Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


Скачать книгу

heute morgen um sieben Uhr sich in der Richtung nach Landeck entfernt habe, um dort wahrscheinlich Geld auf der Sparkasse zu erheben. Mit mißvergnügtem Knurren über das dickfellige Bauernpack stand er endlich auf.

      »Wie heißen Sie?«

      »Katharina Exner.«

      »Beschwindeln Sie mich nich, sonst loch' ich Sie auf der Stelle ein.«

      »Katharina Exner aus'm Fuchsloche.«

      »Ich denk', Sie sind dahier?«

      »Nee.«

      »Nu verdammt, das Weib wohnt doch beim Manne.«

      »Ich bin nich verheirat.«

      »Was, Sie wollen leugnen, daß Sie verheirat sind?«

      »Herr Wachmeester, ich bin doch de Schwester vo dem.«

      »Was denn, vo dem'?«

      Sie brach in Weinen aus und schluchzte endlich:

      »Ich kann doch nich drfür, wenn mei Bruder aso is.«

      »Ach so, Sie, hm, hm, na das konnten Sie doch gleich sagen. Rein vernagelt! Lassen Se's gut sein, den kriegen mr schon.«

      Klirrend war er draußen. Der Schnee stob unter den Hufen des Gaules. Weg war er.

      Nach einer halben Stunde trat er wieder mit dem Amtsvorsteher in die Stube. Mit »Jawohl, Herr Amtsvorsteher«, »Gewiß, Herr Hoffmann« stand er stramm, stampfte auf und zu, schrie in den Hof und gab dann wieder lange Berichte über sein planvolles Ermittlungsverfahren.

      In dieser Unruhe schritt das Protokoll des Amtssekretärs Dorn langsam vorwärts.

      »Wissen Sie was, Stief«, mit diesen Worten unterbrach sich der Amtsvorsteher, hob den Kopf und lächelte milde, wie es seine Gewohnheit war.

      »Jawohl, Herr Amtsvorsteher.«

      »Ja«, Herr Hoffmann strich sich gedankenvoll den schwarzen Schnurrbart.

      »Was befehlen der Herr Major?«

      »Die Hauptsache ist doch, daß wir ... treten Sie mal ab – wie heißen Sie doch ...«

      »Katharina Exner«, knurrte Dorn.

      »Richtig, also, ja. Freilich. Sie mein' ich! Rausgehn sollen Sie! Herrgott noch mal!«

      Kathe verließ wie betäubt die Stube, stolperte über die Treppe hinauf und sank in der Sommerstube an den Fenstern auf die Knie. Durch die Decke hörte sie das Gespräch der Männer wie das Brummen einer fernen Dreschmaschine. Dann brach es ab. Sie erhob sich und lehnte die Stirn an die Scheiben. Da stob Stief wie ein Wirbel über den Schnee. Fortgeblasen verschwand er hinter einer Mauer. Einigemal blitzte noch sein Helm auf. Dann rieselte wieder nur der Schnee vor dem regungslosen Walde.

      Dorns Stimme rief sie nach unten. Das Verhör nahm seinen Fortgang. Endlich war alles aufgeschrieben. Der Amtsvorsteher erhob sich und schüttelte mit beiden Händen die Kopfschuppen von seinem Rockkragen. Dorn klemmte den Aktendeckel unter den Arm. Beide sahen sich noch einmal mißtrauisch in der Stube um und gingen, ohne die Tür ganz hinter sich zu schließen.

      Nun waren die Neugierigen auf dem Hofe wieder unter sich und bestürmten den alten Freiwald, dessen Zeugnis bei der Vernehmung eine große Bedeutung gehabt hatte, mit Fragen.

      Kathe saß auf der Ofenbank und starrte auf ihre gefalteten Hände.

      Die Hebamme wagte sich auch wieder aus der Schlafkammer und ließ sich ihr gegenüber auf der Bank nieder.

      Draußen wurde das Gespräch der Gaffer erregt.

      »Kee Wasser?« fragte einer schrill.

      »Was ich dr sage«, antwortete ein standhafter Baß.

      »Freiwald hat'n gegraben, der muß ja wissen«, rief der Zweifler streitlustig. »Wie is, Freiwald?«

      »Siehch meine Hand«, erklärte der alte Brunnenbauer, »so trocken is er, kee Schluck Wasser. Een Haufen Steene, sonst nischt.«

      »Das gleeb' ich nich, ich ha doch selber 'nen Born.«

      »Na da hör' och«, unterbrach ihn Freiwald, »freilich halt's Wasser, gutes, süßes, Lebenswasser. Etze aber is euch ratzekahl weg. Denn wo a so was geschieht, da verliert sich's Wasser of der Stelle. Das liegt ei seim Geiste, weil's bloß fürs Lebendige is. Denn seht och, ihr Männer, das Wasser hat sei Gemitte wie's Feuer! Ich geh hem; mir is eigentlich nich gut.«

      Er klopfte ans Fenster, nickte freundlich herein und schritt davon.

      Langsam verloren sich alle vom Höfchen.

      Der Wachtmeister Stief hatte Glück. Auf dem Laudecker Ring, noch neben dem Eingang zum Rathaus stehend, verhaftete er den Lahmen, der eben im Begriff war, über die Grenze zu entfliehen. Ohne Widerstreben ließ sich Exner die Handschellen anlegen und humpelte vor dem Gendarmen her ins Gefängnis.

      20

       Inhaltsverzeichnis

      Der Abend dieses schweren Tages kam früher als sonst und überraschte die beiden, die Hebamme und das Mädchen, die in der ganzen Zeit wortlos dagesessen hatten und nach der Unruhe gegenseitig die Sicherheit ihres Bestehens genossen. Jedes war erfüllt von dem Schicksal dieses einsamen Hauses, und keines sprach darüber, karge Worte über das Vieh, das Wetter und Begebenheiten der Gemeinde und des Umkreises, achtlos hin und wider geschoben, füllten den Raum zwischen diesen einwärtsgekehrten, einfachen Seelen aus. Dann erhoben sie sich wohl und sahen nach Mutter und Kind, und wenn sie beide schlafend fanden, so traten sie wieder vorsichtig über die Schwelle und gingen an ihren Platz.

      Dann verfielen beide in Sinnen, das in Schlaf überging.

      Erst am andern Morgen erwachte Kathe und fand sich, ein Bündel Kleider unter dem Kopfe, neben der Ofenbank liegen.

      Die Klessen kauerte noch schlafend auf der Bank am Tische. Drinnen in der Kammer wimmerte es leise.

      Das Mädchen weckte die Hebamme, und beide gingen hinein.

      Der blasse Glanz des ersten Lichtes lag auf dem blassen Gesichte Maries, das heraufgekehrt in den Kissen lag, die Lider geschlossen.

      »'s war doch hinne«, sprach Kathe, die einen Laut gehört zu haben glaubte, mit einem Blick auf das leblose Antlitz, und zögernd legte sie ihre Hand auf die weiße Stirn.

      Da begann die Kranke kraftlos zu schluchzen. Kathe warf sich über sie und sprach ihr unter Tränen Trost ein. Sie redete noch in Liebe, als Marie schon wieder in Ohnmacht lag.

      Nach einer langen Weile schlug das arme Weib die Augen auf.

      »Is vorbei?« hauchte sie furchtsam.

      Die Klessen nickte, beugte sich lächelnd nieder und strich der jungen Mutter die blonden Haare aus dem Gesicht: »Alls, alls, mei herzes Weib.«

      »Was is'n?«

      »A Jüngla.«

      Maries Antlitz sank in schmerzvoller Enttäuschung noch mehr ein. Dann wandte sie es schweigend gegen die Wand. Als sie es den beiden wieder zukehrte, standen ihre schönen blauen Augen voller Tränen.

      »Is'n richtig?« fragte sie dann.

      »Ja. Aber jetze darfst du'n nich sehn. Du bist noch zu schwach.«

      »Gott sei Dank!«

      Erschöpft schloß sie die Augen, und während die Lippen sich im stummen Gebete eilig rührten, kam eine immer tiefere Seligkeit in ihr Gesicht.

      Lange lächelte sie so, lange.

      Derweil erfüllte sich der Tag. Alle Dinge wurden nach und nach genau sichtbar, als schwebten sie aus Fernen herbei. Und mit ihnen lief alles in die Seele des geprüften Weibes, was vor den Schrecken der Geburt gewichen war, stand an ihrem Bett, sah sie an, begann zu reden