Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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– meine einzige Mutti! – – –« ein Jubelschrei gellte durch die stille Straße, wie dieselbe ihn noch nie vernommen.

      Waren es nur wenige Sekunden – eine Ewigkeit dünkte es Nesthäkchen noch, bis es die Treppen hinuntergesaust war, bis es endlich, endlich wieder am Mutterherzen lag.

      »Meine Lotte – mein Nesthäkchen – mein liebes Kleines – solange hab’ ich dich entbehren müssen!« fest, ganz fest hielten sich Mutter und Kind umschlungen.

      Was fragten die zwei nach fast dreijähriger Trennung danach, daß hier und da neugierige Gesichter an den Fenstern auftauchten, daß die Autoführerin noch immer auf ihre Bezahlung warten mußte?

      Erst als polternde Jungenfüße, von einem Freudengewinsel Pucks begleitet, auf die Straße herausgestürmt kamen, ließ Mutti ihr Nesthäkchen aus dem Arm, um den braunen Krauskopf ihres Jungen zu herzen und zu küssen.

      Da mußte sich die Autoführerin noch ein Weilchen gedulden. Aber sie tat es gern, stieg es ihr doch selbst heiß in die Augen bei diesem Wiedersehensglück.

      In jedem Arm eins ihrer Kinder, so betrat Frau Doktor Braun wieder ihr Haus. Auf dem untersten Treppenabsatz stand die Großmama. Sie konnte es nicht erwarten, bis die Tochter oben war.

      »Mutterchen, dir danke ich es, daß ich fern von der Heimat ruhig sein konnte um meine Kinder«, innig schmiegte sich der blonde Kopf an den weißhaarigen der alten Dame. Nesthäkchen aber durchzuckte plötzlich inmitten des Glücksüberschwalls ein scharfes Weh. Durch Muttis Blondhaar zogen sich Silberfäden – deutlich sah Annemarie es beim Schein der durch das Treppenfenster huschenden Sonnenstrahlen. Daran trug die schwere Zeit im Feindesland die Schuld – wie wollte Nesthäkchen durch seine Liebe Mutti dieselbe vergessen machen!

      Auf dem nächsten Absatz hatte Fräulein mit frohen Augen Posto gefaßt, ganz oben aber thronte Hanne, die lachte über das ganze breite Gesicht.

      »Na, Jott sei Dank, daß jnädije Frau wieder bei uns is, nu wird’s ja woll auch mit dem entsetzlichen Krieg ’n Ende haben«, sagte sie überglücklich.

      »Ja, Hanne, was ich dazu tun kann, das soll sicher geschehen«, scherzte Frau Doktor, und die Wehmut, die ihr beim Eintritt in ihr Heim nach so langer Zeit kommen wollte, schlich sich schnell beiseite.

      Draußen wehten siegesfrohe Fahnen, drinnen in dem gemütlichen Wohnzimmer saßen überselige Menschen glücklich vereint wieder beisammen. Die liebe Sonne aber glänzte mit Annemaries Augen um die Wette.

      Und Mutti erzählte.

      Dazwischen aber wanderte ihr Blick immer wieder zu ihrem blühenden Nesthäkchen, jetzt »ihrer Großen«, die nicht mehr kleiner war als sie selbst. Wie dankte sie dem da droben, daß sie endlich wieder daheim sein durfte, daß er Heimat und Haus gnädig beschirmt hatte.

      Als die Pfingstglocken durch das Land sangen, da war auch der Vater auf Urlaub heimgekehrt. Still lauschten sie innig vereint dem ehernen Klange, und jeder von ihnen empfand das, was die Mutter aussprach: »Mögen es bald die Friedensglocken sein, die Deutschland durchjubeln – das walte Gott!«

      *

      Mit diesem Wunsche nehme ich Abschied von euch, meine lieben, jungen Leserinnen. Auch mancher von euch hat der Weltkrieg wohl, gleich unserm Nesthäkchen, Opfer auferlegt, kleinere oder größere. Aber ich bin davon durchdrungen, daß auch ihr sie freudig fürs Vaterland auf euch genommen habt. Wenn das schwere Ringen zu Ende und ein siegreicher Frieden unserer teuren Heimat beschieden ist, dann erzähle ich euch, was aus Doktors Nesthäkchen wurde. Bis dahin lebt wohl!

      Nesthäkchens Backfischzeit

       Inhaltsverzeichnis

       1. Kapitel Das lustige halbe Dutzend

       2. Kapitel Die Untersekunda schippt Schnee

       3. Kapitel Doktors Nesthäkchen gründet einen Schülerrat

       4. Kapitel Versetzungszensuren

       5. Kapitel Nesthäkchens sechzehnter Geburtstag

       6. Kapitel Hamsterfahrt

       7. Kapitel Berlin auf Rädern

       8. Kapitel Zur Erntearbeit

       9. Kapitel Unvorhergesehenes

       10. Kapitel Kindermädel

       11. Kapitel Tanzstunde

       12. Kapitel Kohlennot

       13. Kapitel Die Rotbemützten

      1. Kapitel

       Das lustige halbe Dutzend

       Inhaltsverzeichnis

      Im Ofen heulte der Wind. Er ächzte und stöhnte. Mit knöcherner Hand fuhr er in den Schornstein und wirbelte die Kohlenglut ungestüm durcheinander. An den Fensterscheiben rüttelte er, daß sie ärgerlich anfingen zu klirren. Jetzt warf er gar ein paar Hände Eisschollen wie ein echter Gassenjunge gegen das Fensterglas. Dann aber gab er schnell Fersengeld. Denn innen hinter der weißgepunkteten Mullgardine tauchte ein rosiger Blondkopf auf, mit weitaufgerissenen Blauaugen in das tolle Durcheinander hinausstarrend.

      »Brrr – ist das ein Hundewetter!« Doktor Brauns Nesthäkchen schüttelte sich. »Die Mädels werden sich durch den Hagel doch nicht vom Kränzchen zurückhalten lassen? Ach wo, die sind nicht aus Marzipan. Höchstens Margot Thielen, aber die wohnt auf demselben Flur und braucht sich keinen Fuß naß zu machen. Wenn nur Veras Tante nicht Einspruch erhebt, die denkt auch immer gleich, wenn Vera mal hustet, sie hätte schon die Lungenentzündung. Himmel – ist denn die Welt ganz aus den Fugen!« Ein erneuter Hagelschauer prasselte gegen die Scheibe; die weißen Körner sprangen und hopsten so hoch, als hätten sie es auf Nesthäkchens sich gegen das Glas pressende Nasenspitze abgesehen.

      Um so gemütlicher war es drinnen. Die von einem mattlila Seidenschleier gedämpfte elektrische Lampe warf ihr Licht über den zierlich gedeckten Kaffeetisch vor dem kleinen bunten Ecksofa. Auf dem goldgelben Gedeck, das Annemarie der Mutter mit dem festen Versprechen abgebettelt, daß bestimmt kein Kaffeefleck darauf prangen würde, standen sechs goldgeränderte Tassen. Die Mitte aber nahm der umfangreiche Kuchenteller ein mit allerlei verlockenden Sachen darauf. Das mochte wohl auch die derbe Jungenhand dazu bewegen, sich nach einem zuckerbestreuten Pfannkuchen auszustrecken und denselben gleich auf einmal in den Mund verschwinden zu lassen.

      In diesem kritischen Augenblick gerade wandte sich Annemarie vom Fenster in das Zimmer zurück. Eine Sekunde stand sie entgeistert. Dann aber flog sie auf den Missetäter zu und schien nicht übel Lust zu haben, ihm den entwendeten Kuchen wieder aus dem Mund zu reißen.

      »Mutti – der Klaus maust mir meinen Kränzchenkuchen weg! Gerade einen Pfannkuchen hat er erwischt! Und die Hanne