einem lange gefaßten Entschluß. Mit einer Überlegenheit, die mir noch heut unbegreiflich ist, überzeugte ich mich davon, daß die große Stube, deren Fenster nach dem Burgberg zu gingen, unverschlossen sei und huschte dann über die zweite Stiege in den unteren Flur, um vorsichtig die Haustür aufzuschließen. Es kostete mich einige Mühe, mit dem ungefügen Schlüssel das verrostete Schloß zu bewegen, und ich mußte wegen des Kreischens einigemal absetzen, weil ich meine Eltern nicht stören wollte, die, nur durch den kurzen Flur von mir getrennt, in dem kleinen Alkoven neben unserer Wohnstube schliefen. Endlich war alles vorbereitet, die schwere Tür nur angelehnt und die Klingel abgestellt. In einem Anflug von Furchtsamkeit tastete ich ohne bestimmte Absicht in die Ecken und kam an ein handliches, nicht zu schweres Kummetholz, das ich als einzige Waffe mit mir nahm. Und nun sah ich droben in der Stube, die auch als Vorratsraum diente und spähte durch das geöffnete Fenster auf die Straße. Die einzige Laterne an Mahn-Fleischers Hausecke hatte längst ihr rotes Auge geschlossen, und es war, als blicke ich in eine finstere Schlucht hinunter, vollgesackt von lautlos dumpfer Enge. Nur der Adler auf dem Wartturm knarrte dann und wann über die Dächer, daß es wie verhaltenes Schnarchen klang. Da pfiff der Nachtwächter eins und ging dann den Berg hinauf durch den Torbogen. Seine großen Stiefeln knallten wie Schüsse gegen das Pflaster. Danach mummelte wieder nur die schwarze Stille in der Schlucht. Ich sah auf die wenigen Sterne am tiefdunklen Himmel. Sie blinzelten müde wie die Augen schläfriger Tiere. Nur manchmal kam ein gieriges, wildes Aufflackern, wie traumhafte Raublust, in sie. Eine zähe, beklommene Schlaffheit spann sich daraus über mich, daß ich die Stirn in die Hand stützen muhte. Dann hatte ich ein Gefühl, als sinke ich hinaus in den leeren Raum. Da ging es ganz leise: klapp, klapp, stand still und wieder klapp, klapp, klapp; und ich dachte, es seien die Sterne, die aufeinander Jagd machten. Dann horte ich unterdrücktes, schleimiges Husten. Wie weggehauen war der Schlaf. Wenige vorsichtige Sätze brachten mich an die Tür, die ich lautlos öffnete und hinausschlüpfte. Neben dem Hauseingange stand auf dem Bürgersteig eine kurze Leiter. Dies sehen und mit ganzer Wucht gegen den Leiterbaum rennen, war eins. Mit einem leisen Fluch stürzte ein Mensch herunter, wie ein Sack dem Lastträger von dem Rücken fällt und blieb lautlos liegen. In meiner Bestürzung griff ich um mich, wühlte in meinen Hosentaschen, erwischte die Streichhölzer und leuchtete über den Gefallenen hin, ihm ins Gesicht. Es war Rinke. Er lag, anscheinend leblos, mit offenem Munde da, und aus einer Stirnwunde quoll dunkles Blut. Da verließ mich die Beherrschung. Entsetzt floh ich ins Haus, rüttelte wie wahnsinnig an der Schlafstube meiner Eltern und schrie: Vater, mach' auf! Ich hab' ihn. Um Gottes willen. Vater! In den Unterhosen stürzte der Gerufene zu mir heraus. Ich stotterte: Rinke liegt draußen auf dem Pflaster; ich hab' ihn tot gerannt! Schon erschien auch meine Mutter auf der Schwelle, totenblaß, die Laterne hochhaltend, daß ihr Schein über uns floß. Mein Vater nahm sie ihr aus der Hand und gebot mir: Komm mit, aber sprich kein Wort mehr!

      Mit großer Anstrengung folgte ich dem Voranschreitenden; aber an der Tür begannen mir die Knie zu zittern, und erschöpft sank ich auf die dort stehende Hausbank. Nach einer Weile trat mein Vater vor mich, in der einen Hand die Laterne, in der anderen ein zerbrochenes Töpfchen, aus dem schwarze Farbe floß und eine Schablone. Er fragte mich etwas und rüttelte an mir, weil ich nicht antworten konnte. Dann fühlte ich mich noch hilflos lächeln, mir schwand die Besinnung nicht im Rauch der Ohnmacht, sondern die wohligen Schatten des Schlafes fielen so schnell über mich, daß ich nur noch bemerkte, wie meine Mutter aus einer grenzenlos tiefen Nacht sich zu mir niederbeugte. Ich schlang meine Arme um ihren Nacken und ward davongetragen.

      – – – – – – –

      Am andern Morgen fand ich mich in dem Schlafzimmer meiner Eltern. Das Fenster stand auf, und die frohe Sonne eines ungemein warmen Februartages lachte herein. Vom Spitalgarten herüber hörte ich das Pfeifen der ersten Stare. Ein Gefühl tiefer, kraftvoller Beglückung erfüllte mein Herz so ganz, daß mir vorerst keine Bedenken kamen, warum ich nicht in meiner Kammer liege. Als aber bald darauf meine Mutter eintrat, sich über mich beugte und besorgt fragte, wie es mir gehe, standen plötzlich die Ereignisse der Nacht greifbar deutlich vor mir. Vor allem sah ich den Tischler Rinke mit offenem Munde und blutiger Stirn daliegen und erkundigte mich in großer Angst, ob er wirklich tot sei. Zu meinem Staunen schüttelte die Mutter den Kopf, gab mir den Rat, recht tief ins Bett zu kriechen und ruhig liegen zu bleiben, denn offenbar sei das Fieber noch nicht von mir gewichen. Ich sollte Fieber gehabt haben, und alles Tolle dieser Nacht war nur eine Halluzination meines blutüberfüllten Hirns gewesen? Aufgeregt wehrte ich mich gegen diese Ansicht meiner Mutter, setzte mich im Bett auf und erzählte, um sie vom Gegenteil zu überzeugen, bis in alle Einzelheiten, bis auf meine Empfindungen den ganzen Hergang, wie das Unsichtbare bei mir eingetreten sei, mich aus der Kammer gelockt, kurz, alles genau, wie es vor sich gegangen war, und daß ich endlich auf der Hausbank in Schlaf gesunken sei. Während ich sprach, war auch mein Vater eingetreten. Er gab mir ein Zeichen, ruhig fortzufahren, setzte sich auf einen Stuhl und hörte aufmerksam zu. Sein Gesicht war blaß, voll schmerzlichen Ernstes, und über seinen Augen lag eine Stumpfheit. Zuweilen sahen sich meine Eltern mit langem Blick an und bewegten dann verneinend den Kopf, als ständen sie vor einem Unbegreiflichen. Fliegend und stotternd kamen die Worte aus meinem Munde, je nachdem die Freude an meinem Heldenmute sie beflügelte oder die Furcht vor dem Urteil meines Vaters sie mir auf der Zunge zerbrach. Am Ende wurden sie von Schluchzen ganz erwürgt, denn das Entsetzen, das mich von dem anscheinend toten Tischler ins Haus gejagt hatte, nahm wieder Besitz von mir, und verzweifelt weinend grub ich das Gesicht in die Kissen, weil ich glaubte, einen Mord begangen zu haben, alles sei für mich vorbei, und meine Eltern, anstatt befreit, seien von mir vor allen geschändet. Meine Mutter überließ mich nur Augenblicke dieser Zerrissenheit. Sie richtete mit liebreichen Armen mich auf und sprach mir Trost zu: In Fieberzuständen, zu denen ich so leicht neige, kämen allerhand wilde Gesichte über den Kranken. Die Erregung, aus der sie geboren würden, wirke noch in das Wachsein hinein, und so erschienen uns die Fratzen der kranken Hitze auch dann noch als wirkliche Wesen, wenn sie schon erloschen seien. Sie habe