Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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daß der nächtliche Schädiger von mittlerer Figur gewesen sein und den Schnitt von unten geführt haben mußte.

      »Deine Größe hat er gehabt!«

      Der Lahme maß seinen Freund mit den Augen, und Klose lachte mit geschlossenem Munde dazu.

      Und hier unten, mit dem Rücken nach'm Hause hat er gestanden, denn der Schnitt is of a Born zu«, setzte der Schuster seine Untersuchung fort und war offenbar vergnügt über seine Findigkeit.

      »Er muß verdammt sicher gewesen sein«, nahm er nach einer Pause den Faden der Mutmaßungen wieder auf und weidete sich sichtlich an der Verblüffung des Klumpen, der sich aufrichtete und nach einem schweren Atemzuge nichts hervorbrachte als ein beschwörendes, qualvolles Wort: »Schuster!«

      »Ich kann dr nich helfen, es is nich anders.«

      »Da biste wirklich dr Meinung, es is ein anderes gewesen. Guste, überleg' dir's genau!«

      »Was weeß ich, mit wem du alles Streit gehabt hast. Ein Feind vo dir is gewesen oder eens, das dich höhnern oder dir een Schabernack spielen wollte, cetera pee. Das ist deine Sache!«

      Das alles sagte er mit einer herzlosen Sachlichkeit. Seine Züge waren tief gefurcht.

      Der Klumpen starrte ratlos auf ihn.

      »Da siehch, überzeug dich selber, Karla, und von unten rauf is er sogar gekommen. Denn da und dort, rund um die Wassergruben, is of de Mauer zu das Gras zertreten. Bist du so eefältig, zu meenen, er is im Wege runtergegangen und hat sich dann pee a pee umgedreht, daß du'm bequem vo hinten an den Kragen gekonnt hättst. Da siehch!«

      Exner beugte sich nieder und sah Fußtapfen in dem betauten Grase, die halb verwischt waren durch aufgerichtete Halme. Seine große braune Hand zitterte, wie sie so durch das Grün fuhr. Dann wühlte er wie geistesabwesend in den abgefallenen Baumblättern. Plötzlich knitterte etwas, und als er hinsah, zerdrückten seine Finger mechanisch einen weißen Zettel. Er richtete sich auf und starrte auf das Papier, aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen.

      »Was is das?« fragte gepreßt Klose.

      »Da lies och amal«, antwortete der Lahme mit mühsamer Beherrschung. Mit verstellter Handschrift, in lauter Großbuchstaben stand darauf:

      »Zum Freirichter Exner.«

      »Lies noch a mal«, mahnte der Verhöhnte stockend, und sein Gesicht sank in Schrecken ein.

      »Es stimmt alles, alles, zu gut, zu gut stimmt's...«, murmelte er dann.

      »Was denn?« fragte Klose.

      Exner schwieg, nahm ihm den Zettel ab, sann einige Augenblicke, zerriß ihn dann und wandte sich zum Gehen. Er stieß mit dem Klumpfuß oft an die Steine des Weges; den Kopf kraftlos auf die Seite geneigt, hinkte er auf den Schuppen zu.

      Klose wollte zur Haustür hinein.

      »Wohin gehst du?« fragte der Lahme zurückschauend.

      »Ich will's deiner sagen.«

      »Meiner – meiner? – ich dächt', meine wüßt's schon.«

      Alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen; er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht.

      Im Schuppen ging er wie betäubt umher, stellte ein Kartoffelhäckchen zehnmal woanders hin, schlug mit einem Spaltscheitchen trommelnd gegen die Bretterwand und begann dann einen Stoß Knüppelholz umzusetzen. Das alles tat er hastig, als werde er angetrieben. Endlich erbrach sich seine Seele. Verächtlich schleuderte er das Holzscheit, das er gerade in der Hand hielt, von sich. Sicher schoß es vor seinen Augen zusammen. Marie hatte von Anfang an der Vergrößerung seines Besitzes widersprochen, nie recht zu ihm, ihrem Manne, sondern immer zu andern, vor allem dem Freirichter gehalten. Sie war sogar vor dem ersten Zank nicht zurückgeschreckt, um aus Rücksicht auf Wende die Anpflanzung der Turmpappeln zu verhindern.

      Der Schuster, vor dessen vorurteilslosen Augen sich die Deutung des Frevels so zwanglos vollzog, hatte trotz seiner Sympathie mit Marie ohne Wissen niemand als sie mit dem Verdacht der Täterschaft beladen. Vorsichtig und langsam stellte der Klumpen den zerstreuten Holzstoß wieder auf und ging in die Stube. Die Essenszeit war herangekommen. Er dachte, daß es vier Stunden im Schuppen gedauert habe, und beobachtete unauffällig Marie, die mit unsicherer Hast, bleicher als sonst, ab und zu ging und vermied, mit ihren Augen den Blicken ihres Mannes zu begegnen, die sie auf sich ruhen fühlte. »'s is dir schon recht, zerstoß dir meinetwegen de Beene«, sann der Lahme, ihre Unsicherheit bemerkend, und langte nach dem Löffel, als der Schuster eintrat.

      »Na komm«, sagte er zu dem Eintretenden, »setz' dich her und iß. Wir haben's verdient, wir halten zusammen.«

      Trotz aller Lustigkeit in der Zustimmung merkte er seinem Freunde auch eine Frostigkeit, eine Gedrücktheit an. Das war ihm unbegreiflich, und nachdem er gedankenvoll einige Löffel Suppe geschlürft hatte, sprach er in das taktmäßige Klappern der Blechlöffel:

      »Guste, was is dir denn? Du tust ja grade, als hätt'st du heut nacht dei Messer durch Pappelholz gezogen!«

      Des Schusters Augen hafteten an der Schüssel, er schwieg und verzog dann das Gesicht zu einem Lächeln.

      Um das Gespräch auf ein ruhigeres Gebiet zu führen, begann Klose die jüngste Schmugglergeschichte des krummen Rathmann Bene vom Berge zu erzählen. Der Lahme hörte mit halben Ohre zu, blickte in der Stube umher und schaute dann zum Fenster hinaus, sah die Blutbretter am Brunnen, warf den Löffel auf den Tisch und schrie unbekümmert um des Schusters Erzählung in dumpfem Zorne:

      »Da soll man milde sein und sanfte, wenn eem so was passiert ei seim Hause!«

      Marie wurde rot und blaß, der Löffel in ihrer Hand zitterte. Sie öffnete den Mund zum Reden, brachte aber kein Wort über ihre Lippen. Klose trat ihn mit dem Fuße und machte ihm mit den Augen ein Zeichen, sich zu mäßigen.

      »Karla«, begann endlich Marie, »Guste hat mir gesagt, um was es sich handelt ...«

      Sie wurde von dem Eintritt des Postboten unterbrochen, der einen Brief vor den Lahmen legte und eilig verschwand.

      Exner erbrach das Schreiben, sah eine Weile hinein, und da er des Lesens nicht recht kundig war, reichte er das Papier dem Schuster. Dieser machte Miene, es Marie zu geben.

      »Du liest!« rief Exner mit einer Leidenschaftlichkeit, der sich Klose fügen mußte.

      Der Schuster las:

      »Steindorf, den 17. Juni l883. Dem Feldgärtner, Herrn Karl Exner, zeige ich hierdurch an, daß binnen acht Tagen die Steine von meiner Wiese durch ihn oder seine Leute weggeräumt sein müssen, widrigenfalls ich gerichtlich gegen ihn vorgehen werde. In derselben Zeit sind von dem oben Genannten an mich zehn Mark zu entrichten als Schadenersatz für vernichtetes Gras auf eben dem Felde.

      Joseph Wende, Freirichtergutsbesitzer.«

      Der Lahme saß eine Weile wie starr, riß dann mit rauhem Lachen den Brief aus den Händen Kloses und steckte ihn ein.

      »Nach, Marie, biste denn im endlich zufrieden?« fragte er und sah sie mit verhaltenem Grimm an. Dem jungen Weibe stürzten die Tränen in die Augen. Sie stand auf und taumelte hinaus.

      Der Lahme stieß den Tisch von sich und begann in der Stube erregt auf und nieder zu holpern.

      Der Schuster war aschfahl geworden und stierte regungslos auf seine Hände, die vor ihm auf dem Tisch lagen, dabei kaute er an dem Schnurrbart.

      Plötzlich, wie auf einen unvorhergesehenen Stoß, sprang er auf, riß die Mütze am sich und lief wie gehetzt davon.

      12

       Inhaltsverzeichnis

      Seit diesem Vorkommnis wurde der Schuster Klose nie wieder nüchtern, kam nicht mehr in das Haus seiner Mutter und mied auch das Gehöft des Lahmen. Er war wie von einem bösen Geiste