der Winterroggen hatte verblüht, war kurz und feinhalmig, das Gras auf den Wiesen »kroch immer mehr in den Boden«. Die Heuernte mußte beginnen, denn die Schwingel der Gräser streuten schon den Samen aus. Während der Lahme in den frühen Morgenstunden mähte, sann er über sein Geschick nach. Ein alter Aberglaube der Landleute der Grafschaft besagt, daß das erste Jahr der Ehe ausschlaggebend für das Glück eines Paares sei. Exner hatte damit eine unparteiische Begründung seines Mißgeschicks gefunden. Warum, wenn es nichts zu bedeuten gehabt hätte, warum fiel dieser Mißwachs gerade auf das Jahr seiner Verheiratung?
Nach dieser Offenbarung begann er, Marie den Einblick in seine Pläne und Entwürfe zu versagen, um sich ihres unheilbringenden Einflusses nach Möglichkeit zu erwehren. Immer schroffer äußerte sich diese Wendung seines Wesens. Es war eigentlich keine Wendung. Der Vorgang stellte sich als die notwendige Bewegung einer Feder dar, die, durch irgendeinen äußeren Druck aus ihrer Lage gebracht, sofort in sie zurückspringt, wenn der Einfluß dieser gegenwirkenden Gewalt nachläßt.
Wie nach einer langen, unnötigen Abschweifung gelangte er allmählich wieder ganz in das einsame Geleise seines früheren Lebens zurück. Der Anflug von Milde und Sanftmut zerfloß in ihm, und wohlig wühlte er sich in die dumpfen Triebwolken seiner Vergangenheit. Damit stand in direktem Zusammenhange ein engerer Anschluß an den Schuster.
Mürrisch, wie er die Heuernte begonnen hatte, beendete er sie. Die drei Fuder trockenen Grases füllten kaum den dritten Teil des Bodens. Darum machte er sich mit Klose eilig an das Abräumen des Niederstückes, um darauf wenigstens noch Futter anzubauen und so den Ausfall etwas zu decken. Exner zerschlug die größeren Steine mit einem eisernen Pürdel, und der Schuster fuhr sie in einem Kastenkarren über ein langes Brett auf die Mauer und schüttete sie, oben angekommen, aus. Jenseits des Rodewalles zog sich ein dem Freirichter gehöriger schmaler Wiesenstreifen an einem Roggenfelde hin. Der Lahme duldete nicht, daß die Steine auf seine Seite geschüttet wurden, weil er sonst einige Fußbreiten Acker verloren hätte. Ebensowenig erlaubte er seinem Freunde, den Karren auf dem Rücken des Steinwalles zu leeren.
»'s soll mir wohl noch vollends alles verdämmen? Schütt's of de andre Seite!«
»Nee, das leidt dr Freirichter nich!« antwortete Klose, der wieder seine trockene, widerspenstige Periode hatte.
»Freirichter! Was ihr mit dem Freirichter alle habt! Als wenn's dr Herrgott wär'. Steht a Grenzsteen droben?«
»Nee, aber die Mauer is doch da.«
»Zeig' mir den Grenzsteen!« rief der Klumpen aufgebracht, warf den Pürdel hin und stieg mit langen Schritten über die Mauer. »Den Grenzsteen will ich sehen!« schäumte er fortwährend über dem Hinaufklettern.
Sie untersuchten jeden Stein, der aus dem Wiesenstreifen des Freirichters hervorragte: keiner trug ein Kreuz. Der Schuster nahm diesen und jenen noch einmal in Augenschein. Es war wirklich nicht anders, ein Grenzstein war nicht vorhanden, und auch auf Exners Seite fehlte ein solcher.
»Wenn ich sage, es hat keen, da hat's keen. Merk' dir's. Und der Freirichter soll mir bloß kommen, Pflug und Eggen schmeiß ich auf den Nagelschmied.«
Trotzdem weigerte sich Klose entschieden, die unrechtmäßige Arbeit zu vollziehen. Sie tauschten die Beschäftigung. Der Schuster zerprüdelte die Steine, und der Lahme schaffte sie fort.
Nun kollerten die Brocken lustig den Rodewall hinunter ins Gras der freirichterlichen Wiese, und der Lahme gab seinem Karren jedesmal einen derben Schwung, daß große Sandsteine bis nahe an das Roggenfeld rollten. Dabei lachte er übermütig und schrie ihnen zu: »Grüßt mr a Herrn Freirichter schön!«
Die Hitze der Erregung nahm erst ein wenig ab, als der letzte Karren seinen Inhalt auf den jenseitigen Boden ergossen hatte.
Dann ging er nach Hause mit dem wohltuenden Gefühl in der Brust, etwas sehr Gutes vollbracht zu haben.
Am andern Morgen trieb er schon zeitig seine Zugkühe mit den Eggen über den Acker. Er knallte in einem fort mit der Peitsche und schrie aus purem Mutwillen die Tiere bei jeder Kleinigkeit laut an. Dann und wann lachte er laut hinaus: »Haha, Wendla, komm och!«
Und da stand er schon auf der Mauer und hatte den höhnischen Ausruf des Dahinschreitenden gehört, und sein papierweißes Gesicht verkroch sich vor Grimm noch mehr in den struppigen Vollbart.
»Guten Morgen, Exner!«
Der tat, als ob er nichts gehört habe, begann mit seinen Kühen laut und anhaltend zu schreien und nahm einen langsamen, schlendernden Gang an. Endlich war er am Ende des Ackerstückes angekommen, wandte die Kühe und tat erstaunt, als ob er Wende erst jetzt bemerke: »Ach, Sie sein's, Herr Freirichter? Ich dachte, es blökt da rum wo a Öchsla.«
Der Verspottete schien die Anzüglichkeit nicht gehört zu haben und schrie in herrischem Tone herab: »Wer hat Ihn erlaubt, auf meinem Grund und Boden die Steine abzuladen?«
»Wer erlaubt's Ihn, a so was zu fragen?«
»Wer? Wissen Sie nich, daß das meine Wiese is?«
»Nee, da möcht' man gar! – Wo stehn denn de Grenzsteene?«
»Die Grenzsteine! Hier ist die Mauer, hier ist die Grenze.«
»Ja'ch! Ich dachte, Sie hätt'n se ei dr Tasche und wöllt'n mr se zeigen. – Unter der Mauer sein se! Nee, was so ein Freirichter nich klug is!«
Da war es mit der Beherrschung des Großbauern vorbei.
»Ich geb' Ihn acht Tage Bedenkzeit, von dato angefangen. Sind die Steine dann nicht weg, und hab' ich dann nicht die Entschädigung für das zertretene Gras, dann werden wir uns woanders sprechen.«
Die letzten Worte waren in höchster Wut gesprochen, sie kamen zischelnd und brodelnd wie kochendes Wasser aus seinem Munde.
Aber nun geriet auch der Klumpen in Raserei, warf die Leine hin, drehte die Peitsche um und machte sich unter den greulichsten Verwünschungen auf, dem Freirichter zu Leibe zu rücken. Ohne die Beweise des Wilden abzuwarten, machte sich der Bärtige auf den Marsch, der in eine regelrechte Flucht ausartete und erst auf dem Kommunikationswege zu halbwegs ruhigen Schritten kam.
Der Lahme schimpfte noch, als Wende schon lange nicht mehr zu sehen war, schirrte die Kühe aus und band sie an einen Baum. Bei seinem Eintritt kam ihm Marie schreckensbleich entgegen. Er glaubte, sie wolle ihm Vorwürfe machen, drohte, sie zu erschlagen, stürmte in die Stube, hieb auf den Tisch und schrie fortwährend wie besessen:
»Zeigen wer ich's 'm, zeigen wer ich's 'm! Aber das kommt alles davon, wenn's Weib nich an ei'm Stricke mit eem zieht. Mei Recht will ich, mei Recht, und wenn's mei Wirtschaft kostet, mei Leben.«
Dann stürzte er wieder zur Tür hinaus und begab sich an die Arbeit.
Am andern Morgen trat der Schuster in die Stube, bleich und nüchtern wie seit Tagen schon. »Was machen die Pappeln?« fragte er mit argem Lächeln.
»Was wern se machen, Schaf, stehn tun se!«
»Meenste, Karla! Nu 'ch, da komm och und siehch dr se an.«
Sie gingen hinauf. Beide Bäumchen waren von frevler Hand mittendurchgeschnitten, und ihre Kronen lagen auf dem Wege.
»Aha? – das is de Antwort of de Steene! Meenste nich?«
Klose zuckte gleichgültig die Achseln in die Höhe und bückte sich, nahm eine Krone auf und betrachtete den Schnitt, der mit einem sehr scharfen Messer geführt war, glatt und sicher durch das Stämmchen, das die Stärke eines kindlichen Armgelenks hatte.
»Der hat's gekonnt«, sagte er dann, trat an das Stämmchen zur Rechten und hielt den abgeschnittenen Teil auf den Stumpf. Er paßte genau. Der verderbliche Schnitt an dem andern Baume zeigte zwei Wülste. Der Frevler mußte zuerst die rechts stehende Pappel gefällt und dann, schon geschwächt und beunruhigt, sich an die andre gemacht haben.
Das entzifferte der Schuster, und der Lahme gab ihm nach einigem Besinnen recht.
»Freilich, wo sollte er denn die Kraft hernehmen.«
Darauf