Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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lange hinaus, und jedesmal fühlte ich dann, wie die Augen meines Vaters in trauervoller Freude auf mir ruhten, und zugleich wußte ich auf geheimnisvolle Weise, daß die Nachricht von Rinkes Reise ihn noch tiefer verwunden mußte und schwieg.

      Von diesem stummen Bohren wurde mein Vater einige Tage gebunden, und immer folgten mir seine überlegenden Blicke. An einem Abende, das Dämmern fiel wie ein tiefer Aschenschleier vor den Fenstern nieder, rief er mich vor seine gebeugte Stirn und fragte, ohne das Gesicht zu erheben, ob ich zu Ostern aus der Schule komme. Dann sagte er, ich sei anfällig und so zart gebaut, daß ich unmöglich ein Handwerk ergreifen könne. Das war nun nicht wahr, denn überall ordneten sich nach kurzer Zeit die Knaben willig unter meine umsichtige Kraft. Einen Augenblick kam mir eine Versuchung zum Widerspruch. Doch da hob mein Vater sein Gesicht; es war weiß, und sein Auge packte mich, daß mir das Wort in der Kehle sitzen blieb. »Nun,« sagte er, »aber du scheinst mir nicht auf den Kopf gefallen zu sein. So sollst du Lehrer werden. Das Geschäft geht zwar schlechter, aber ich hoffe, dich durchhalten zu können. Du bist mein Sohn. So weiß ich, daß du mir unmöglich Schande machen kannst. Gib mir deine Hand darauf.« Ich legte zaghaft meine Rechte in seine Hand. Er schüttelte sie heftig, damit ich das Jucken darin nicht wahrnehmen sollte. Aber es arbeitete trotz des festen Griffes so heftig in seinen Fingern, daß ich bestürzt in sein Gesicht sah. Aus seinem Munde kam ein seltsames Blasen, zugleich knirschte er mit den Zähnen, und seine Lippen zitterten. Mit aller Gewalt kämpfte er gegen die Rührung, die ihn zu übermannen drohte. Plötzlich schleuderte er meine Hand aus der seinen und stürmte zur Tür hinaus. Seine Schritte verklangen auf der knarrenden Stiege in die Werkstatt. Langsam löste sich die Beklemmung von meiner Brust. Ich fiel der Mutter um den Hals und gestand ihr unter Tränen, ich wollte nicht Lehrer, sondern Schiffskapitän werden. »Kind,« sagte sie. »denk' doch, das große Wasser, und wie weit es is!« »Wenn's aber ginge. Mutter«, schmeichelte ich. »Der Vater will's nich.« antwortete sie. »und Vaters Segen baut den Kindern Häuser.«

      – – – – – – –

      Man müßte Menschen, die uns enttäuschen, aus sich entfernen, wie man einen Schluck lauen Wassers ausspeit, sie abtun, wie man den Schweiß von seinen Fenstern wischt. Aber nur die Wertlosen und die Heiligen können das. Für den großen Menschen bedeutet dieser Betrug einen Speerstoß, dessen Wunde nie mehr zuheilt. Denn ich bin gerade so tief in anderen als in mir. So kam mein Vater über den Schimpf und die Schande, die ihm der Tischler Rinke angetan hatte, nicht hinweg und brachte es doch auch nicht über sich, diesen Treubruch und mit ihm eine Menschenbeziehung, die wohl einst seine ganze Seele erfüllt hatte, durch die Gerichtsstuben zu schleifen. Hastig trieb er sein Werk; bitter spornte er seine Leute. Das Essen verschlang er ohne zu kosten, und seine Ruhe war ein Versinken, aus dem er mit dem Lächeln des Selbsthohnes erwachte, meine Mutter, die ihn zu Vergeltungsmaßregeln stachelte, sah er auf das Höchste erstaunt an und ließ sie stehen. Einmal aber, als sie zu sehr in ihn drang, faßte er mit flachen Händen ihren Kopf, als wolle er sie so emporheben und schüttelte ihn leidenschaftlich. Sein Gesicht trug dabei einen Zug bitterster Überreizung, und er rief fortwährend:

      »Wach auf, Weib! Wach auf, Weib!«

      Und doch hätte er aufwachen sollen. Denn nachdem Rinke zurückgekehrt war, stürzte er sich in ein turbulentes Leben. Wo eine Fiedel klang oder sich eine Maste drehte, an den Tischen angesehener Zechbrüder, oder wo die Karten ihr buntes Rad schlugen, war er dabei. Er nahm die Gepflogenheit törichter Müßiggänger an, mit Alkohol sich auf das Mittagsmahl und den Schlaf vorzubereiten, und bildete er bei den Veranstaltungen der Honoratioren auch nur ein geduldetes Anhängsel, so überbrückte der sonst so melancholisch Gedankenvolle die Kluft durch laute Witzeleien und aufdringliche Vertraulichkeit. Wie oft hörte ich nicht sein trunkenes, schrilles Lachen tief in der Nacht an unserm Hause vorbeitorkeln, und mir war es dann, als wiehere er vor Hohn über meinen Vater. Den aber lockte dies herausfordernde Leben nicht in Rache hinein. Den frechen Augenaufschlag des vorübergehenden ungetreuen beantwortete er mit einem langen Blick trauervollen Mitleides. Das war alles. Im übrigen stand er in klaren Nächten lange am Fenster oder unter der Haustür, betrachtete hingegeben das Spiel des unruhigen Frühlingsgewölkes und lauschte den Stimmen des Windes, die oft wie die Schreie unerlöster Geister über die Dächer hinfuhren. Trat er dann wieder unter uns, so trug sein Antlitz einen tiefen Glanz, eine schimmernde Verfinsterung, die zuletzt notvollem Frieden wich. Sein Blick aber war noch lange nachher in einer sprechenden Gebärde jenen Weiten zugewendet, aus denen die Schatten ihn geschreckt, die rätselhaften Rufe ihn getroffen hatten. Meine Mutter rang an solchen Abenden doppelt inbrünstig in ihrem Gebete zu dem Christusbilde empor, als gelte es, daß Leben meines Vaters einer feindlichen Macht zu entreißen.

      Das alles wirkte, wie ein uneingestandener Wirbel, ein verderbliches Sieden, das den Bau unseres Familienlebens lockerte. Meinen Bruder Peter, der in der Werkstatt meines Vaters die Sattlerei erlernt hatte, trieb es in die Fremde. In verdrossenem Gleichmut verließ er uns, und kaum war er einige Tage fort, so konnte ich mich schon nicht mehr genau an die Umstände seines Wegganges erinnern. Resa, die immer an tausend bunten Bändern allerhand leichten Hoffnungen nachgegaukelt war. zwitscherte sich eines Tages auch über die Schwelle und fuhr davon, in irgendeine Stadt des Südwestens, ich weiß nicht, war es Frankfurt am Main oder Straßburg. Sie ist mir seitdem nicht mehr zu Gesicht gekommen.

      Nun der endlose Kleinkrieg der beiden nicht mehr unser Haus erfüllte, empfand ich doch, wieviel sie mir gewesen waren. Hilf- und schutzlos bebte meine Jugend in der schweren Luft, die von dem Leben meiner Eltern ausging. Bei dem Gedanken an den Lehrerberuf sah ich mich in dem Schlund einer engen Gasse vor einem niederen, unfreundlichen Pförtchen stehen und brachte die Hand nicht herauf, um anzuklopfen. Der Himmel über mir, und Weiten, die ich nicht sah, obwohl sie vorhanden waren, hingen voll ungesungener Lieder und wartender Lichterschöne. Aber das Wort meines Vaters: Du bist mein Sohn, vertrieb die Berückungen immer wieder, und mit jähem Trotz rettete ich mich in seinen Willen.

      – – – – – – –

      So trabte ich bangen Herzens nach meiner Schulentlassung mit einer Schar Knaben zum Pfarrer Zimbal, unserem Ortsschulinspektor, um ihm, wie es Sitte war, für den genossenen Unterricht zu danken.

      Wir standen in langer Reihe an die Wand gedrückt im Hausflur des Pfarrhauses. Die anderen Knaben scherzten flüsternd miteinander. Hin und wieder hielt sich einer mit Zeigefinger und Daumen die Nase zu und lachte, indem er sich zusammenkrümmte, bei geschlossenem Munde, daß seine Backen aufliefen wie zwei kleine Kürbisse.

      Mir klopfte das Herz in Erwartung. Der leise Lärm verstummte, und unsere Füße fuhren zusammen, als oben eine Tür in den Angeln schwang und die feierlichen Schritte des Erwarteten laut wurden. »Er is – er is nich!« wisperte es verstohlen durcheinander. Dann aber erklang ein Räuspern. Er erschien am Anfang der Treppe. »Gelobt sei Jesus Christus!« riefen wir den schwarzen Beinkleidern da oben entgegen. »In Ewigkeit. Amen!« antworteten sie.

      Dann stand der geweihte Herr vor uns, den Zeigefinger der Rechten überlegend in die geschlossene schwarze Weste gehängt, und ließ seine metallgrauen, kalten Augen die Reihe hinabgleiten. Als sie auf mich trafen, bäumten sie sich einen Augenblick ärgerlich zurück. Er strich sich aber den Unmut aus dem breiten Gesicht, und indem seine Hand schnappend von dem glänzenden Doppelkinn abglitt, begann er seine Ermahnungen an das andächtig lauschende, jugendliche Plenum. Ich befand mich in einer zerrissenen Stimmung. In Furcht vor abermaliger öffentlicher Verletzung war ich hergekommen; durch seine abweisende Gebärde hatte sich ein Mißtrauen hinzugesellt, das mir wehtat, nicht nur weil mein frommes Herz nach heiligem Zuspruch verlangte, sondern weil mein ganzes Inneres durch die schweren Ereignisse der letzten Zeit so wund getrieben war, daß es förmlich nach Güte und Trost schrie. Ein ehrlich liebevolles Wort hätte mich armes Kind an seine Knie gedrückt und vielleicht für immer an die Nacht gefesselt, deren Vertreter er war. Das verstohlene Flehen meiner Augen aber blühte ihm umsonst.

      »Nun geht und lasset die Samenkörner des Glaubens und der christlichen Liebe in euren jungen Herzen wachsen«, so endete er die Reihe von Sätzen, die gleich bunten Blasen, selbstgefällig schillernd, über unsere Köpfe hingefahren waren. Wir traten einzeln an ihn heran, sagten unser Sprüchlein und küßten ihm die Hand. Für jeden hatte er nun ein liebes, ermunterndes Wort; diesem streichelte er die Wange, jenem legte er milde seine